Wohnraum ist so knapp wie teuer und gebaut wird viel zu wenig. Das stellt Unternehmen zunehmend vor Probleme, weil Mitarbeiter keine Bleibe finden – nicht nur in der Stadt, auch auf dem Land. Also wird immer öfter selbst gebaut, gekauft oder angemietet…
Am Hauptsitz des Logistikdienstleisters Karldischinger in Ehrenkirchen entsteht direkt hinter den grünen Lagerhallen ein großer Holzbau. 52 Wohnmodule sollen hier ab Dezember bezugsfertig sein – und stehen sinnbildlich für eine Renaissance. Denn Werkswohnungen sind wieder ein Thema – wie einst zu Zeiten des Wirtschaftswunders. Temporär unterkommen werden in Ehrenkirchen 15 neue Azubis aus Indien, Lkw-Fahrer und Lageristen. „Top ausgestattete Unterkünfte”, sagt Seniorchef Karlhubert Dischinger dazu. „Alle mit eigener Dusche und WC.”
Einen deutlichen siebenstelligen Betrag investiert das Unternehmen in die Unterkünfte. „Wir tun das, um überhaupt Mitarbeiter zu bekommen”, sagt Dischinger, denn in der Region werde es immer schwerer, eine Wohnung zu finden. Amortisieren werde sich der Invest vermutlich nicht. „Null auf null kommen wir da nicht raus.“
Alle Register ziehen…
In der Vergangenheit hatte Dischinger ein Wohnheim mit 30 Plätzen im benachbarten Kirchhofen gemietet, das aber braucht die Gemeinde jetzt wieder selbst – als Unterkunft für Asylbewerber. Wie andere Firmen auch hat Dischinger bereits etliche Register gezogen: In einem ehemaligen Gasthaus wurden alle 20 Zimmer angemietet, am Baden Airpark ein Haus gekauft. In Vermietergespräche, gerade für ausländische Kollegen, klinkt sich Dischinger mit Garantien ein. „Manchmal funktioniert das.“ Das Fazit des Seniorchefs: „Man hüpft von einem dürren Ast zum nächsten.“
Alle Ampeln auf Rot
Alarmierend liest sich auch der aktuelle Standortmonitor der drei regionalen IHKn. Unter den 33 untersuchten Kriterien zeigte die Farbmatrix bei der „Verfügbarkeit von Wohnimmobilien“ überall Rot – am dunkelsten in Freiburg, Konstanz, Emmendingen und Lörrach. Die IHK Südlicher Oberrhein hat daraufhin gemeinsam mit der Freiburger Stadtbau nochmal genauer nachgefragt. Demnach sehen 60 Prozent der Firmen im mangelnden Mitarbeiterwohnraum ein Standortrisiko. Für die Zukunft fürchten dies sogar 75 Prozent. „Das alarmiert uns”, sagt Alwin Wagner, in Freiburg stellvertretender IHK-
Hauptgeschäftsführer. Inzwischen helfe jeder zweite Arbeitgeber bei der Wohnungssuche, jeder Fünfte hat Wohnungen für Mitarbeiter gemietet, jeder Zehnte gekauft. „Das Thema gehört mittlerweile zum Alltagsgeschäft von Personalern”, weiß Wagner. Man habe selbst schon Mitarbeiter wieder verloren, „weil die hier keine Wohnung gefunden haben”.
Selbst aktiv geworden ist auch der Spaichinger Busunternehmer Jochen Klaiber. An seinen fünf Standorten hat er sieben Apartments angemietet, die „eins zu eins“ an neue Busfahrer weitervermietet werden. „So lange, bis sie etwas Eigenes gefunden haben“, sagt Klaiber – was vor allem für im Ausland angeworbene Mitarbeiter sowie an Hochschul-standorten wie Tuttlingen oder Trossingen oft nicht leicht sei. Anfangs hatte er es auch mit WGs probiert. Doch das „hat nicht so gut funktioniert“.
Akut ist das Wohnungsproblem nicht nur in Ballungsgebieten, sondern auch auf dem Land. Im 1.400-Einwohner-Ort Bubsheim sitzt der Präzisionsteilehersteller Häring – mit 950 Mitarbeitern, weltweit sind es 4.000. Selbstverständlich sei das Thema „äußerst relevant”, heißt es vom Unternehmen. Bereits vor 50 Jahren hatte Firmenchef Anton Häring sein ehemaliges Elternhaus zu einem Sechs-Familien-Haus für Mitarbeiter umgebaut. Als Ende der 1970er-Jahre die Fachkräfte-Anwerbung den Ort wachsen ließ, entstand die Häring-Siedlung mit Werkswohnungen. Über 300 Wohneinheiten habe man geschaffen, Häuser, Wohnungen und Wohnheime. „Menschen brauchen mehr als eine Arbeitsstelle”, sagt Häring, „sie brauchen ein Zuhause”.
