Die deutsche Wirtschaft kommt aus ihrem Tief nicht raus. Auch in Südbaden nicht. Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, mit Kurzarbeit und Stellenabbau zu reagieren.

Mehr Kurzarbeit, mehr Arbeitslose und pessimistische Industriebetriebe: Der Arbeitsmarkt im Südwesten dreht sich langsam. So ziemlich alle Konjunkturanalysen – ob von der IHK, dem WVIB oder Südwestmetall – kommen derzeit zum gleichen Ergebnis: Der Mittelstand streicht Stellen und baut Personal ab. Wer noch immer nach Fachkräften sucht, für den offenbaren sich dadurch neue Chancen.
Hohe Energiepreise, überbordende Bürokratie, teure Personalkosten und sinkende Auftragszahlen – die Ursachen für die Wirtschaftskrise in Deutschland sind vielfältig und eine nachhaltige Erholung ist nicht in Sicht. Laut der jüngsten Konjunkturumfrage des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags (BWIHK) bewerten lediglich 29 Prozent der baden-württembergischen Unternehmen ihre Geschäftslage als gut, 23 Prozent stufen ihre Lage als schlecht ein.
Der Blick in die Zukunft ist nicht weniger besorgniserregend: Knapp ein Drittel der Unternehmen rechnet in den kommenden zwölf Monaten mit weiterem wirtschaftlichem Abschwung, nur 16 Prozent erwarten eine Besserung. „Die zahlreichen Krisen der vergangenen Jahre hinterlassen ihre Spuren und haben zudem viele strukturelle Probleme offengelegt, mit denen wir noch lange beschäftigt sein werden“, warnt BWIHK-Vizepräsident Claus Paal. Auch am Arbeitsmarkt zeigt sich die Krise: Lediglich zwölf Prozent der Betriebe im Land planen mit neuen Stellen, 27 Prozent kündigen Personalabbau an.
Region: Arbeitslosigkeit nimmt zu
Ein genauerer Blick auf die Regionen offenbart den Ernst der Lage: Im Bezirk der IHK Südlicher Oberrhein ist die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von vier Jahren um fast 6.000 und damit um rund 27 Prozent gestiegen. Viele Unternehmen blicken pessimistisch nach vorn: Laut der aktuellen Konjunkturumfrage wollen nur noch acht Prozent der Unternehmen am Oberrhein neue Stellen schaffen. Jedes vierte Unternehmen plant, Stellen zu streichen.
Parallel dazu nimmt die Kurzarbeit zu. Im Juli 2023 waren im Agenturbezirk Freiburg noch 360 Menschen in 20 Unternehmen betroffen, ein Jahr später sind es bereits 2.180 Beschäftigte in 60 Betrieben. In Offenburg zeigt sich ein ähnliches Bild: Die Zahl der Kurzarbeiter ist von 1.160 in 30 Betrieben auf 1.910 in 80 Firmen gestiegen.
Wie viele Menschen derzeit tatsächlich von Kurzarbeit betroffen sind, lässt sich nicht sagen. Denn die Statistiken der Agentur für Arbeit unterscheiden zwischen angezeigter und realisierter Kurzarbeit. Während Erstere die bloße Absichtserklärung eines Betriebes ist, beziffert Zweitere die tatsächlich umgesetzte Kurzarbeit. Und diese Daten unterliegen einer Wartezeit von fünf Monaten. „So können die angezeigte und realisierte Kurzarbeit auch stark voneinander abweichen, weil beispielsweise die Auftragslage sich schneller erholt als vom Unternehmen vorhergesehen. Da dem Kurzarbeitergeld zwingend eine Anzeige vorausgehen muss, melden Betriebe auch vorsorglich Kurzarbeit an, um sich rechtlich abzusichern“, erläutert Hanspeter Fakler, Pressesprecher der Agentur für Arbeit Freiburg.
