Der Kanzler hat eine Zeitenwende ausgerufen, die Bundeswehr bekommt 100 Milliarden Euro extra und in ganz Europa wird neu über Sicherheit und Verteidigung diskutiert. Man muss kein Prophet sein, um zu sagen: Die kommenden Jahre wird überall mehr Geld in Militär und Rüstung fließen. Doch was bedeutet dies für die Unternehmen der Region?
Ein wenig martialisch fasst Jochen Stäudinger zusammen, was in den vergangenen beiden Jahren bei KNDS Deutschland Mission Electronics in Konstanz passiert ist: „Wir sind explodiert!“ Denn die Auftragseingänge des IT-Unternehmens haben sich nicht weniger als verzehnfacht. „Verrückt“, sagt der Vertriebsleiter. KNDS Mission Electronics ist eine Tochter des deutsch-französischen Rüstungskonzerns KNDS, der 2015 aus der Fusion von Krauss-Maffei Wegmann und Nexter hervorgegangen ist – und etwa den Kampfpanzer Leopard baut.
In Konstanz wird IT für Fahrzeuge und Kommunikation hergestellt. Allein rund 10.000 Geräte für die „taktische Kommunikation der Landstreitkräfte“ soll KNDS Mission Electronics liefern. Und so sind die Auftragsbücher „für die nächsten viereinhalb Jahre voll“, wie Stäudinger sagt. Beim „dicken Batzen für Digitalisierung“ im Rahmen des 100-Milliarden-Euro-Sondervermögens für die Bundeswehr sei man „voll dabei“.
Hoffen auf Personal von Zulieferern
Doch wie kann das 120-Mitarbeiter-Unternehmen eine solche „Explosion“ bewältigen? „Wir haben zwei externe Fertigungen in der Region aufgebaut“, sagt Stäudinger, bei Singen und bei Villingen. Dort wird mittlerweile ein Großteil der Geräte produziert. Doch auch am Stammsitz braucht man mehr Mitarbeiter, vor allem fürs Engineering, das derzeit größte Problem. Denn die attraktive Schweiz lockt Fachkräfte, die ohnehin rar sind. Ein wenig hofft man nun auf Mitarbeiter der konjunkturell gebeutelten Autozulieferer. Wobei Stäudinger die Dimension ins rechte Licht rückt: „Wir kommen aus einer Manufakturfertigung und gehen jetzt in die Kleinserie. Automobilmanager würden darüber lachen.“
Sensoren im Dreischichtbetrieb
Auf Wachstumkurs sieht sich auch Litef in Freiburg. Das seit 2001 zum US-Rüstungskonzern Northrop Grumman gehörende Unternehmen ist einer der weltweiten Spezialisten für „inertiale Navigation“, die Flugzeuge, U-Boote, autonome Fahrzeuge oder auch Flugkörper unabhängig von GPS leitet.
(Foto: Keine ganz normale Elektronikfertigung: Bei Litef in Freiburg geht zurzeit die Sensorik-Produktion für Lenkflugkörper zur Luftverteidigung durch die Decke. Die Produktion wurde verfünfzehnfacht.)
„Durch die Decke“ gehe bei Litef gerade die Sensorik für „Lenkflugkörper zur Luftverteidigung“, wie Geschäftsführer Lutz Kampmann sagt. Hier habe man die Produktion enorm erhöht. Was früher in einem Jahr produziert wurde, läuft heute in knapp einem Monat vom Band. „Wir arbeiten an der Grenze“, sagt Kampmann denn auch. Die Mitarbeiterzahl in diesem Segment wurde von 80 auf 130 erhöht – geschafft wird mittlerweile im Drei-Schicht-Betrieb. Und man werde wohl weiter aufstocken müssen.
