Wer Dinge entwickelt, der will, dass sie geschützt sind. Dafür sorgen Patente. Mit dem Patentatlas, herausgegeben von Patent- und Markenzentrum Baden-Württemberg und Patentcoach BW, wird sichtbar gemacht, wie gut im Land geforscht und entwickelt wird. Jetzt liegt die aktuelle Auswertung vor.
Patentanmeldungen sind ein wichtiger Gradmesser für die wirtschaftliche Dynamik einer Region. Mehr noch: „Sie dokumentieren den Erfindergeist und die Bereitschaft von Unternehmen, neue Technologien zu entwickeln und zu schützen, um sich Wettbewerbsvorteile zu sichern“, sagt Daniela Jardot. Sie ist Teamleiterin für Innovation und Technologie bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Ähnlich sieht es André Olveira-Lenz: „Die Anzahl der Patentanmeldungen gehört zweifelsfrei zu den maßgeblichen Bewertungsgrößen für die Innovationskraft einer Region.“ Er leitet den Geschäftsbereich Innovation und Umwelt der IHK Südlicher Oberrhein.
Stark im Transport und Maschinenbau
Baden-Württemberg war schon immer ein Land der Tüftler und Forscher, der Macher und Umsetzer. Von den 50 anmeldefreudigsten Unternehmen in Deutschland stammen zehn – also 20 Prozent – aus „The Länd“. Die meisten Anmeldungen betreffen das Technologieprofil Transport/Automotive, danach folgt mit deutlichem Abstand der Sektor Maschinenbau. Messtechnik auf Platz drei verzeichnet nicht einmal halb so viele Patent-anmeldungen wie Automotive.
Gemessen an der Einwohnerzahl sind die Regionen Stuttgart, Bodensee-Oberschwaben und Ostwürttemberg am stärksten vertreten. Hier werden pro 100.000 Einwohner im jeweiligen Gebiet die meisten Patente angemeldet. Wobei Stuttgart mit einem Anteil von 57,7 Prozent aller Anmeldungen weit vorn liegt. Nur im Kammergebiet der IHK Bodensee-Oberschwaben wird ebenfalls ein zweistelliger Wert erreicht: 11,8 Prozent. Im Südwesten liegt die Region Südlicher Oberrhein (3,9 Prozent) knapp vor Schwarzwald-Baar-Heuberg (3,1 Prozent) und Hochrhein-Bodensee (1,8 Prozent). Schlusslicht der zwölf Regionen, in die Baden-Württemberg aufgeteilt wurde, ist die Region Donau-Iller: Ihr Anteil beträgt 1,3 Prozent.
Hauptsitz schlägt Entwicklungsstandort
Einschränkend machen Thomas Scharr und Annegret Schmid, die den Patentatlas 2024 zusammengestellt haben, geltend, dass die geografische Zuordnung nicht immer die Realität widerspiegelt. Ein Punkt, auf den Sunita Patel von der IHK Hochrhein-Bodensee ebenfalls hinweist. „Viele Unternehmen melden ihre Patente zentral an. Das bedeutet, das Unternehmen hat seinen Hauptsitz beispielsweise in unserem Kammergebiet. Die ‚Erfindung‘ ist jedoch an einem anderen Standort erfolgt, zum Beispiel in Dresden. Dennoch wird die Patentanmeldung Kon-stanz zugeordnet.“ Das sieht André Olveira-Lenz ähnlich, um anzufügen: „Dennoch ist die relative Veränderung der regionalen Patentanmeldungen im Vergleich zu den Vorjahren ein durchaus beachtenswerter Faktor, aus dem einige Schlüsse gezogen werden können.“
Aufgrund der Fristen – Patentanmeldungen werden 18 Monate geheim gehalten – und Verarbeitungsroutinen spiegelt der Patentatlas 2024 die Situation von 2022 wider. Zur Erinnerung: Die letzten Corona-Maßnahmen wurden erst im April 2023 zurückgenommen.
Unterschiede im Südwesten
Es gibt – schaut man auf die Auswertung zu den drei Kammern im Südwesten – einerseits Parallelen, andererseits auch Unterschiede hinsichtlich der Technologieprofile. Messtechnik ist sowohl in der Kammer Hochrhein-Bodensee als auch Südlicher Oberrhein die am stärksten vertretene Branche, bei Schwarzwald-Baar-Heuberg liegt sie auf Platz vier. Hier verzeichnet die Medizintechnik mit großem Abstand die meisten Patentanmeldungen. Für Teamleiterin Daniela Jardot keine Überraschung. Während in der baden-württembergischen Gesamtstatistik die Medizintechnik auf Platz zehn und damit eine eher untergeordnete Rolle spielt, „nimmt sie in unserer Region den Spitzenplatz ein“. Hier finde man schließlich die größte Konzentration an Medizintechnikunternehmen in Baden-Württemberg.
