Wo sind sie sich einig, wo überwiegen die Differenzen? IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx spricht mit Frida Mühlhoff und Manuel Oestringer von Fridays for Future über Klimaschutz in Konstanz.
Claudius: Zum Aufwärmen – was ist unser größtes gegenseitiges Vorurteil?
Frida: Die Wirtschaft interessiert sich nur für Profit, die Zukunft junger Menschen und soziale Gerechtigkeit sind ihr egal. Und deins?
Claudius: Fridays for Future sind privilegierte Kinder aus gutem Haus, die Maximalforderungen stellen, ohne sich groß mit den Folgen und Kosten auseinanderzusetzen.
Frida: Es stimmt, viele von uns kommen aus einem privilegierten Umfeld, aber nicht alle, und man kann nicht alle Unternehmen über einen Kamm scheren. Außerdem fordern wir sozial gerechten Klimaschutz, unser Ziel ist eine klimaneutrale Welt, in der es allen gut geht. Unser Anliegen bleibt richtig: Eine Zukunft zu wollen, ist keine Maximalforderung.
Claudius: Absolut. Und wie die gesamte Menschheit haben auch viele Unternehmen das Thema Klimawandel lange unterschätzt. Wir wissen mittlerweile, dass es sich beim Klimaschutz um das Zukunftsthema überhaupt handelt. Ich glaube, wir werden beim Ziel ganz wenig Dissens haben, dafür viel Diskussion über den richtigen Weg.
Frida: Wenn das Ziel ist, dass die Menschheit noch eine Zukunft hat, dass wir die 1,5-Grad-Grenze einhalten und zwischen 2030 und 2040 weltweit klimaneutral werden, dann sind wir uns einig. Das Ziel alleine reicht aber nicht. Um es einzuhalten, braucht es eine sofortige radikale Reduktion von CO2.
Claudius: Das Ziel darf radikal sein, der Weg darf es nicht. Ob Kohleausstieg, Abschied vom Verbrennungsmotor oder klimagerechter Wohnungsbau, es ist immer dasselbe: Eine Vollbremsung oder eine 180-Grad-Wende würde für viele Unternehmen das Aus bedeuten und Menschen um ihre Arbeit bringen. Damit wäre erst einmal gar nichts gewonnen, aber viel verloren. Das geht besser. Am Ende ist es wie bei Olympia – es gewinnt nicht der, der sich die Latte am höchsten legt, sondern der, der am höchsten springt.
Manuel: Keiner von uns sagt, dass Menschen ihre Arbeit verlieren sollen. Aber wir können auch nicht Branchen stützen, die unseren Planeten zerstören. Es gibt unglaublich viel zu tun, wenn wir in 14 Jahren klimaneutral werden wollen, da wird es viele neue Jobs geben. Aber eben andere. Wir kennen heute schon viele Lösungen, jetzt müssen wir sie anwenden.
Claudius: Diese neuen, anderen Jobs brauchen auch neue, andere Ausbildungen. Das geht nicht über Nacht. Die Wirtschaft entwickelt ständig Lösungen. Damit es für die guten auch einen Markt gibt, braucht es ein komplementäres Regelwerk. Da ist die Politik gefragt. Und der dritte Baustein ist dann die Akzeptanz beim Verbraucher. Erst wenn alle drei Dimensionen zusammenpassen – die wirtschaftliche, die rechtliche und die soziale –, fliegt das Ding. Wenn eine fehlt, hebt es nicht ab.
Frida: Die Gesellschaft möchte mit überwältigender Mehrheit den Klimaschutz, das zeigen die Umfragen bei Wahlen.
Claudius: Solange es nicht ans eigene Portemonnaie geht, allemal. Wenn alle nur noch E-Autos kaufen, wird sich die Wirtschaft umgehend darauf einstellen, versprochen. Unternehmen handeln an dieser Stelle nicht ethisch oder unethisch, sie bedienen schlicht eine Nachfrage. Nur: Wenn es um Verantwortung geht, sollten wir nicht mit dem Finger aufeinander zeigen – der Verbraucher auf die Industrie, die Industrie auf den Verbraucher. Das führt nirgendwohin. Wenn jeder bei sich selbst anfängt, sieht das schon besser aus.
