Der Nationalrat und der Ständerat der Schweiz haben sich dafür ausgesprochen, die 300-Franken-Freigrenze bei der Einfuhrumsatzsteuer auf 50 Schweizer Franken zu senken. Der Bundesrat muss nun einen Vorschlag zur Umsetzung vorlegen. IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx bewertet die Entwicklung mit dem Fokus, was diese für den hiesigen Einzelhandel bedeutet.
Die Forderung nach einer Absenkung der Freigrenze bei der Einfuhrumsatzsteuer für Einkaufstouristen aus der Schweiz ist eine alte Bekannte, das Anliegen wird in der Innenpolitik der Schweiz seit Jahren wiederkehrend vorgetragen. Neu ist allein, dass es aktuell auf fruchtbareren Boden gefallen zu sein scheint. Und auf den ersten Blick ist das Anliegen ja auch plausibel – warum sollte ein Land ein Phänomen, den grenzüberschreitenden Einkaufstourismus, steuerlich fördern, das seiner eigenen Ökonomie wenig Nutzen bringt? Auf den zweiten Blick ist der Vorstoß indessen doppelt fraglich: Fiskalisch ist die Abschaffung der Freigrenze unattraktiv, weil die Gründe für ihre Einführung in allen Ländern – auch in Deutschland – dieselben sind und unverändert fortbestehen. Der Verwaltungs- und insbesondere der Kontrollaufwand stehen in keinem guten Verhältnis zum Ertrag. In der Schweiz wiegt dieses Argument sogar dreimal schwerer als in den Mitgliedstaaten der EU, weil die dortigen Steuersätze, gemessen an den in der EU üblichen 19 bis 24 Prozent nur etwa ein Drittel betragen. Am Beispiel: Wer in Deutschland Lebensmittel einkauft, die dem abgesenkten Umsatzsteuersatz unterliegen, müsste diesen Einkauf bei der Einreise in die Schweiz mit 2,5 Prozent versteuern. Es ist schwer vorstellbar, wie der danach fällige Betrag eingezogen und kontrolliert werden sollte, ohne dass der Aufwand dafür den Ertrag erreichte oder gar überstiege.
Aber auch als ein Instrument, das Einkaufserlebnis der Schweizer in Süddeutschland zu trüben und so das Phänomen Einkaufstourismus „einzubremsen“, taugt die Abschaffung der Freigrenze wenig, und das aus demselben Grund: Weil die Mehrwertsteuersätze in der Schweiz mit 7,7 und 2,5 Prozent so niedrig sind, fiele für einen durchschnittlichen Einkauf im Wert von 75 Euro je nach Zusammensetzung des Warenkorbes eine Einfuhrumsatzsteuer von drei, vier oder fünf Schweizer Franken an, das entspricht etwa der Parkgebühr für zwei Stunden in der Konstanzer Innenstadt. Und von der erstatteten deutschen Umsatzsteuer (19 beziehungsweise 7 Prozent) verblieben im Saldo immer noch 12,3 beziehungsweise 4,5 Prozent. Ganz unabhängig davon dürfte aber das Motiv der Einkaufstouristen gar nicht die Ersparnis der schweizerischen Umsatzsteuer sein; es ist vielmehr und in erster Linie das vielfältige, qualifizierte Angebot an Waren und Dienstleistungen zu relativ niedrigen Preisen in unserer Region, verbunden mit der hohen Aufenthaltsqualität in attraktiven Innenstädten, das die Kunden anzieht.
Der Freibetrag bei der Einfuhrumsatzsteuer bei der Heimreise ist da eine willkommene Entlastung von wenig sinnvoller Bürokratie, mehr aber auch nicht. Sollte die Intention der Initiatoren freilich darauf abzielen, das Einkaufserlebnis der Shoppingtouristen durch die bloße Bürokratie der Einfuhrumsatzsteueranmeldung und -entrichtung zu mindern, stünde dem wiederum die faktische Notwendigkeit einer effizienten Ausgestaltung des Prozesses entgegen – die einzige sinnvolle Lösung wäre die Nutzung einer App, die die Begleichung der Steuerschuld mit wenigen Klicks erlaubte.
Fazit: Für den hiesigen Einzelhandel wäre die Abschaffung der Freigrenze bedauerlich, für die grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen definitiv kein Fortschritt und für die Schweiz selbst nach unserem Dafürhalten wohl kaum ein Gewinn. Der Bundesrat in der Schweiz, der einer Absenkung der Freigrenze selbst skeptisch gegenübersteht, muss nun einen Vorschlag zur Umsetzung vorlegen. Wir gehen davon aus, dass es noch Jahre dauern kann, bis sich alle Seiten auf ein Verfahren geeinigt haben. Der Entscheid hat also erst einmal keine unmittelbaren Auswirkungen auf den hiesigen Handel. Die Initiative überrascht uns nicht, sie freut uns nicht, aber sie bedroht uns auch nicht.
Text: mx
Bild: Sondem – Adobe Stock
Umfrage: Kundenfrequenz im Einzelhandel
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hw
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