Der Wettbewerb Jugend forscht, 1965 vom Stern-Chefredakteur und Herausgeber Henri Nannen ins Leben gerufen, ist Deutschlands größter Nachwuchswettbewerb im MINT-Bereich (Mathematik, Ingenieur- und Naturwissenschaften, Technik) und auch der bekannteste. Bundesweit haben diesmal 12.000 Kinder und Jugendliche mit rund 6.000 Projekten teilgenommen. Davon an zwei Regionalwettbewerben im Südwesten circa 300 mit über 150 Arbeiten. Ausrichter beziehungsweise Paten sind für den Regionalwettbewerb Südbaden die Firma Sick in Waldkirch und für den Wettbewerb in der Region Donau-Hegau die Firma Karl Storz in Tuttlingen sowie die Stadt Tuttlingen.
Anfang Februar herrschte in der Sick-Arena, einer Halle auf dem Freiburger Messegelände, großes Gewimmel. Viele hundert Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 9 und 21 Jahren, dazu Betreuer, Lehrer, Juroren und Sponsoren waren zusammengekommen, um die 90 Projekte der insgesamt fast 180 Teilnehmer in Augenschein zu nehmen. Tagelang hatten diese zuvor, unterstützt von einem 50-köpfigen Team von Sick-Auszubildenden, ihre Stände mit den Arbeiten aufgebaut.
Der Wettbewerb findet statt in den Fachbereichen Arbeitswelt, Biologie, Chemie, Geo- und Raumwissenschaften, Mathematik und Informatik, Physik sowie Technik. Unter dem Namen „Jugend forscht“ stellen die 15- bis 21-Jährigen ihre Ideen vor und unter dem Namen „Schüler experimentieren“ die bis 14-Jährigen. Die jüngste Teilnehmerin in Freiburg war dieses Mal 9 Jahre alt, die älteste 20 Jahre. Über 40 Prozent der Projekte wurden von Mädchen eingereicht. Nicht nur Schüler gehen an den Start, sondern auch Auszubildende. Und nicht nur die Gymnasien aus den Städten sind vertreten, sondern ganz im Gegenteil auch Gesamtschulen, Gemeinschaftsschulen, Realschulen, berufliche Schulen und Grundschulen, breit gestreut auch aus kleineren Orten. Maßgeblich für das Erarbeiten und Einreichen von Projekten sind neben dem Engagement der Kinder und Jugendlichen der Einsatz von Lehrern und/oder Betreuern an Schülerforschungszentren sowie betrieblichen Ausbildern in Unternehmen.
Ganz ähnlich wie in der Sick-Arena in Freiburg war das Bild im Storz-Besucherzentrum eine Woche später in Tuttlingen. Auch hier kamen hunderte Jugendliche – Wettbewerbsteilnehmer und Zuschauer –, Juroren sowie Vertreter der Ausrichter zusammen. Einen Tag später fand dann vor großem Publikum die Siegerehrung in der Stadthalle Tuttlingen statt.
Karl-Christian Storz, Firmenchef von Karl Storz, betonte, dass es für die Teilnahme „Mut, Ideen, Kreativität und Out-of-the-box-Denken braucht, das heißt die Fähigkeit, bestehende Strukturen kritisch zu hinterfragen und neue Lösungen zu finden. Diese Fähigkeiten brauchen wir in unserer Gesellschaft, um Zukunft zu gestalten und Wandel zu fördern“. Und der Tuttlinger Oberbürgermeister Michael Beck meinte: „Es ist für eine Hightech-Region wie unsere entscheidend, dass die Forschung Nachwuchs bekommt. Die Firmen sind darauf angewiesen, junge Talente schon früh zu erkennen und zu fördern.“ In Freiburg war der Wettbewerb ebenfalls mehrtägig, hier wurden die Sieger wiederum in der Sick-Arena vorgestellt und geehrt. Cornelia Reinecker, Personalleiterin der Sick AG, zeigte sich beeindruckt, „mit wie viel Erfindergeist, Neugier und Know-how auch dieses Jahr Lösungen für die unterschiedlichsten Probleme gefunden wurden“.