Manuel: Deswegen muss die Politik Rahmenbedingungen schaffen, etwa durch einen realistischen CO2-Preis von 195 Euro pro Tonne, der sowohl für Verbraucher als auch für Produzenten klimaneutrale Entscheidungen nahelegt. Was mir aber tatsächlich Mut macht: In der Vergangenheit fanden große Umbrüche immer in extrem kurzer Zeit statt. Wenn der Wille bei allen da ist, dann kriegen wir auch einen schnellen Umbruch hin zur Klimaneutralität.
Claudius: Das würde ich unterschreiben. Unsere Vorstellung von Fortschritt ist eher linear, während sich technologische Umbrüche exponentiell durchsetzen. Erst läuft es langsam an, am Ende geht es ganz schnell. Auch unser Thema wird Fahrt aufnehmen, wenn die Menschen erkennen, dass ein Leben ohne CO2-Emissionen Spaß machen kann. Es geht gar nicht um Verzicht, wir müssen dieselben Dinge nur anders machen, smarter, effizienter, besser.
Frida: Dass wir unseren Energieverbrauch senken müssen, um aus den fossilen Energien auszusteigen und Verkehr und Heizungen mit Strom zu betreiben, muss ja nicht schlimm sein. Wir brauchen einen Diskurs über Lebensqualität. Ein klimaneutrales Leben wird anders sein, aber nicht schlechter. Ist es Lebensqualität, zweimal im Jahr irgendwohin zu fliegen, oder eher, in einer ruhigen Stadt mit sauberer Luft zu leben?
Claudius: Nimm die Stadt Konstanz als Beispiel. Wenn die Altstadt autofrei wird, dürfen wir nicht darüber reden, auf was wir verzichten, sondern darüber, was daran Freude macht. Wir gewinnen wertvolle Flächen, die wir heute für den ruhenden und den fahrenden Verkehr brauchen, wir gewinnen an Aufenthaltsqualität. Und das ist genau das, was der Einzelhandel, die Gastronomie, die Kulturschaffenden in Konstanz brauchen, wenn sie bestehen wollen gegen Amazon, Lieferando und Netflix.
Manuel: Das klingt doch gut, dann ist eine linksrheinisch autofreie Stadt Konsens. Damit müssen wir auch bald loslegen, weniger Parkplätze, besserer ÖPNV.
Claudius: Ja, aber … Zu jedem Verbot muss ein Angebot dazu. Die Autos, die dann nicht mehr in die Altstadt fahren dürfen, sind ja nicht weg, sie sind nur woanders. Und die, die drinsitzen, möchte ich ja als Gäste empfangen und von der neuen Qualität überzeugen, nicht vergraulen. Das Verbotsschild ist schnell aufgestellt. Aber erst, wenn die Menschen ihr Auto in einem digital gesteuerten Parkhaus abgestellt haben, wenn sie leicht und smart in die Innenstadt kommen und wieder zurück, erst dann haben wir unseren Job getan. Meine Vision ist, dass in zehn Jahren Besuchergruppen nach Konstanz kommen, um sich anzuschauen, wie wir das gemacht haben.
hw
Miteinander diskutiert haben:
Claudius Marx (Bild oben): 62 Jahre alt, hat Jura studiert und ist seit 2006 Hauptgeschäftsführer der IHK in Konstanz.
Frida Mühlhoff (Bild Mitte): 17 Jahre alt, geht auf ein sozialwissenschaftliches Gymnasium und ist seit zwei Jahren bei Fridays for Future (FFF) aktiv.
Manuel Oestringer (Bild unten): 25 Jahre alt, studiert Chemie an der Uni Konstanz und ist seit zwei Jahren bei FFF aktiv. Politisch engagiert er sich aber schon länger.