Mit vielen Fragen und auch Anregungen im Gepäck ist die Vollversammlung der IHK Südlicher Oberrhein Anfang November nach Stuttgart gereist, um Vertreter der Landesregierung zu treffen. Dabei ging es um die brennendsten Herausforderungen der Unternehmerschaft: vom Arbeitskräftemangel über die Energiewende bis zur überbordenden Bürokratie. Höhepunkt der zweitägigen Exkursion war ein Gespräch mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann.
In entspannter Runde plauderte Baden-Württembergs Regierungschef mit den Unternehmern vom südlichen Oberrhein über die Aufgaben, die aktuell vor ihm und der grün-schwarzen Koalition liegen. Die Entbürokratisierung bezeichnete er als „dickes Brett“. Beinahe schon empört sagte Winfried Kretschmann über bürokratische Hürden: „Jeden Tag erfahre ich, was ich nicht darf.“ – „Wir auch!“, schallte ihm die Antwort der Vollversammlungsmitglieder unisono entgegen.
Mit Blick auf die Windkraftanlagen, deren Genehmigungen derzeit durchschnittlich sieben Jahre dauern, machte der Ministerpräsident deutlich, wie er das Thema Entbürokratisierung angehen möchte. Eine Taskforce soll helfen, damit 1.000 Windräder entstehen – die Zeit von der Planung bis zum Bau soll auf dreieinhalb Jahre reduziert werden. Selbstkritisch gestand Kretschmann: „Es hat allein drei Monate gebraucht, bis die Taskforce stand. Das ist schon ein Beispiel dafür, dass es so nicht mehr funktioniert.“ Die Bürokratie dürfe nicht mehr weiter steigen, lautete daher Kretschmanns Forderung. „Nur so können sich die Unternehmen darauf konzentrieren, wie sie sich auf den Weltmärkten behaupten statt gegen die Bürokratie.“ Eine Bitte richtete der grüne Politiker abschließend an seine Zuhörer: „Nennen Sie uns Ihre Beschwernisse ganz konkret. Denn wenn es in dem einen Fall problematisch ist, ist es das in tausend anderen auch. Also muss ich es ändern.“
Ein weiteres Treffen im Haus der Geschichte an der Stuttgarter Kulturmeile fand mit Nicole Hoffmeister-Kraut statt. Ausdrücklich dankte die Ministerin für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus für die Arbeit der Kammern im Rahmen der Corona-Soforthilfen in Baden-Württemberg. Direkt sprach sie Jens Fröhner an. Der Chief Information Officer der IHK Südlicher Oberrhein hatte die Lösung des vollelektronischen Workflows, den alle Industrie- und Handels- sowie die Handwerkskammern in Baden-Württemberg während des Soforthilfeprogramms im Frühjahr 2020 genutzt hatten, in Zusammenarbeit mit der IHK Stuttgart verantwortet.
