Die Badischen Stahlwerke (BSW) haben eine jahrelange Erfahrung darin, ausländische Fachkräfte für ihre berufliche Aufgabe in Kehl vorzubereiten. Im Rahmen des Projekts „ValiKom“ werden berufsrelevante Kompetenzen, die außerhalb des formalen Bildungssystems erworben wurden, bewertet und zertifiziert (validiert). Sieben Ukrainer sollen nun bei den BSW von diesem Verfahren profitieren.
Viacheslav weiß genau, wo seine berufliche Reise hingehen soll. „Ich will in Kehl bleiben und hier bei den Stahlwerken arbeiten. Es ist eine gute Chance für mich, sagt der 38-Jährige, der aus Mariupol stammt und dort in den Iljitsch-Stahlwerken gearbeitet hat. Viacheslav kann schon einige Sätze auf Deutsch sprechen und auch einiges verstehen, für einen Einsatz an seinem neuen Arbeitsplatz reichen die Sprachkenntnisse allerdings noch nicht aus. Der in Deutschland geforderte Qualifikationsnachweis fehlt ihm ebenso. Einen Arbeitsvertrag mit den Badischen Stahlwerken hat er aber trotzdem schon in der Tasche.
Viacheslav ist einer von mehreren Ukrainern, die sich ganz unabhängig voneinander bei den BSW beworben haben. Insgesamt sieben seiner Landsleute sind aktuell Teil eines neuen Projekts, das Geflüchteten die Integration in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglichen soll. „Wir arbeiten bereits seit mehreren Jahren mit der Agentur für Arbeit und der IHK zusammen, um Menschen zielgerichtet zu qualifizieren und in den deutschen Arbeitsmarkt zu bringen“, sagt BSW-Geschäftsführer Andreas Volkert. Beispielsweise französische Grenzgänger mit Berufsabschluss, die sowohl sprachlich als auch fachlich für ihre Aufgabe bei den Stahlwerken vorbereitet wurden.
Grundlage hierfür ist das Projekt „ValiKom“, ein standardisiertes Validierungsverfahren, mit dem Berufskompetenzen jenseits der klassischen dualen Ausbildung in Bezug auf einen anerkannten Berufsabschluss bewertet und zertifiziert werden können. Ziel: Die beruflichen Kompetenzen von Menschen ohne (erfolgreich) abgeschlossene Berufsausbildung sichtbar zu machen, ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern und damit auch ihr Selbstwertgefühl zu steigern. Dieses Verfahren wurde nun im Rahmen der „Job-Turbo“-Initiative von Bundesregierung, Bundesagentur für Arbeit und Partnern aus der Wirtschaft auf Geflüchtete ausgeweitet, um ihnen den Arbeitsmarktzugang zu erleichtern.
Das Problem für die sieben Migranten: Die Ausbildungssysteme in Deutschland und der Ukraine unterscheiden sich so stark, dass die ukrainischen Berufsabschlüsse hierzulande nicht anerkannt sind. Die Geflüchteten haben zwar alle in den beiden Stahlwerken Asow und Iljitsch gearbeitet, doch dies reicht nicht aus, um sie künftig bei den BSW einsetzen zu können. Zudem bringen alle ganz unterschiedliche berufliche Biografien mit. Viacheslav ist Elektriker, Serhii Schweißer und Petro Ingenieur. Manche bringen bereits 20 Jahre Berufserfahrung mit. Um den ersehnten deutschen Abschluss „Verfahrenstechnologe Metall – Eisen-/Stahlmetallurgie“ zu bekommen, drücken die Ukrainer also noch einmal die Schulbank.
Vor der fachlichen Ausbildung stehen zunächst 900 Unterrichtseinheiten Deutsch in den kommenden Monaten an, der die Fachkräfte auf das B1-Niveau bringen soll. Diesen Kurs übernehmen die BSW in Eigenregie. Danach geht es im September gleich weiter mit der zwölfmonatigen Vollzeitqualifizierung, die von der Agentur für Arbeit Offenburg bezuschusst wird. Die ukrainischen Mitarbeiter werden in den ersten Wochen direkt im Stahl- und Walzwerk zum Einsatz kommen. „Es geht darum, das Unternehmen, den Produktionsprozess und die anderen Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen kennenzulernen“, sagt Ausbildungsleiter Michael Enderle. „Die erlernte Sprache, gerade auch die Fachsprache, soll direkt in der Praxis angewandt werden.“ Es folgen mehrwöchige Lehrgänge und eine weitere Vertiefung in den Fachbereichen. Zum Schluss werden alle Kenntnisse abgeprüft, auch die, die schon vor der Qualifizierungsmaßnahme vorhanden waren. Der erfolgreiche Abschluss wird mit einem IHK-Zertifikat dokumentiert.
Die jahrelangen positiven Erfahrungen von Arbeitgebern und Beschäftigten in ganz Deutschland mit dem Validierungsverfahren haben den Gesetzgeber mittlerweile dazu bewegt, einen Gesetzentwurf auf den Weg zu bringen. „Die rechtliche Verankerung des Verfahrens steht unmittelbar bevor, sagt Simon Kaiser. „Die Zertifikate, die die Teilnehmenden erhalten werden, werden künftig eine andere Wertigkeit bekommen. Sie werden sehr nah an einem klassischen IHK-Prüfungszeugnis sein.“
„Ein solch stärkenorientiertes Verfahren haben wir bitter nötig, um unseren Arbeitsmarkt zu entlasten, ist sich Kaiser sicher. „Wir machen seit Jahrzehnten gute Erfahrungen mit unserem dualen Bildungssystem, müssen aber zusehen, dass wir es international anschlussfähig machen.“ Das bedeute auch, Standards zu senken, um im globalen Wettbewerb um Fachkräfte nicht völlig den Anschluss zu verlieren. „Bereits heute attestieren eine ganze Reihe von Studien dem Standort Deutschland, dass er gerade qualifizierten Zuwanderern das Leben unnötig schwer macht. Ein Ausweg kann dabei ein Validierungsverfahren für informell erworbene Berufskompetenzen sein.“
tas
Bild: Sieben Ukrainer machen sich bei den Badischen Stahlwerken auf den Weg, zuerst die deutsche Sprache und danach den Beruf „Verfahrenstechnologe Metall – Eisen-/Stahlmetallurgie“ zu erlernen.