Reisehemmnisse, Beherbergungsverbote, Lockdown: Seit Beginn der Pandemie liegt auch die Reisewirtschaft am Boden. Bis auf wenige Monate im Sommer 2020 haben Reisebüros, Reiseveranstalter oder Reisebusunternehmen quasi ein Berufsverbot. Nahezu alles, was sie anbieten, ist derzeit nicht erlaubt. Für viele dieser Unternehmen ist die Lage dramatisch. Laut dem Deutschen Reiseverband (DRV) fürchten allein unter den Reisebüros 70 Prozent um ihre Existenz.
Das geht aus einer aktuellen Umfrage des DRV unter Reisebüros und Reiseveranstaltern zu den wirtschaftlichen Auswirkungen durch die Coronapandemie hervor. Fazit: Die Lage ist ernst. Die Reisewirtschaft leidet wie kaum eine andere Branche unter der eingeschränkten Reisefreiheit. Fast alle der befragten Unternehmen gaben an, staatliche Hilfen wie zum Beispiel die Überbrückungshilfen oder Kurzarbeitergeld in Anspruch zu nehmen. Neben einer Verlängerung dieser Hilfen fordern sie vor allem ein verlässliches Restartkonzept. Eine Forderung, die auch seitens der Industrie- und Handelskammern immer wieder an die Politik herangetragen wird. Bis die Reisebranche wieder zur Normalität zurückkehren wird, dauert es wohl noch eine Weile. Es wird damit gerechnet, erst 2023 wieder auf dem Niveau des Jahres 2019 zu sein.
In dieser Folge unserer Schwerpunktserie möchten wir über diese Unternehmen sprechen, wie es ihnen geht, welche Perspektiven sie sehen und was sie sich von der Politik wünschen.
hw
„Schotten dicht und abwarten“
Interview mit Alexander und Alexandra Growe, Reisebüro Growe, Gottmadingen
Wie geht es Ihnen und Ihrer Branche, den Reisebüros?
Die Lage in unserer Branche ist sehr ernst. Einige Inhaber von Reisebüros, die kurz vor dem Renteneintrittsalter sind, haben schon aufgehört. Früh in der Pandemie ist ein Mitbewerber im Bereich Busreisen aus dem Hegau in die Insolvenz gegangen. Wir wissen außerdem von drei weiteren Reisebüros im Hegau, die ihre Türen für immer geschlossen haben. Die Pandemie hat wohl wenige Branchen so hart getroffen wie die Reiseunternehmen.
Was ist gerade noch für Sie möglich?
Schotten dicht und abwarten – einfach überleben. Wir sind telefonisch für unsere Kunden erreichbar und führen jeden Tag Informationsgespräche. Das hält uns aufrecht, denn die Kunden wollen wieder reisen – nur nicht unter den aktuellen Umständen. Quarantäne bei der Rückreise, PCR-Tests, Rücktrittsversicherungen: Das alles macht das Reisen zurzeit uninteressant. Viele Kunden möchten jetzt auch erst einmal ihre zweite Impfung abwarten und dann über Reisepläne nachdenken.
Wie lange können Sie noch durchhalten?
Zusammen mit den Hilfen und den eigenen Reserven, welche wir auflösen mussten, konnten wir durchhalten. Jetzt stellt sich uns die Frage, wie viel der Altersvorsorge wir bereit sind zu opfern. Da wir aber auch nicht aufgeben möchten, werden wir wohl noch eine Weile durchhalten müssen. Wir hoffen sehr, dass es uns möglich sein wird, für die Rente später wieder etwas anzusparen.
Glauben Sie, dass die Pandemie die Reisewirtschaft verändert hat?
Ja, wir bekommen jetzt schon mit, dass die Reisen teurer geworden sind. Die Airlines haben auch ihre Flotten verkleinert. Ob große Flugzeuge wie der A380 mittelfristig überhaupt noch weiterfliegen werden, scheint mehr als ungewiss. Durch die Reduzierung von Passagierplätzen in den reduzierten Flotten erhöht sich somit der Anteil pro Ticket, und diese werden teurer. Auch Schiffe, die nur zu 50 bis 70 Prozent ausgelastet sein dürfen, werden ihre Preise erhöhen, für Hotels dürfte das gleiche gelten.
Welche Unterstützung würden Sie sich wünschen?
