Mit TÜV-Prüfern gegen grüne Slogans: Die EU und der BGH machen Werbung mit Aussagen zu Umweltaspekten ab sofort sehr gefährlich.
In den Supermarktregalen stehen sie: das „offizielle Getränk einer besseren Welt“ oder die Päckchen und Kästen „klimaneu-traler“ Produkte, die „Gutes über den Tellerrand hinaus“ bieten oder für deren Verkauf Hersteller versprechen, einen Quadratmeter Regenwald aufzuforsten. Unternehmen vieler Branchen werben gern damit, dass sie sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen, sei es der Lieferdienst, der mit dem E-Pedelec zustellt, oder das Tagungshotel, das seinen Strom aus der Solaranlage vom Dach bezieht und über die Wärmepumpe auch heizt und kühlt.
Klimaschutz und Nachhaltigkeit sind Konsumenten zunehmend wichtig. Auch Geschäftspartner wissen ökologische und soziale Vorteile zu schätzen – nicht zuletzt, um ihrerseits damit zu werben. Dabei aber sollten Unternehmen mehr denn je aufpassen: Die EU plant, mit Verbraucherschutzrichtlinien sehr viel schärfer als bislang gegen das sogenannte Greenwashing vorzugehen, manches davon nimmt nun ein aktuelles BGH-Urteil sogar vorweg.
Statt sich das Inkrafttreten der noch nicht erlassenen Green-Claims-Richtlinie mit neuen Regeln für Klimaneutralaussagen oder der Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher – Empowering Consumers Richtlinie (EmpCo) – vorzubereiten, die ab September 2026 Klimaneutralaussagen für Produkte verbietet, sollten Unternehmen bei ihrer Nachhaltigkeitswerbung sofort auf die Bremse treten. Denn Ende Juni legte der Bundesgerichtshof im Fall des Süßwarenherstellers Katjes fest, dass Unternehmen mit dem Begriff klimaneutral nur werben dürfen, wenn sie direkt in der Werbung erklären, was damit konkret gemeint ist (Az: I ZR 98/23).
Folgenschweres Katjes-Urteil
Katjes hatte in einem Fachmedium mit einem Logo und der Aussage „Seit 2021 produziert Katjes alle Produkte klimaneutral“ geworben. Der Verein Wettbewerbszentrale hat dagegen geklagt – und gewonnen: Der BGH stufte die Werbung als irreführend ein, denn Verbraucher könnten ohne Erläuterungen annehmen, das Unternehmen vermeide sämtliche Treibhausgasemissionen, begründet Reiner Münker von der Wettbewerbszentrale die Klage.
Der BGH befand: Der Begriff klimaneutral könne „von den Lesern der Fachzeitung – nicht anders als von Verbrauchern – sowohl im Sinne einer Reduktion von CO2 im Produktionsprozess als auch im Sinne einer bloßen Kompensation von CO2 verstanden werden.“ Doch der Herstellungsprozess der Produkte laufe nicht CO2-neutral ab, stellten die Richter zum beurteilten Sachverhalt klar. Stattdessen unterstützt Katjes über ein Umweltberatungsunternehmen Klimaschutzprojekte und weist in der Werbung auf diese Kooperation hin. Das jedoch reiche nicht.
„Bei einer Werbung, die einen mehrdeutigen, umweltbezogenen Begriff wie ,klimaneutral‘ verwendet, muss zur Vermeidung einer Irreführung schon in der Werbung selbst erläutert werden, welche konkrete Bedeutung maßgeblich ist“, erklärte Thomas Koch der Vorsitzende Richter des Senats bei der Urteilsbegründung. Ein Internetlink in der Werbung, der zu weiteren Informationen führe, reicht dem BGH nicht.
Kompensation reicht nicht
Mit dem Urteil bestätigt der BGH seine Rechtsprechung aus dem Jahr 1988. „Nach bisheriger BGH-Rechtsprechung wird Umweltwerbung – und auch gesundheitsbezogene Werbung – besonders streng beurteilt“, erläutert Constantin Eikel, Partner der Sozietät Bird und Bird. Neu sei, dass der BGH Regeln konkret zum Begriff „klimaneutral“ aufstelle, erklärt der Experte für Markenrecht.