Auch bei Litef sind die Auftragsbücher „über Jahre voll“. Entstanden ist Litef, dessen Navigationssysteme unter anderem auf extrem feiner Mechanik beruhen, 1961 übrigens nicht zufällig in Freiburg, wie Kampmann erklärt. Die Kompetenz komme aus der Uhrmacher-tradition des Schwarzwalds. So ist es auch bei der Junghans Microtec aus Dunningen, heute ein Unternehmen von Diehl und Thales. Hervorgegangen aus dem einst größten Uhrenhersteller der Welt, stellt die Defence-Sparte bereits seit vielen Jahren auch Zünder her, bei denen höchste feinmechanische Präzision gefragt ist. Auch hier wächst die Produktion offenbar rasant.
Leopard und Mittelständler
Die Liste ließe sich fortführen. In Oppenau baut Doll Fahrzeugbau achtachsige Auflieger für den Transport von Panzern. Gut 30 dieser Auflieger wurden bereits geliefert, mehr als 200 umfasst der Rahmenvertrag noch. Doll-Geschäftsführer Markus Ehl erklärte dazu bei der Übergabe des ersten Loses: „Mit Hilfe unseres Partner-Netzwerks, das wir über Jahre in Europa aufgebaut haben, kann unser Unternehmen seine Produktionskapazitäten sehr schnell hochfahren. Das ermöglicht es uns, solche Großaufträge in kürzester Zeit umzusetzen.“
Wie gut Mittelständler im Rüstungsgeschäft beteiligt sind, erläuterte laut Bundeswehrjournal zuletzt dessen Abteilungsleiter Ausrüstung, Carsten Stawitzki. Allein hinter dem Kampfpanzer Leopard stünden letztlich rund 140 Unternehmen, darunter viele kleine und mittlere Firmen.
Neue Anbieter in der Branche
In der Sicherheits- und Verteidigungsbranche findet offenbar ein Umbruch statt. Neben traditionellen Rüstungsunternehmen entdecken Start-ups das Geschäftsfeld. „Junge, flinke Unternehmen, oft aus der IT- und KI-Branche, mit skrupelloser Führungsspitze“, sagt dazu Manuel Atug, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastruktur (AG Kritis). Anduril aus den USA etwa, dessen intelligente Drohnen bereits in der Ukraine im Einsatz sind und Einsätze dank künstlicher Intelligenz völlig autonom erledigen. „So etwas entsteht auch bei uns“, warnt der Experte, der auch schon im Bundestag zur IT-Sicherheit gesprochen hat. Seine Sorge: „Hier wird gemacht was technisch möglich ist, inklusive aller Fehler und Gefahren der KI. Gesetze oder Datenschutz werden dabei als hinderlich angesehen.“ Wenn es um die Verteidigungsfähigkeit Deutschlands geht, sieht Atug die drängendste Aufgabe darin, die kritische Infrastruktur hierzulande besser gegen IT-Angriffe von außen zu schützen. „Da gibt es erhebliche Defizite.“
Kanone und Feuerleitsystem des Leopards fertigt Rheinmetall aus Düsseldorf, die wiederum mehrere Standorte im Südwesten betreiben, etwa den Bereich Soldier Electronics in Stockach für Laser-Zielgeräte, eine Nebelmunitionsproduktion in Neuenburg, ein Erprobungszentrum in Schramberg-Sulgen und vor allem eine traditionsreiche Fertigung in Oberndorf mit knapp 300 Mitarbeitern. Letztere geht auf die 1811 gegründete Königlich Württembergische Gewehrfabrik zurück und hieß später Mauser, wo zwischenzeitlich bis zu 9.000 Mitarbeiter beschäftigt waren.
Gegründet von Mauser-Ingenieuren entstand dann 1949 in Oberndorf Heckler & Koch (HK), heute der größte Gewehrproduzent Europas und mit 1.150 Mitarbeitern auch größter Arbeitgeber Oberndorfs – und auch hier sind die Auftragsbücher für mehrere Jahre gefüllt.