Lange Wartelisten
Das Modell der Werkswohnung ist für den Mittelständler „nach wie vor aktuell“. Zuletzt habe man in Bubsheim zwei Mehrfamilienhäuser mit 24 Wohnungen gebaut. Und nach wie vor gebe es etliche Mitarbeiter auf der Warteliste.
Doch manchmal wird das Unternehmerengagement abrupt gebremst. In Schopfheim versucht Manuela Böhler-Szmerlowski vom gleichnamigen Autohaus bereits seit sechs Jahren, eigenen Mitarbeiterwohnraum zu schaffen. Die Idee: Auf das Vertriebsgebäude sollten acht Wohnungen in Holzbauweise gesetzt werden. „Von der Statik her kein Problem.“ Doch das Autohaus liegt im Gewerbegebiet, Wohnbebauung ist da nicht zulässig. Erst als diesen Sommer der Stadtplanungsprozess ISEK 2035 wieder in Gang gekommen sei, habe die Idee wieder Schub bekommen.
Die Umwandlung in ein urbanes Gebiet stehe kurz bevor, allerdings hätten sich die Pläne des Autohauses mittlerweile geändert. „Angesichts der wirtschaftlichen Lage werden wir uns etwas verkleinern.“ Statt Aufstockung werde man einen Teil des Grundstücks nun an einen Investor verkaufen – und sich im neuen Wohn-Gewerbekomplex „zwei bis drei Wohnungen für die Mitarbeiter sichern“. Bis es soweit ist, hilft Manuela Böhler-Szmerlowski persönlich bei der Wohnungsgesuche, schaltet Anzeigen, übernimmt Mietgarantien und beschafft auch schon mal Möbel via Kleinanzeigen.
Neue Netzwerke entstehen
„Inhabergeführte Familienbetriebe nehmen das gern selbst in die Hand“, weiß Arnt von Bodelschwingh, Geschäftsführer des Regiokontext-Instituts, das sich viel mit dem Thema beschäftigt: „Die werden aus akuter Not heraus aktiv.“ Doch hier sieht der Volkswirt einen häufigen Denkfehler: „Ein mittelständischer Maschinenbauer ist kein Immobilienexperte. Man muss nicht alles selbst machen.“
Seine Aufgabe sieht von Bodelschwingh darin, die richtigen Partner zusammenzubringen, Unternehmen, Bauträger, Wohnungsunternehmen, Kommunen. Mit Bahn und TU Berlin etwa hat Regiokontext das Netzwerk Mitarbeiterwohnen gegründet. „Wir erleben immer neue Modelle und Partnerschaften“, sagt der Marktforscher.
In Berlin etwa habe ein bauwirtschaftlicher Arbeitgeberverband ein Haus gebaut, in das sich die Mitglieder nun mit Belegrechten einkaufen. Oder Arbeitgeber – „es gibt ja durchaus Firmen mit vollen Portokassen“ – stellen Wohnungsunternehmen zinslose Darlehen bereit und erhalten dafür im Gegenzug Belegrechte.
Fördern und fordern
Auch Kommunen haben das Thema im Blick. In Rheinfelden nutzt die Stadt eigene Grundstücke mittels Nachverdichtung, um darauf Mitarbeiterwohnen zu realisieren. „Bedauerlicherweise“ sei der Bestand an Werkswohnungen deutlich zurückgegangen, sagt Bürgermeister Klaus Eberhardt. „Prekär“ sei besonders die Situation für Azubis, etwa der örtlichen Chemieindustrie oder der sozialen Berufe. Daher baue die städtische Wohnungsbaugesellschaft derzeit 200 geförderte Wohnungen, darunter
79 Mikroapartments zum günstigen Preis für Azubis oder Berufsanfänger. Das Ganze werde auch von der örtlichen Handwerkskammer unterstützt.
Klotzen statt kleckern?
In Freiburg plant derweil die Uniklinik den Bau von 740 Mitarbeiterwohnungen bis 2030, davon die Hälfte für Auszubildende. Auch die städtische Wohnbaugesellschaft hat das Thema entdeckt. Die Freiburger Stadtbau (FSB) baut derzeit 89 Ein- und Zwei-Zimmer-Apartments, deren Miete 30 Prozent unter dem Mietspiegel liegen soll – „Freiburgs erstes Azubi-Wohnprojekt“, wie es heißt. Der Bezug ist für Sommer 2026 geplant, Unternehmen können sich unter www.wirsüd.de vormerken lassen.
Gleichzeitig baut die FSB Wohnungen, die Unternehmen für ihre Mitarbeiter kaufen können. Als Argumente nennt die FSB die kürzlich verbesserte Abschreibung nach
§ 7 Abs. 5a EstG (Wachstumschancengesetz) sowie die steuerbegünstigte Gehaltsumwandlung für Mitarbeiter.