Zünslerschreck, Batteriemanagement
Viele Projekte beschäftigten sich mit aktuellen Themen wie Klimawandel, Digitalisierung sowie Ressourcenknappheit und -schonung. Einige Beispiele:
Im Fachgebiet Chemie des Regionalwettbewerbes Donau-Hegau entwickelte Helen Hauck (17) aus Radolfzell einen „Zünslerschreck“, eine biochemische Waffe gegen den Buchsbaumzünsler. Sie beobachtete, dass in der Gauchachschlucht das indische Springkraut von Insektenbefall verschont blieb. Am Schülerlabor der Universität Konstanz löste sie unter Einsatz verschiedener Extraktionsmittel Inhaltsstoffe aus den Blättern der Pflanze heraus und konzentrierte sie. Sie besprühte damit Buchsbaumzweige und stellte fest, dass diese im Gegensatz zur Kontrollgruppe nicht von der Zünslerraupe angefressen wurden. Der Einsatz eines solchen Extraktes, so Helen Hauck, könnte in Zukunft die Verwendung synthetischer Pestizide reduzieren. Sie gewann den ersten Preis im Fachgebiet Chemie ihres Regionalwettbewerbs.
Ebenfalls ein erster Preis, und zwar im Fachgebiet Technik des Wettbewerbs Donau-Hegau, ging an Jan Reckermann (17) aus Wurmlingen und Sofia Mik (16) aus Spaichingen für ihr „HBM – Hocheffizientes Batteriemanagement 2020“. Sie erarbeiteten am Schülerforschungszentrum Südwürttemberg in Tuttlingen ein System, das die bis zu 200 in Reihe geschalteten Batteriezellen in Akkus individuell unterstützt. Das Problem bei solchen Akkus ist, dass die schwächste Zelle stets die nutzbare Gesamtkapazität bestimmt und die Energie der stärkeren Zellen teilweise ungenutzt bleibt. Reckermann und Mik entwickelten eine Steuerungselektronik sowie eine Optimierungssoftware mithilfe derer alle Zellen beste Leistung erbringen. Somit, so die beiden, erhöhen sich Reichweite und Lebensdauer der Akkus, und Kosten sowie Umweltbelastung werden reduziert.
Saftpresse und Robotersoftware
Im Regionalwettbewerb Südbaden entwickelten die 18-jährigen Schüler Michel Schänzle, Robin Wunderle und Sascha Müller, die demnächst an den gewerblichen Schulen in Waldshut-Tiengen ihr Abitur machen „MRS-Mostfix“, eine wasserkraftbetriebene Saftpresse. Die drei Erfinder entstammen alle Familien, die über Streuobstwiesen verfügen. Ihre mit Unterstützung einer heimischen Schlosserei gebaute Saftpresse funktioniert über einen Anschluss an den Gartenschlauch. Der Apparat kann innerhalb von zehn Minuten circa 40 Kilogramm Äpfel zu zehn Litern Saft verarbeiten. Die Entsorgung ist einfach, man kippt das Gerät einfach um 180 Grad und die Pressrückstände fallen zu Boden. Mit ihrer Presse werden laut Beschreibung der drei Jugendlichen „lange Transportwege von Getränken eingespart und damit die Umwelt geschützt. Außerdem dient die Presse dem Erhalt heimischer Streuobstwiesen, die viele Insekten beheimaten. So kann jeder dem Bienensterben entgegenwirken“. Dieses Projekt errang den zweiten Platz innerhalb des Fachgebiets Arbeitswelt.
Den ersten Platz belegte der 19-jährige Tino Möschle, der kürzlich seine Ausbildung zum Industriemechaniker bei der WTO GmbH in Ohlsbach (siehe Seite 38) beendete. Er programmierte eine Software, die eine vorhandene Software erweitert und durch die Nutzung neuester Sensortechnik eine schnellere und einfachere Steuerung eines Roboters ermöglicht. Hintergrund: In automatisierten Prozessen lohnt sich die Zuhilfenahme von Robotern vor allem bei hohen Stückzahlen und einem geregelten immer wiederkehrenden Ablauf. Montageprozesse mit einer Vielzahl von Varianten und mit geringen Stückzahlen sind meist nicht automatisiert, da dies zu komplex und zu teuer ist. Die Software von Tino Möschle ermöglicht nun die schnelle und einfache Programmierung eines komplexen Montageprozesses und entlastet somit die Arbeiter.
Hintergrund
Die Stiftung Jugend forscht ist ein eingetragener gemeinnütziger Verein, der durch den Wettbewerb sowie andere Maßnahmen das Interesse von Jugendlichen an wissenschaftlicher, hauptsächlich mathematisch-naturwissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Forschung fördert. Schirmherr ist der Bundespräsident. Die Geschäftsstelle der Stiftung befindet sich in Hamburg und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung finanziert sowie vom Stern, dem Gründer des Wettbewerbs, zusätzlich unterstützt. Das Plakat der diesjährigen Kampagne für den Wettbewerb unter dem Motto „Schaffst Du!“ spielt auf die Sorgen vieler Jugendlicher vor Klimaerwärmung und Umweltzerstörung (das Wasser steht uns bis zum Hals) an.
