Mit so vielen Reaktionen hatten die Mitarbeiter der Agentur Naturblau aus Orsingen-Nenzingen nicht gerechnet. Per E-Mailing an Kunden, Partner, Lieferanten und die Medien im Juli 2020 hatte die Werteagentur am westlichen Bodensee darauf aufmerksam gemacht, dass sie ab 1. August 2020 das Arbeitsmodell der Vier-Tage-Woche austesten wolle. Jeder Freitag solle von nun an frei sein. Für alle Mitarbeitenden – vom Azubi bis zum Geschäftsführer – und bei gleichbleibendem Gehalt.
Kaum war diese Botschaft rausgegangen, kamen unzählige Rückmeldungen, die von „Glückwunsch“ bis zu „Ihr traut euch ja was Tolles“ reichten.
Auch wenn die Einführung des Modells mit der Coronapandemie zusammenfiel, hatte sie laut Ralph J. Schiel nichts damit zu tun. „Die sich immer schneller drehenden Hamsterräder stehen oft im Widerspruch zu den vielen technischen und gesellschaftlichen Errungenschaften, die einem eigentlich das Leben erleichtern und Zeit verschaffen sollten, aber im Alltag oft genau das Gegenteil bewirken“, erklärt er seine Beweggründe. „Wir setzen mit unserem Modell einen Gegenpol.“
Das funktioniert folgendermaßen: Die Wochenstunden aller alten und später auch der neuen Vollzeitkräfte wurden von 40 auf 32 Stunden reduziert. Bei einer Teilzeitkraft mit einem Umfang von 60 Prozent übernahm die Agentur ein Drittel der Stunden, und zwei Drittel verteilte die Mitarbeiterin auf die anderen vier Tage. Laut Schiel müssen die Mitarbeiter nun nicht mehr in kürzerer Zeit arbeiten, sondern kompakter und effizienter. „Es ist ein vorausschauendes und mehr priorisierendes Arbeiten“, sagt er.
Die Resonanz der Beschäftigten ist positiv: „Ein freier ganzer Tag bringt mir privat deutlich mehr, als jeden Tag ein bissl früher heimzukommen“, sagt Andrea Franke. Ihr Kollege Mikel Jahn Diez de Arizaleta betont: „Vier-Tage-Woche ist, wenn man sich nach einem langen, entspannten Wochenende wirklich auf die Arbeit freut. Wenn man Montagmorgen aufsteht und positive Energie und Lust für den Tag hat.“ Und Katrin Kassel sagt: „Für mich eine fortschrittliche und gesunde Art, Beruf und Leben miteinander zu verbinden.“ Und die Kunden, so berichtet Geschäftsführer Schiel, hätten sich daran gewöhnt, dass das Wochenende bei Naturblau schon am Donnerstagabend beginnt.
Für die Vier-Tage-Woche gibt es international Vorbilder: Die neuseeländische Ministerpräsidentin wirbt derzeit auch aufgrund der Coronapandemie für dieses Modell – auch um die Wirtschaft wieder anzukurbeln. Und die spanische Regierung testet die Vier-Tage-Woche landesweit zusammen mit 200 Unternehmen über drei Jahre hinweg.
red