Die Auftragsbücher sind voll – doch Bauteile sind rar. Industriebetriebe leiden unter Lieferengpässen. Ein aktuell großes Thema bei nahezu allen Industriebetrieben, das deswegen auf der Agenda der Sommersitzung des IHK-Außenwirtschaftsausschusses stand. Getagt wurde beim Unternehmen des Ausschussvorsitzenden Christian Bücheler, Transco Süd in Singen. Woran liegt es, dass es überall an Materialen fehlt? Darüber haben wir Ende Juli mit Ernst Härle, Leiter Forschung und Entwicklung bei Siemens Logistics in Konstanz und Ausschussmitglied, gesprochen und erfahren, dass nicht nur die Pandemie für die Knappheit eine Rolle spielt.
Viele Unternehmen in ganz Deutschland berichten von Lieferengpässen bei Rohstoffen oder Vorprodukten. Machen Sie gerade ähnliche Erfahrungen?
Ernst Härle: Gerade in den vergangenen sechs Monaten hat sich die Lage massiv verschärft. Nicht selten kommt es vor, dass sich zugesagte Liefertermine von heute auf morgen verschieben, von wenigen Wochen auf mehrere Monate. Das ist für uns und unsere Kunden natürlich dramatisch. Wir haben uns deshalb neu aufgestellt und unser Team verstärkt, verfolgen die Lieferungen noch genauer. Mit unseren Kunden führen wir einen offenen Dialog, wenn die zugesagten Termine nicht eingehalten werden können. Langfristig werden wir mit unseren Lieferanten noch enger zusammenarbeiten, mehr Zusicherungen geben und festere Verträge schließen, damit die Zulieferer auch besser planen können.
Ist nur die Coronakrise für die aktuelle Problematik verantwortlich?
Wie so oft sind die Gründe vielseitig. Die Pandemie hat zumindest gezeigt, dass lange Lieferwege schnell zu einem Problem werden können. Erst vor wenigen Wochen wurde der zweitgrößte chinesische Hafen von der Regierung wegen Corona vorübergehend geschlossen. Konsequenz: Hunderte Containerschiffe stauten sich im Hafen, und Kunden weltweit warteten auf ihre Waren. Ein anderes Beispiel war die Havarie im Suezkanal. Auch dort ging von heute auf morgen nichts mehr. Die Industrie hat die vielen Schwachstellen komplexer Lieferketten lange unterschätzt. Es ging ja auch gut. Doch sobald ein Zahnrädchen nicht funktioniert, sind die Auswirkungen verheerend.
Wie sieht es in unserer IHK-Region aus?
Fast alle Unternehmen mit weltweiten Lieferketten sind von den aktuellen Lieferengpässen betroffen. Es gibt Probleme bei Rohstoffen, Metallen, Kunststoffen und Vorprodukten. Manche Firmen schicken Teile ihrer Belegschaft nach Hause oder in Kurzarbeit, weil es kein Material gibt. Viele Unternehmen stellen sich nun um. Die Lieferketten müssen einfacher, kürzer und zuverlässiger werden. Möglicherweise werden sich auch die Unternehmen verstärkt nach neuen Produktionsstandorten umschauen, weniger in Asien, dafür mehr in Europa.
Wie lange müssen die Unternehmen noch mit Engpässen rechnen?
Das wird unterschiedlich sein. Bei manchen Produkten wie zum Beispiel Stahl wird sich die Lage schneller entspannen. Anders sieht es bei Produkten wie Mikrochips aus. Dort ist die Nachfrage schlagartig angestiegen und übersteigt das Angebot deutlich. Hintergrund: Kein elektronisches System kommt ohne sie aus, sie stecken dutzendfach in Handys, Waschmaschinen und Autos. Autohersteller benötigen sie vor allem für die E-Fahrzeuge. Da moderne, leistungsstarke Chips einen extrem aufwendigen Produktionsprozess durchlaufen, lassen sich Engpässe nicht so leicht beheben. Denn Produktionskapazitäten zu schaffen, dauert Monate bis Jahre. Hier werden wir auf die Entspannung noch warten müssen.
Interview: hw
Bild: IHK
Bildbeschreibung (oben):
Die Mitglieder des Außenwirtschaftsausschusses auf dem Dach von Transco in Singen.