Das BGH-Urteil verpflichtet Unternehmen nun, mehrdeutige Begriffe unmittelbar zu erläutern, „also noch direkt in der Werbung oder auf der Packung“, sagt Eikel. „Nach dem BGH-Urteil können Unternehmen sagen ,Klimaneutral durch Kompensation‘. Verbunden mit einem erläuternden Satz oder einem Link, der zu einer Seite mit detaillierten Erklärungen führt.“
Der BGH machte aber auch klar, dass der Klimaneutralität durch eine Reduktion im Produktionsprozess der Vorzug zu geben ist gegenüber einer Klimaneutralität durch Kompensation. „Wer klimaneutral sagt, muss also nun im gleichen Atemzug sagen, welche Form der Klimaneutralität es ist“, erklärt Eikel. Für Unternehmen misslich: „Wahrscheinlich werden so viele Informationen zur Verfügung gestellt werden müssen, dass Werbung mit Klimaneutralität über Kompensationen unattraktiv und risikoreich wird.“
Keine Übergangsfrist?
Diese neuen Vorgaben des BGH gelten ab sofort. „Jeder Unternehmer, der mit Klimaneu-tralität wirbt, sollte seine Werbung umgehend anpassen und kritisch überprüfen“, sagt Eikel. „Es gibt keine Übergangsfrist.“
Die neuen EU-Vorschriften
Damit nimmt der BGH vorweg, was die EU-Richtlinie zur Stärkung der Verbraucher für den Grünen Wandel (ECGT) ab 27. September 2026 festlegt. Die EU-Verbraucherstärkungsrichtlinie verbietet allgemeine Umweltaussagen wie „umweltfreundlich“, „natürlich“, „biologisch abbaubar“, „klimaneutral“, „ökologisch“ – sofern ohne Nachweise. Die Richtlinie schreibt außerdem vor, dass positive Aussagen über die Umweltauswirkungen eines Produkts nicht mehr mit Emissionsausgleichssystemen begründet werden dürfen. Eikel: „Klimaneutral-Werbung wird damit verschwinden.“
Eine gute Nachricht gibt es zur Green-Claims-Richtlinie der EU, die strenge Regeln für Klimaneutralaussagen für Unternehmen aufstellt – diese aber nicht vollständig untersagt. „Diese Richtlinie hat der EU-Rat jetzt ein ganz kleines bisschen gelockert“, sagt Eikel.
Zur Unterscheidung der beiden Richtlinien: Für Waren und Dienstleistungen im B2C-Bereich bleibt „klimaneutral“ als Aussage komplett verboten, sofern die Klimaneutralität auch auf Zertifikaten beruht. Nur wenn wirklich klimaneutral hergestellt wird, darf damit weiter geworben werden, das regelt die Empowering-Consumers-Richtlinie. Die Green-Claims-Richtlinie regelt dagegen Klimaneutralitäts-Aussagen zwischen Unternehmen. Diese bleibt möglich, wenn der CO2-Ausgleich mit Zertifikaten stattfindet. Dabei sieht die Green-Claims-Richtlinie vor, dass jede nachhaltigkeitsbezogene Werbeaussage mit wissenschaftlichen Gutachten belegt und zertifiziert werden soll. Denkbar hier: eine ISO-Zertifizierung oder Lebenszyklusanalysen wie der von der EU entwickelte „Product Environmental Footprint“ (PEF).
Der TÜV soll‘s prüfen
Beide Richtlinien gehen weit darüber hinaus, was es an Sanktionsmöglichkeiten für irreführende Werbung hierzulande bereits gibt. „Unternehmen können derzeit nur nachträglich Ärger bekommen“, sagt Eikel. „Dagegen sollen Unternehmen mit der Green Claims Directive künftig ihre werblichen Informationen vorab einer Art TÜV-Prüfung unterziehen.“ Der TÜV werde vermutlich auch hierzulande eine der Kontrollinstanzen werden.
„Die Vorab-Prüfung ist das strikteste Element der Green-Claims-Richtlinie“, sagt Eikel. „Die meisten Umweltwerbeaussagen dürfen erst kommuniziert werden, wenn sie freigegeben wurden, was teuer, sehr zeitaufwändig und auch bevormundend ist.“ Auch Kleinstunternehmen sollen der Überprüfung unterzogen werden. Ihnen will der EU-Rat aber 14 Monate länger zugestehen, um die Vorschriften zu erfüllen. Midia Nuri