Tendenz seit einem Jahr sichtbar
Zurück zur Konjunkturumfrage: Im Kammerbezirk Schwarzwald-Baar-Heuberg ist die Personalsituation in den Betrieben noch angespannter, jedes dritte Unternehmen plant, Stellen abzubauen. „Diese Tendenz gibt es schon seit mindestens einem Jahr“, kommentiert Philipp Hilsenbek, Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik, die Ergebnisse des aktuellen Konjunkturberichts. So hätten schon die vorherigen Umfragen gezeigt, dass vakante Stellen nicht (mehr) nachbesetzt würden. Die Arbeitslosenquote steigt daher. Im Schwarzwald-Baar-Kreis waren im Januar 2024 noch 5.275 ohne Arbeit, jetzt sind es 6.253, was einem Anstieg von 0,7 Prozent auf 5,1 Prozent entspricht.
Im Landkreis Tuttlingen ist die Zahl auf 4.114 angestiegen (von 4,4 auf 4,9 Prozent), im Landkreis Rottweil auf 3.060 (von 3,4 auf 3,7 Prozent). „Trotz Fachkräftemangels ist die Absicht, Personal freizusetzen, stark. Diese Entwicklung ist neu, auch für die IHK“, stellt Hilsenbek fest. Die Agentur für Arbeit verzeichnet im Zeitraum von Juli 2023 bis Juli 2024 einen Anstieg der realisierten Kurzarbeit von 0,9 auf 2,6 Prozent. In absoluten Zahlen: Waren im Sommer 2023 noch 1.880 Mitarbeiter in 70 Betrieben in Kurzarbeit, waren es ein Jahr später schon 5.680 in 230 Betrieben. Aktuell liegen der Agentur für Arbeit Rottweil-Villingen-Schwenningen 80 Anzeigen über Kurzarbeit vor, davon betroffen sind 1.480 Beschäftigte.
„Die anhaltende konjunkturelle Schwäche setzt unseren regionalen Arbeitsmarkt weiter unter Druck“, stellt Thomas Dautel, Geschäftsführers Operativ der Agentur für Arbeit in Villingen, fest. Das Kurzarbeitergeld sei ein wichtiges Instrument für Betriebe, um vorübergehende Arbeitsausfälle zu überbrücken, erfahrene Fachkräfte zu halten und Arbeitsplätze zu sichern. „Aufgrund der Branchenstruktur in der Region Schwarzwald-Baar-Heuberg ist die Kurzarbeiterquote hier besonders hoch: Mit 2,6 Prozent im Juli 2024 waren es mehr als doppelt so viele wie im Landesdurchschnitt.“
In den Landkreisen Lörrach, Waldshut-Tiengen und Konstanz stehen bei der Mehrheit der Industrieunternehmen die Zeichen auf Beständigkeit: 61,5 Prozent von ihnen gehen von einer gleichbleibenden Beschäftigungsentwicklung aus.
28 Prozent der Betriebe sagen voraus, dass Arbeitsplätze wegfallen. Dazu passt, dass mit 51 Prozent die Mehrzahl der Industrieunternehmen Investitionen in Rationalisierungsmaßnahmen plant. Das ist der aktuellen Konjunkturumfrage der IHK Hochrhein-Bodensee zu entnehmen. Verantwortlich für sie ist Geschäftsführer Alexander Graf. „Angesichts der konjunkturellen Lage gestalten sich die Personalplanungen der Unternehmen eher zurückhaltend“, fasst er die Entwicklung zusammen. Auch im äußersten Süden nimmt die Kurzarbeit zu. Im Bereich der Lörracher Arbeitsagentur hat sich die Zahl der Unternehmen in Kurzarbeit von Juli 2023 bis Juli 2024 von zehn auf 40 vervierfacht. Für Konstanz sieht es nicht viel besser aus: Im Juli 2023 waren 40 Unternehmen in Kurzarbeit, ein Jahr später mit 110 fast das Dreifache. Derzeit haben 90 Unternehmen Kurzarbeit angezeigt.