Da wir jetzt praktisch schon mehr als ein Jahr ein Berufsverbot haben, wäre ein Unternehmerlohn eine tolle Sache. Ansonsten wünschen wir uns, dass die Impfkampagne mehr an Fahrt aufnimmt und die Menschen ab Juli wieder in viele Länder ohne Quarantäne reisen dürfen. Damit wäre uns schon sehr geholfen. Wir feiern als Familienbetrieb in diesem Jahr unser 50-jähriges Jubiläum. Meine Eltern gründeten den Busbetrieb 1971. Aber nach Feiern ist uns nicht zumute. Wir hoffen, dass wir unser Fest im kommenden Jahr nachholen können.
Interview: hw
„Auch 2021 abschreiben“
Lothar Klein, Reisebusunternehmer, Binzen
Die Bustouristikbranche ist derzeit wegen Corona zum Nichtstun verdammt. Einnahmen fehlen, Kosten bleiben, keine Perspektive. „Das Jahr 2021 können wir eigentlich auch abschreiben“, sagt Lothar Klein. Der Reisebusunternehmer aus Binzen gehört zu einer Branche, die durch die Coronakrise quasi ein Berufsverbot erlebt. „Es ist ja alles untersagt, wo sollten wir die Leute auch hinfahren.“ Im März 2020 hat er seine beiden großen Busse abgemeldet. Bis auf eine kurze Pause im Sommer 2020 stehen sie auf einem Lkw-Gelände. Einmal in der Woche fährt er auf dem Privatgelände einige Runden. „Die Busse müssen regelmäßig bewegt werden, sonst entstehen Standschäden.“ Obwohl die Busse seit Monaten stillstehen, kosten sie Klein eine Menge Geld. Zwar würden aktuell keine Steuern und Versicherungen anfallen, sehr wohl aber viele Tausend Euro Tilgung für den Kredit. „Meine Einkünfte liegen bei nahezu Null Euro. Nur einen kleinen Bus nutze ich ab und zu für kleinere Fahrten wie zum Flughafen. Das ist aber nur ein Tropfen auf den heißen Stein.“
Natürlich seien die Unterstützungsprogramme hilfreich gewesen, doch die ständigen Änderungen und späten Auszahlungen bleiben eine weitere Belastung, sagt der Unternehmer. Unfair findet er die schnellen und milliardenschweren Hilfen für die großen Unternehmen in der Branche. Eigentlich würde er am liebsten alles hinschmeißen und aufhören. Doch das könne er sich nicht leisten. „Der Gebrauchtmarkt für Busse liegt am Boden, die Preise sind im Keller. Ich würde mit Schulden zurückbleiben.“ Für den gebürtigen Rheinländer heißt es deswegen: Weitermachen! Wie, das weiß er noch nicht, denn Lothar Klein bezweifelt, dass sich die Busbranche so schnell erholen wird. „Gruppenfahrten werden kleiner werden und für den Urlaub nutzen die Leute wohl eher das Auto oder das Wohnmobil. Wann Schulreisen oder Geschäftsreisen wieder stattfinden können, ist ungewiss.“ Klein befürchtet, dass 20 bis 30 Prozent der Reisebusunternehmen die Pandemie nicht überstehen werden. „Der Rest wird sich einen erbitterten Preiskampf um die wenigen Anfragen liefern. Dabei müssten wir eigentlich die Preise anheben.“
Der Bus muss rollen, sonst lohne sich der Betrieb nicht, sagt Klein. „Ein Beispiel: Ich fahre eigentlich jedes Jahr mehrere Reisegruppen zu den Cannstatter Wasen nach Stuttgart. Nach Abzug aller Kosten bleiben von einer Hin- und Rückfahrt 150 Euro übrig. Die Margen in meiner Branche sind sehr gering. Egal wie viel wir an Aufträgen bekommen werden, den Umsatzausfall durch die Pandemie werden wir kaum kompensieren können.“
Falls es im Sommer zu Lockerungen kommen sollte, wird sich Lothar Klein gut überlegen, ob er seine Busse wieder anmeldet. Für eine Fahrt in der Woche lohne sich die Anmeldung nicht. Er hat die Aufwendungen überschlagen und würde mindestens mehrere Tausend Euro für das Reaktivieren benötigen. Hinzu kommt, dass viele Busfahrer sich mittlerweile beruflich umorientiert haben und nicht mehr zurückkommen werden. Ganz die Hoffnung möchte der erfahrene Busunternehmer aber nicht aufgeben. „Vielleicht haben wir Glück und können im Dezember wieder die Weihnachtsmärkte anfahren.“
hw