Auch sechs Monate nach dem Ende des zweiten Lockdowns hat der stationäre Einzelhandel im IHK-Bezirk Hochrhein-Bodensee noch immer mit den Auswirkungen der Pandemie zu kämpfen. Das ergab eine IHK-Umfrage, an der rund 70 Händlerinnen und Händler aus der Region teilgenommen haben.
Die überwiegende Mehrheit – genauer 87 Prozent – der befragten Händler gab an, dass noch immer ein beträchtlicher Anteil der Kunden fehlt. Mehr als drei Viertel von ihnen sagen sogar, dass 20 bis 50 Prozent der Kundschaft noch nicht zurückgekehrt sind. Die gesunkene Kundenfrequenz im Vergleich zu 2019 macht sich natürlich auch bei den Umsätzen bemerkbar. 87 Prozent der Händler liegen bei ihren Umsätzen noch immer 20 bis 50 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Gestiegen sind bei knapp 40 Prozent aber immerhin die Onlineumsätze, bei der Mehrheit um 30 Prozent und mehr.
Tatsächlich sind es die Schweizer Kunden, die den Einzelhändlern entlang der Schweizer Grenze fehlen. Von den betroffenen Unternehmen sagen drei Viertel, dass ihnen immer noch bis zu 50 Prozent der Schweizer Kundschaft fehlt.
Furcht vor dauerhaftem Ausbleiben der Kunden
Auf eine schnelle Erholung wagen die wenigsten Einzelhändler in der Region zu hoffen. Rund 70 Prozent glauben, dass die Kundenfrequenz weiter zurückgehen wird. Einige meinen, dass die Maskenpflicht der Rückkehr zur Normalität im Weg stehe. Andere fürchten, dass die Kunden sich in der Pandemie an das Einkaufen online gewöhnt haben und das größere Angebot und die geringeren Preise schätzen.
„Pandemie und Lockdown waren für die Händlerinnen und Händler eine Zäsur mit weitreichenden Folgen. Waren sie unmittelbar nach dem Lockdown noch überwiegend optimistisch, ist die Stimmung heute zunehmend getrübt. Nach einem halben Jahr fehlt noch immer ein substanzieller Anteil der Kundschaft. Das nährt die Befürchtung, manche Kunden würden überhaupt nicht mehr zurückkehren“, sagt der Hauptgeschäftsführer der IHK Hochrhein-Bodensee Claudius Marx zu den aktuellen Ergebnissen.
Seine Einschätzung wird auch von einer Studie des Instituts Imakomm bestätigt, die vom Deutschen Industrie- und Handelskammertag in Auftrag gegeben und Anfang November veröffentlicht wurde. „Unsere Umfrage und die Imakomm-Studie bestätigen noch einmal, in welche Richtung die Entwicklung in den Innenstädten geht, wenn wir sie nicht aufhalten. Sie müssen sich neu erfinden, müssen Aufenthaltsqualität und Einkaufserlebnisse vor Ort bieten, etwas, was der Onlinehandel nicht kann. Der Handel alleine kann das nicht leisten.“
„In vielen Städten und Gemeinden müssen die Zentren wieder mehr zu multifunktionalen Räumen werden, die unterschiedliche Nutzungen nicht nur passiv zulassen, sondern vielmehr aktiv fördern und begünstigen: Verschiedenste Funktionen wie etwa Handel, Handwerk, Arbeiten, Wohnen, aber auch Bildung, Pflege und Kultur sollten in Zukunft wieder verstärkt neben- und miteinander die Innenstädte charakterisieren“, heißt es in der Studie.
Weniger Innenstadtbetriebe wegen Corona
Die Coronakrise hat die Situation in den Innenstädten verschärft und den Wandel beschleunigt. Infolge der Pandemie sank die Zahl der Einzelhandelsbetriebe in Deutschland durchschnittlich um weitere 13 bis 14 Prozent, in der IHK-Region Hochrhein-Bodensee fällt die Zahl etwas geringer aus. „Insgesamt ist die Lage, was Insolvenzen anbelangt, in unserer Region besser als in vielen anderen Teilen Deutschlands – die vielen guten Jahre vor der Pandemie haben die Widerstandsfähigkeit der Unternehmen erhöht, viele haben auch private Ressourcen eingesetzt um durchzuhalten“, sagt IHK-Hauptgeschäftsführer Marx. „Es gibt deshalb bislang nur vereinzelt Insolvenzen und Leerstände in den Innenstädten. Und weil daran allerorten engagiert gearbeitet wird, sind wir zuversichtlich, dass wir uns auch nach der Pandemie über lebendige und vielfältige Innenstädte freuen können.“ Marx betont aber auch, dass das kein Selbstläufer sei. „Auch für die hiesigen Einzelhändler wäre es fatal, wenn sie die Entwicklungen, die sich schon seit 2017 abzeichnen, ignorierten. Wir müssen dem Wandel nicht tatenlos zuschauen, und wir dürfen sinkende Besucherfrequenzen nicht einfach hinnehmen, sondern müssen heute unsere Städte für morgen gestalten.“
Die Imakomm-Studie habe deutlich gemacht, dass Instrumente zur Innenstadtentwicklung, die allein oder im Wesentlichen auf Handelsentwicklung setzen, wirkungslos zu bleiben drohen, wenn die Menschen zu ihrer Versorgung nicht mehr in das Zentrum kommen müssen. Je mehr Anlässe es gibt, eben dieses zu tun – von Unterhaltung über Gesundheit und Gastronomie bis Bildung, Kultur, Arbeit und Wohnen –, desto besser. „Der seit vielen Jahren zu beobachtende Trend – weg von der reinen Einkaufsinnenstadt – wird sich weiter verstärken, und das ist gut so“, meint Marx.
Text: hw
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