Lichtblick: Dienstleistungssektor
Einziger Lichtblick der Konjunkturumfrage ist laut Alexander Graf der Dienstleistungssektor, nicht nur mit Blick auf die Beschäftigungszahlen: „Hier werden die aktuelle Geschäftslage und die Aussichten mehrheitlich positiv bewertet.“ Geschätzt wird, dass die Zahl der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich zunehmen wird – davon sind 23,9 Prozent der befragten Unternehmen überzeugt. Dennoch bleibt Arbeitslosigkeit ein Thema: Im Bereich Lörrach ist sie von 10.210 auf 11.630 gestiegen, also um 0,6 Prozentpunkte. Die Quote liegt derzeit bei 5,2 Prozent. Um 0,3 Prozent ist die Arbeitslosenquote in Konstanz angestiegen: 16.500 Menschen waren im Januar 2024 arbeitslos gemeldet, aktuell sind es 18.170.
Zeitarbeit wieder stärker gefragt
Stellenabbau-Schlagzeilen sind keine isolierten Einzelfälle. Das zeigt auch die Konjunkturumfrage des Wirtschaftsverbands Industrieller Unternehmen Baden: 53,3 Prozent der befragten Unternehmen geben an, im vergangenen Jahr die Zahl der Beschäftigten reduziert zu haben (2023: 43,3 Prozent). Nur noch 34,8 Prozent vermeldeten einen Anstieg der Beschäftigten – vor einem Jahr gaben 41,4 Prozent der Unternehmen an, ihre Belegschaft aufgestockt zu haben. Die Prognosen bleiben durchwachsen bis schlecht: Nur noch 16,4 Prozent rechnen in den nächsten sechs Monaten mit mehr Beschäftigten, während 26,2 Prozent davon ausgehen, dass der Personalstamm eher sinken wird. Zum Vergleich: Im Januar 2023 gingen lediglich sieben Prozent von einem Rückgang der Beschäftigten aus. 57,5 Prozent erwarten, dass die Zahl der Mitarbeiter gleichbleiben wird.
Dass sich die Lage in den Unternehmen mehr und mehr zuspitzt, hat sich bereits vor knapp zwei Jahren angedeutet: „Der Einbruch kam bei uns bereits im April 2023, also mit fast eineinhalb Jahren Vorlauf“, sagt Tobias Irion, Geschäftsführer von EPS Personalservice in Tuttlingen. Viele seiner Kunden hätten damals Schichten gestrichen, zunächst Mitarbeiter aus der Arbeitnehmerüberlassung reduziert und in Folge dann auch eigenes Personal oft massiv abgebaut. „Seit Juli 2024 zieht die Nachfrage bei uns aber wieder an, da Unternehmen die Produktion wieder hochfahren und zunächst kein eigenes Personal anstellen.“
Demografie-Bombe tickt weiter
Dennoch: „Am Arbeitsmarkt zeigen sich Spuren der konjunkturellen Eintrübung und des Strukturwandels“, sagt Theresia Denzer-Urschel, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Offenburg. Zum Jahresbeginn seien die Arbeitslosenzahlen nochmals deutlich gestiegen, teils auch saisonal bedingt.
Kurzarbeit dient vielen Unternehmen als Brücke, um Fach- und Arbeitskräfte noch zu halten. Denn als langfristige Herausforderung bleibt: „In den nächsten Jahren werden 23.000 Beschäftigte – das sind zwölf Prozent – altersbedingt den Arbeitsmarkt im Ortenaukreis verlassen. Der Bedarf an qualifizierten Fachkräften bleibt also bestehen“, sagt Denzer-Urschel. Unabhängig von konjunkturellen Zyklen bleibe die demografische Herausforderung für den Arbeitsmarkt eine dauerhafte Aufgabe. Daniela Santo