Das war früher anders, erinnert Jardot. Die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg war ursprünglich stark von der Uhrenindustrie geprägt, habe sich ab den 1970er-Jahren wirtschaftlich allerdings neu ausgerichtet: „Die Region entwickelte sich zum Zentrum der Medizintechnik sowie der Automobilzulieferindustrie, wobei frühere Kompetenzen in Feinmechanik und Mikrotechnik entscheidend waren“, erläutert die Ansprechpartnerin bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg.
Die traditionell patentstärkste Branche werde unter anderem durch die Clusterorganisation MedicalMountains GmbH und die Hochschule Furtwangen unterstützt. Das Schöne, so Jardot weiter: „Mehr als 90 Prozent der Unternehmen in diesem Bereich sind kleine und mittelständische Betriebe.“ Daher ist die Teamleiterin zuversichtlich, dass die Region auch in Zukunft eine führende Position bei den Patentanmeldungen im Bereich Medizintechnik einnehmen wird.
„Zuordnung nicht immer passgenau“
Im Kammerbezirk Hochrhein-Bodensee liegt die Messtechnik-Branche bei der Patentanmeldung auf Platz eins, es folgt die Klassifizierung Transport, dann die Chemie. Sunita Patel, Referentin im Geschäftsbereich Innovation und Umwelt, überrascht das auf den ersten Blick: „Schaut man sich jedoch die internationale Patentklassifikation (IPC) und ihre Kategorien genauer an, geht es hier um unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten und unterschiedliche Branchen. Viele Patente sind für Anwendungen im Automobilbereich gedacht, ob Spiegelersatzsysteme, Kindersitze oder Technologien zum Laden einer Batterie. Aber diesem Sektor werden auch viele Patente zugerechnet, die auch anderen Kategorien zugeordnet sein könnten.“ Als Beispiel zählt sie Wiegeeinheiten für Schüttgüter, Mischvorrichtungen für Kosmetika und eine Reinigungsvorrichtung für Farbrollen auf. „Die Zuordnung eines Patents zu einer Sektion ist – wie bei der geografischen Verortung – nicht immer passgenau.“
Entwicklung stimmt nachdenklich
André Olveira-Lenz zeigt sich angesichts der Statistik, die 2022 abbildet, nachdenklich: Denn die Zahl der jährlichen Patentanmeldungen in der Region Südlicher Oberrhein habe noch nicht wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Das gilt allerdings auch für die beiden anderen Kammern. „Daraus kann interpretiert werden, dass durch die multiplen Herausforderungen wie Corona, Energiepreiskrise, Handelskonflikte und geopolitische Auseinandersetzungen sowie Kriege viele kleine und mittlere Unternehmen wirtschaftlich nicht in der Lage sind, ausreichend Kapazitäten in Forschung und Entwicklung zu stecken.“ Das sei aus strategischer Sicht jedoch „ein ganz elementarer Punkt zur Standortsicherung und Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit“.
Ein weiterer Punkt, der dem Verantwortlichen beim Blick in die Detailauswertung aufgefallen ist: die unterdurchschnittliche Zahl der Patentanmeldungen bezogen auf die Einwohner des Kammergebiets außerhalb des Stadtkreises Freiburg. Zu diesem Gefälle komme es vermutlich, weil „viele der Anmeldungen vom starken Forschungsstandort Freiburg ausgehen, der unter anderem bundesweit die höchste Zahl an Fraunhofer-Instituten beherbergt“.
Potenzial für mehr vorhanden
Es könnten noch viel mehr Unternehmen, vor allem kleine und mittelständische Firmen, Patente anmelden. Da ist sich Sunita Patel sicher. Sie ahnt auch, warum das so ist: „Viele scheuen den Aufwand und die Kosten.“ Doch das müsse nicht sein „In Baden-Württemberg gibt es ein sehr nützliches und kostenloses Angebot, das allen IHK-Mitgliedsunternehmen offen steht, allerdings noch viel zu wenig genutzt wird: das Patencoaching.“ Es helfe KMU nicht nur dabei, eine Patentstrategie aufzubauen und sich über Kosten und Aufwand zu informieren, sondern biete auch die Möglichkeit, eigene Wettbewerbsstrategien aufzubauen. Darauf verweist auch Daniela Jardot von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg: Die Kammern böten im Bereich Patente und Schutzrechte Fördermittelberatungen, Workshops und regelmäßig Informationsveranstaltungen an. Patrick Merck
IHK-Ansprechpartner für Innovation
IHK Südlicher Oberrhein
André Olveira-Lenz
Geschäftsbereich Innovation und Umwelt Leiter
0761 / 3858-260
andre.olveira-lenz@freiburg.ihk.de
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
Daniela Jardot
Geschäftsbereich Innovation und Technologie | Teamleiterin | Projektleiterin TechnologyMountains e.V.
07721 / 922-121
jardot@vs.ihk.de
IHK Hochrhein-Bodensee
Sunita Patel
Geschäftsbereich Region entwickeln
Referentin Innovation und Technologie
07531 / 2860-126
sunita.patel@konstanz.ihk.de