Der gemeinnützige Freiburger Verein SPES sucht derweil leerstehende Gebäude im ländlichen Raum, um diese mit den Wohnbedürfnissen junger Menschen zusammenzubringen Geschäftsführerin Ingrid Engelhart sagt: Auf dem Land gebe es kaum einen Mietmarkt, die meisten wohnten im Eigenheim. Junge Fachkräfte, die etwa nach dem Studium zurück in ihre Heimat kämen, nicht mehr zu Hause wohnten, aber auch noch kein Eigentum aufbauen könnten, fänden schwer eine passende Unterkunft. Dem gegenüber stehe ein oft hoher Leerstand. In einem ersten Projekt sind nun junge Menschen in ein leerstehendes Pfarrhaus gezogen.
Auf Unterstützung der Kommune bauen auch private Investoren in Balgheim. Dort wollen Unternehmer Bernd Mattes und Projektentwickler Michael Nölle 33 geförderte Wohnungen bauen, die an Unternehmen verkauft oder vermietet werden. Bürgermeister Nathanael Schwarz steht hinter dem Projekt, für welches auch hier das Gewerbegebiet umgewandelt werden muss – ein längerer Prozess. Mitte 2025 soll der Bau beginnen, ein Jahr später fertig sein. Die Vermarktung an Unternehmen der Region startet dieser Tage.
Das Konzept sieht drei Varianten vor: Firmen kaufen Wohnungen, vermieten diese an Mitarbeiter und beantragen die entsprechenden Zuschüsse bei der L-Bank oder BM Bauteam beantragt die Zuschüsse und verkauft die Wohnungen vergünstigt, beziehungsweise vermietet die Wohnungen an Unternehmen und beantragt die Zuschüsse.
Klar ist, dass „die Förderung durch die L-Bank essentiell für das Bauvorhaben ist“. Nur so könne man preisgünstige Mietwohnungen anbieten. „Diese Förderung ist schon toll“, resümiert Nölle – und vermutlich aus diesem Grund für 2024 schon länger ausgeschöpft. Nun gilt es sicherzustellen, dass man beim Fördertopf 2025 dabei ist.
Rückenwind von der Kammer
Ähnlich sieht man das Thema beim Offenburger Bauunternehmen Wacker Bau. Gerade feiert die Firma ihr 150-jähriges Bestehen – und hat in dieser Zeit viele Spuren in Offenburg hinterlassen, darunter für Burda den Stadtteil Albersbösch. „Wir beschäftigen uns jetzt seit gut einem Jahr wieder intensiv mit Mitarbeiterwohnungen und finden es extrem spannend“, sagt Andreas Klein, Geschäftsführer Projektentwicklung. Im Frühjahr hatte Klein beim Offenburger Wirtschaftsforum einen Vortrag zum Thema gehalten. Seither hätten sich einige Firmenchefs gemeldet. Motto: „Wenn Sie so etwas bauen, kaufen wir Ihnen ein paar Wohnungen ab!“
Ein solches Projekt mit mehreren kleineren Partnern kann sich Klein durchaus vorstellen. Kürzlich habe sich aber auch ein Unternehmen mit 300 Mitarbeitern in Lahr gemeldet, das dort 15 bis 20 Mitarbeiterwohnungen braucht. Durch die Förderung lasse sich das Ganze am Ende wirtschaftlich rechnen, ist Klein überzeugt. „Das sehen auch die Banken so.“
Profitieren dürften alle Beteiligten: Das Bauunternehmen kann bauen, der Mitarbeiter wohnt vergleichsweise günstig, und der Arbeitgeber hat gleich zwei Vorteile: Er sichert sich ein Pfund bei der Mitarbeitersuche und schafft gleichzeitig eine Kapitalanlage. Klein: „Das ist ein zyklisches Thema. Es kommt immer wieder dann auf, wenn niemand mehr baut und die Firmen händeringend Mitarbeiter suchen.“
In den Prozess klinken sich nun auch die Kammern ein. Und zwar auf zwei Ebenen, wie Alwin Wagner sagt: „politisch und operativ“. Einerseits werde man mit den Umfrageergebnissen die Politik sensibilisieren – ein Grundsatzpapier haben die zwölf baden-württembergischen IHKn gerade erst veröffentlicht –, andererseits informieren und die Akteure vernetzen. Im Frühjahr 2025 soll ein Kongress in Stuttgart stattfinden, mit Unternehmen, Bauwirtschaft und Spitzenpolitikern. Wagner: „Parallel werden wir das Thema mit einer eigenen Veranstaltung auf die regionale Ebene bringen.“ Jürgen Baltes
Kontakt zur IHK
Wer zum Thema etwas beitragen kann, Fragen oder Anregungen hat, kann sich wenden an:
Alwin Wagner
Stellvertretender Hauptgeschäftsführer IHK Südlicher Oberrhein
0761 3858-107
alwin.wagner@freiburg.ihk.de
Alexander Graf
Geschäftsführer Fachbereich Region entwickeln
IHK Hochrhein-Bodensee
07622 3907-213
alexander.graf@konstanz.ihk.de
Philipp Hilsenbek
Geschäftsbereichsleiter Standortpolitik
IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg
07721 922-26
hilsenbek@vs.ihk.de