Selten gab es so viel Beifall für einen Gastredner beim Neujahrsempfang der Wirtschaftskammern in Konstanz wie dieses Mal für Peter Altmaier. Er ließ kaum ein Thema aus, das den Unternehmern (über 1.000 Gäste waren gekommen) derzeit auf den Nägeln brennt.
Die Zuhörer zog Altmaier schnell in seinen Bann. Kaum auf der Bühne, entledigte er sich schwungvoll seines Jacketts, krempelte die Ärmel hoch und ergriff die Mikrofone. Auf seine Leibesfülle anspielend meinte er, seit Jahren sei er der gewichtigste Minister am Kabinettstisch und er setze sich mit seinem ganzen Gewicht für mehr Investitionen und Existenzgründungen ein – wer würde ihm da noch glauben und folgen, wenn er stark abnehme? Im Übrigen dürfe er die Grüße der Bundeskanzlerin und der Ministerrunde ausrichten – auch die CSU-Minister würden da sicher nicht ihr Veto einlegen.
Doch zum ernsten Teil der Rede: Die Deutschen könnten und müssten sich für die Zukunft hohe Ziele setzen und sich etwas zutrauen. Viele Länder hätten großes Vertrauen in uns und bewunderten uns aufgrund unseres intakten Staatswesens, unserer florierenden Wirtschaft und unserer meist funktionierenden technischen Einrichtungen. Allerdings, was den großen deutschen Unternehmen im Ausland ohne Weiteres gelinge, nämlich die schnelle Realisierung höchst anspruchsvoller Projekte, brauche im Inland häufig ewig oder ginge erstmal völlig daneben, wie beispielsweise der neue Berliner Flughafen, mit dem wir uns blamiert hätten. Auch die Mobilfunktelefonie und die flächendeckende Ausstattung mit Glasfaserkabeln seien schwierige Themen.
Und es gebe derzeit zu wenig neue Unternehmer, die ins Risiko gehen wollten. Dabei bildeten sie einen wichtigen Grundstein für das Funktionieren der Marktwirtschaft. Hier gelte es, am Rollenbild des Unternehmers in der Gesellschaft anzusetzen, das zu negativ sei. Gewinnstreben dürfe nicht verteufelt, sondern ganz im Gegenteil, es müsse anerkannt werden, weil davon alle, auch die Schwachen lebten. Zu den aktuellen Krisen: Im Handelskonflikt zwischen den USA und der EU sei seit Sommer ein Waffenstillstand eingetreten, gelöst sei er noch nicht. Der Streit zwischen den USA und China sei wegen unserer hohen Exportquote von 51 Prozent gefährlich. Märkte müssten offenbleiben. Deswegen habe die EU eine ganze Reihe neuer Freihandelsabkommen abgeschlossen, wie mit Japan und den Mercosur-Staaten. Der Brexit wiederum werde Kollateralschäden auf allen Seiten zur Folge haben, und diese seien umso höher, je ungeregelter der Austritt erfolge. Dies werfe ein Licht auf die EU: Für uns Deutsche sei sie bei all ihren Fehlern das Beste, was uns in vielen Jahren passiert sei. Übrigens sei er davon überzeugt, dass der Aufschwung in Deutschland auch im zehnten Jahr weitergehe. Allerdings dürfe man ihn nicht kaputtreden. Und wie den Aufschwung von politischer Seite aus stützen? Jetzt sei es an der Zeit, diejenigen, die mit ihrer Arbeit einen großen Teil zum Aufschwung beigetragen hätten, zu entlasten. Es gehe um eine Unternehmenssteuerreform und vor allem um die Einbeziehung aller in das Ende des Solidaritätszuschlages. Der Soli habe alle belastet, also müssten jetzt auch alle entlastet werden. Das nun auf dem Tisch liegende Fachkräfteeinwanderungsgesetz müsse schnell kommen.
Und zum Abschluss noch zwei Lieblingsthemen von Altmaier: Er setze sich sehr für eine europäische Batterieproduktion ein. 50 Prozent der Wertschöpfung beim Elektroauto wären im Ausland angesiedelt, wenn wir keine Batterieproduktion aufzögen. Sein Ministerium habe dafür eine Milliarde Euro zur Verfügung gestellt. Das zweite Thema ist die Künstliche Intelligenz. Die Kardinalfrage sei dabei: Wird das Internet die Maschinen kaufen oder umgekehrt? Wer über keine der großen Plattformen auf diesem Gebiet verfüge, gerate schnell ins Abseits.
IHK-Präsident Thomas Conrady stellte seine Neujahrsrede unter die Stichworte „zusammen“ und „gemeinsam“ und stellte die Werte, die dahinter stehen wie Gemeinschaft, Solidarität, Konsens, Arbeitsteilung und Zusammenhalt in Gegensatz zu dem, was derzeit auf allen Ebenen zu beobachten sei: jeder für sich und jeder gegen jeden. Das fange auf der globalen Ebene an, beim Infragestellen von Organisationen wie den Vereinten Nationen, der Nato, der WTO, was den Multilateralismus in Gefahr bringe. Beispiel dafür: das Prinzip „America First“ von Donald Trump. Und die Europäische Gemeinschaft? Dem Binnenmarkt verdankten wir einen Großteil unseres Wohlstandes. Und er sei nach wie vor der Zielmarkt Nummer eins für unsere exportierenden Unternehmen. Im Norden der Gemeinschaft stünden heute aber die Briten am Abgrund eines ungeordneten Brexits, im Süden provozierten Populisten mit einem Haushalt, der die Regeln der Eurozone offen missachte, im Osten zeigten Polen und Ungarn wenig Dankbarkeit für eine Gemeinschaft, der sie einst unbedingt angehören wollten, und im Westen schließlich ringe unser Nachbar Frankreich gerade mit sich selbst. In der Region allerdings liefe es ziemlich gut, und mancher im Ausland frage sich, was denn die Bedingungen für diesen Erfolg seien. Er, Conrady, könne da auf die duale Ausbildung verweisen, in der die Worte „gemeinsam“ und „Solidarität“ zum Tragen kämen: 2.000 von 40.000 Mitgliedsunternehmen der IHK bildeten junge Menschen aus, und alle könnten sich aus dem dann entstehenden fortwährend gespeisten Pool bedienen, auch jenseits der Grenzen. Eine gemeinsame Einrichtung sei auch die IHK, deren Vollversammlung für die nächsten fünf Jahre demnächst gewählt würde. Über hundert Unternehmerinnen und Unternehmer stellten sich dann wieder zur Wahl. Er sei überzeugt: „gemeinsam gewinnt“.
In eine ähnliche Kerbe schlug Gotthard Reiner, Präsident der Handwerkskammer Konstanz. Auch er forderte mehr Solidarität und Gemeinsinn, mehr Verantwortungsbewusstsein. Die Politik lobte er für den Entwurf des neuen Fachkräfteeinwanderungsgesetzes, das gestatte, qualifizierte Menschen, die bereits bei uns sind, zu halten oder zu qualifizieren. Das sei auch nötig, rund ein Fünftel der Handwerksbetriebe seien derzeit zu über hundert Prozent ausgelastet. Vernünftig sei auch die Wiedereinführung des Meistertitels in 37 Gewerken.
Text: upl, Bilder: Oliver Hanser