100 Millionen für Oberndorf
Derzeit läuft bei Heckler & Koch das „größte Investitionsprogramm der Geschichte“, wie es heißt. Bis 2025 werden 100 Millionen Euro am Standort Oberndorf investiert, die Gewinne fast komplett im Unternehmen gehalten. Im Sommer war Spatenstich für ein neues Schieß- und Montagezentrum für allein 21 Millionen Euro. Heckler & Koch ist auch größter Steuerzahler der Stadt, deren Gewerbesteuereinnahmen trotz anderer schwächelnder Branchen in diesen Tagen gegen den Trend wachsen. „Für 2024 hatten wir 14,5 Millionen Euro geplant“, sagt Bürgermeister Matthias Winter. Jetzt dürften es 15,5 Millionen werden.
(Foto: Beim Handfeuerwaffen-Hersteller Heckler & Koch in Oberndorf sind die Auftragsbücher über Jahre gefüllt.)
Und so ist der Stadtobere froh, die beiden „sehr standorttreuen Unternehmen“ vor Ort zu haben, als Steuerzahler, Arbeitgeber und auch als Sponsoren. Sie spenden etwa Exponate fürs Waffenmuseum und könnten sogar mitverantwortlich dafür sein, dass Oberndorf bald die 15.000-Einwohner-Grenze knacken wird.
Und wie sieht es mit der öffentlichen Wahrnehmung der Branche aus? „Die hat sich verändert“, glaubt Winter. Oberndorf werde „gerne als Schauplatz für Friedensdemos genutzt“, was auch „vollkommen in Ordnung“ sei: „Mir wäre eine pazifistische Welt auch lieber.“ Doch zu den extern angemeldeten Demos komme mittlerweile „kaum noch jemand“. Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Waffen vor allem an Bundeswehr, Nato-Staaten, Polizei und Bundesgrenzschutz gingen. „Wir sprechen hier von sehr verantwortungsvollen Unternehmen. Das transportiert sich jetzt auch nach außen.“
Litef-Manager Kampmann sieht dies ähnlich. „Die früher üblichen Demos, etwa mit Farbbeuteln auf der Fassade, hatten wir schon länger nicht mehr.“ Und auch von der regionalen Politik werde man wieder mehr gehört.
Minenräumer vom Bodensee
„Kein Problem“ im Imagebereich sieht der Schweizer Anbieter Global Clearance Solutions (GCS), der seit 2015 im deutschen Werk in Stockach mit knapp 100 Mitarbeitern Minenräumfahrzeuge herstellt. „Wir werden durchweg positiv wahrgenommen“, sagt GCS-Sprecher Till Oehler.
(Foto: Rüstungsproduktion ohne Imagesorgen: Ein Minenräumgerät von GCS. 60 dieser Fahrzeuge sind derzeit in der Ukraine im Einsatz, weitere 40 sollten folgen. Das entspricht der Jahresproduktion in Stockach.)
Seit 2022 ist man in der Ukraine mit 30 lokalen Mitarbeitern unterwegs. 60 Minenräumer wurden bisher geliefert – finanziert vor allem von der Bundesregierung. Weitere 40 Fahrzeuge – die aktuelle Jahresproduktion in Stockach – sollen folgen. „Das Thema wird die Ukraine noch Jahrzehnte beschäftigen“, ist Oehler überzeugt.
Grund für diese Prognose: Noch immer ist GCS im Irak aktiv. Und in der Ukraine sei die Lage „noch dramatischer“. Bis zu fünf Antipersonenminen pro Quadratmeter seien hier vergraben – teilweise mit darüberliegenden Antipanzerminen. „Das ist schon sehr perfide.“
Ein Boom, der schnell vergeht?
Trotz des aktuellen Auftragsbooms müsse man aber aufpassen, „nicht zu groß zu werden“, spricht Oehler ein Problem des volatilen Rüstungsgeschäfts an. Denn „auch das Thema Ukraine ist irgendwann vorbei“. GCS setzt daher sicherheitshalber auf Diversifizierung – wie andere Rüstungsunternehmen auch.