Im Dialog mit der Ministerin forderte Toni Schlegel, Betreiber verschiedener gastronomischer Betriebe in Freiburg, eine Reform des Arbeitszeitgesetzes. Für ihn ein wichtiger Punkt im Kampf um Arbeitskräfte. „Eine Modernisierung ist dringend notwendig“, erhielt er Zustimmung von der CDU-Politikerin. „Und zwar nicht nur in der Gastronomie, sondern auch in unserer digitalen Welt.“ Zum Abschied betonte sie, wie wertvoll der Austausch mit den Unternehmern für sie sei: „Diese Gespräche, der direkte Austausch untereinander, sind für mich durch nichts zu ersetzen.“
Um Berufsabschlüsse ging es beim Zusammenkommen mit Theresa Schopper, Ministerin für Kultus, Jugend und Sport. Andreas Volkert, Geschäftsführer der Badischen Stahlwerke in Kehl, berichtete von fehlenden Arbeitskräften in seinem Unternehmen. „Da brauche ich 25- bis 30-Jährige aus dem Ausland, die ich anlerne. Doch dazu sind Konzepte erforderlich. Bei Teilqualifizierungen und der Anerkennung von beruflichen Abschlüssen müssen wir neu denken.“
Ehrenpräsident Steffen Auer, Geschäftsführer von Schwarzwald Eisenhandel in Lahr, stellte ähnliche Probleme beim Blick über den Rhein fest: „Die französischen Fachkräfte beherrschen 80 Prozent der geforderten Tätigkeiten für einen IHK-Abschluss. Warum können sie nicht einfach eine verkürzte Ausbildung von einem Jahr machen, um die fehlenden 20 Prozent aufzuholen?“ Die grüne Politikerin gab Volkert und Auer recht: „Diese lupenreine Trennung, die es da bei uns bei den Berufsabschlüssen gibt, ist ein Problem.“
Erst am späten Abend vor dem Termin mit der Unternehmerschaft vom südlichen Oberrhein war Thekla Walker von der UN-Klimakonferenz im schottischen Glasgow zurückgekehrt. „Die Verbindungen und Netzwerke, die dort entstehen, sind auch für den wirtschaftlichen Austausch hilfreich“, sagte die Ministerin für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft und stellte fest: „Es ist wichtig, gute Ideen zu kopieren.“ Für die grüne Politikerin ist Umweltpolitik auch Wirtschaftspolitik.
Am Beispiel der Wasserstoffwirtschaft im Land machte sie dies deutlich: „Bis 2030 werden hier 16.000 Arbeitsplätze entstehen.“ Nachhaltigkeit dürfe in ihren Augen nicht mehr als „On-Top-Thema“ gesehen werden: „Nachhaltigkeit ist das Geschäftsmodell der Zukunft.“
Andreas Truttenbach, stellvertretender Präsident der IHK Südlicher Oberrhein und Geschäftsführer von RMA Rheinau, kritisierte, dass der bürokratische Aufwand, um Fördermöglichkeiten für die Klimawende in den Unternehmen zu erhalten, extrem hoch sei, gerade für die kleinen und mittelständischen Betriebe. Auch Vizepräsident Reiner Richter, Vorstandsmitglied der Volksbank Lahr, wies darauf hin, dass die Wege für Investitionswillige geebnet werden müssten. Zuspruch bekamen hier beide von der Umweltministerin: „Wir müssen die Bedingungen schaffen, dass die Hindernisse verschwinden. Dann kommen die Investitionen zuhauf.“
Weitere Treffen gab es mit den Fraktionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, Andreas Schwarz, und der CDU, Manuel Hagel. Beide Politiker drängten auf dringend notwendige Veränderungen. „Ein ,Weiter so!‘ reicht nicht“, sagte Schwarz. Hagel mahnte: „Wir müssen eine neue Leistungs- und Verantwortungskultur diskutieren, sonst ist der Wohlstand weg.“
Vertieft wurden die Diskussionen am Abend mit dem Hauptgeschäftsführer des BWIHK, Michael Alpert, und Landtagsabgeordneten aus dem Kammerbezirk: neben Bernd Mettenleiter, Daniela Evers, Alexander Schoch, Sandra Boser und Thomas Marwein von Bündnis 90/Die Grünen auch Patrick Rapp, Volker Schebesta und Willi Stächele von der CDU sowie Gabi Rolland von der SPD.
Alle Politiker betonten, dass sie gern bereit seien, die besprochenen Themen in Freiburg bei den Sitzungen der Vollversammlung oder der Fachausschüsse zu vertiefen. Dieter Salomon, Hauptgeschäftsführer der IHK Südlicher Oberrhein, nahm diesen Auftrag von dem Parlament der Wirtschaft direkt mit: „Laden wir sie also ein!“ IHK-Präsident Eberhard Liebherr forderte die Unternehmer auf: „Lassen Sie uns diesen Spirit jetzt nutzen und aus diesen zwei Tagen etwas machen.“
Text: naz
Bilder: Michael Bode
Eine Bildergalerie zur Reise der Vollversammlung finden Sie hier.