Wie geht es weiter?
Für jeden der Fachbereiche steht eine mehrköpfige Jury zur Verfügung: Das sind Fachlehrer, Ingenieure, Dozenten an Hochschulen, Patentanwälte, leitende Mitarbeiter in den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen von Unternehmen und Ausbilder in Firmen. Sie begutachten die eingereichten Projekte, und sie bestimmen auch die Sieger. Die Fachgebietsgewinner der Regionalwettbewerbe nehmen am Landeswettbewerb teil. Für die Älteren richtet diesen die Firma Bosch in Stuttgart aus, für die Jüngeren die Stadt Bahlingen. Die Gewinner des Landeswettbewerbes wiederum nehmen dann am Bundeswettbewerb teil, der in diesem Jahr im Mai in Bremen stattfindet. In Deutschland gibt es rund 120 Regionalwettbewerbe, in Baden-Württemberg elf. „Südbaden“ ist der größte, „Donau-Hegau“ der zweitgrößte im Land.
Paten und Sponsoren
Paten sind meist erste Adressen unter deutschen Technologieunternehmen, wie hier im Südwesten die Firmen Sick und Karl Storz. In Baden-Württemberg engagieren sich auf der Patenebene beispielsweise Airbus, Bosch, Boysen, EBM Papst, Freudenberg, Roche, Rolls Royce, Zeiss und ZF. Dazu die Städte Bahlingen, Sindelfingen und Tuttlingen. Auch die Duale Hochschule Baden-Württemberg zählt zu den Paten.
Ein direkter Benefit in Form von mehr und/oder besseren Auszubildenden infolge des Engagements bei Jugend forscht wird kaum messbar sein, auch wenn diese Firmen immer wieder ehemalige Teilnehmer oder Gewinner des Wettbewerbs beschäftigen. Mehr dürfte der Imagegewinn zählen und – noch vor der Studiums- und Berufswahl – das Interesse intelligenter junger Leute an MINT-Berufen zu unterstützen. Dies, damit auch zukünftig qualifizierte Fachkräfte in technischen Bereichen die Innovationskraft des Unternehmens vorantreiben, so eine Stellungnahme von Sick. Dass die Firmen ihr Engagement als wertvoll betrachten, kommt auch darin zum Ausdruck, dass es meist langfristig gestaltet ist. Sick war jetzt zum 19. Mal Pate, Storz zum 7. Mal. Bei einem so schönen Wettbewerb auch als Sponsor mitzumachen, zählt offenbar für eine ganze Reihe weiterer Unternehmen. Sick hat dazu beispielsweise Raymond, Auma Riester, Pfizer, Endress + Hauser, den Badischen Verlag, den Europa-Park, Stryker Leibinger und an die 30 weitere namhafte Unternehmen gewinnen können. Auch die IHK Südlicher Oberrhein ist Sponsor.
In Tuttlingen sind Storz und die Stadt bislang unter sich geblieben, hier gibt es aber Sonderpreisstifter, wie die IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, die Handwerkskammer Konstanz, Rotary und die Initiative Schulewirtschaft Baden-Württemberg.
In Deutschland organisieren und finanzieren 160 Paten die rund 120 Wettbewerbe im Jahr. Sie stellen die Räume zur Verfügung, sorgen für die Ausstellungsstände, für die Unterbringung und Verpflegung der Teilnehmer, sie organisieren das Jurorennetz und die Siegerehrung. Die Verwaltung von Jugend forscht in Hamburg schätzt, dass Kosten von 20.000 Euro für circa 100 Teilnehmer entstehen, 40.000 Euro für einen Landeswettbewerb mit circa 80 Teilnehmern – entsprechend mehr, wenn die Teilnehmerzahlen höher sind. Alles in allem, so rechnet die Hamburger Jugend-forscht-Zentrale, wenden die Patenfirmen sowie weitere Partner wie Forschungseinrichtungen, Ministerien und Private (insgesamt 250) um die neun Millionen Euro im Jahr auf.
Was wird aus den Teilnehmern?
Eine Umfrage vor einigen Jahren hat ergeben, dass mehr als 90 Prozent der Teilnehmer ein Studium ergreifen und von diesen wiederum 90 Prozent eine natur- oder ingenieurwissenschaftliche Disziplin wählen. Sie hatten nach Studienabschluss meist keinerlei Probleme, in der Wirtschaft oder in der Forschung unterzukommen. Unter ihnen gibt es mehrere Leibnizpreisträger.
Text: Ulrich Plankenhorn
Bilder: (c)2015 David Pereiras; Stiftung Jugend forscht e.V.; Sick AG; Karl Storz