Nicht alles auf eine Karte setzen – so hält es auch Jürgen Rotzler, Geschäftsführer des gleichnamigen Seilwinden-Herstellers in Steinen im Südschwarzwald. Die robusten hydraulischen Rotzler-Winden kommen bei Feuerwehr, THW, aber eben auch in Berge- und Pionierpanzern zum Einsatz. „Solche Projekte kommen mit großen Volumina, sind dann aber auch schlagartig wieder zu Ende“, sagt Rotzler. Dies zu managen, sei für ein kleineres Unternehmen „nicht trivial“. Daher dürfe der Anteil der Wehrtechnik auch nicht zu groß werden.
Von der aktuellen Dynamik hat Rotzler bislang kaum profitiert. Man spüre lediglich, dass „bei der Bundeswehr die Reparaturen zunehmen“. Mit 270 Mitarbeitern ist Rotzler weltweit aktiv und schaut dadurch anders auf die Situation hierzulande. „Die Bundeswehr wurde 25 Jahre lang kaputtgespart“, sagt er. Um das wieder wettzumachen, „reichen die 100 Milliarden bei weitem nicht aus“. Und er spreche da „gar nicht von Aufrüstung, sondern lediglich von Ausrüstung“. In anderen Ländern der Welt herrsche „ein ganz anderes Selbstverständnis, was die Ausstattung des Militärs angeht“.
Pläne für friedlichere Zeiten
Und welche Rolle können die IHKn beim Thema spielen? „Wenn es um Verteidigungsfähigkeit und kritische Infrastruktur geht, kommen die unterschiedlichsten Branchen ins Spiel“, sagt Philipp Hilsenbek, Standortmanager der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und zählt auf: Transport und Logistik, Energieversorgung, Lebensmittelbranche und medizinische Versorgung. „Hier bilden wir die Nahtstellen, auch überregional und grenzüberschreitend.“ Erst kürzlich habe die Bundeswehr Kontakt zu den Kammern gesucht, um mit Arbeitgebern die Auswirkungen eines potenziellen Einsatzes von Reservisten auf Betriebsabläufe durchzuspielen. „Hier entstehen ganz neue Erfordernisse!“
(Foto: Wenn schwere Fahrzeuge stecken bleiben, kommt Technik aus dem Südwesten zum Einsatz: Hydraulik-Winden von Rotzler finden sich an Panzern wie an Fahrzeugen der Feuerwehr und des THW.)
In der Branche denkt man aber durchaus auch an wieder friedlichere Zeiten. Man entwickle die Navigationstechnik auch für autonome Flugtaxis weiter, sagt Litef-Geschäftsführer Kampmann – oder für den Tunnelbau. Und Heckler & Koch hat kürzlich die neue Tochter HK Sustainable Development gegründet. Denn man wolle die gute Auftragslage auch nutzen, um in neue Geschäftsfelder zu investieren – und zwar „mit Schwerpunkt auf zivilen Technologien“. Jürgen Baltes
So viel Geld fließt ins Militär
Der deutsche Verteidigungshaushalt steigt bereits seit 2015 kontinuierlich an. 2024 liegt er bei knapp 52 Milliarden Euro, 2025 sollen es 53,25 Milliarden werden. Hinzu kommen dieses Jahr knapp 20 Milliarden aus dem Sondervermögen, so dass eine BIP-Quote von knapp über zwei Prozent erreicht wird. Auf Rekordniveau liegen auch Deutschlands Rüstungsexporte mit 12,2 Milliarden Euro 2023. Aktuell wurden bis Ende September elf Milliarden genehmigt, 64 Prozent davon in die Ukraine.
Derweil steigen weltweit die Militärausgaben. Von gut 2,4 Billionen US-Dollar 2023 (inflationsbereinigt plus sieben Prozent), entfielen 37 Prozent auf die USA, weitere 12 Prozent auf China.