Die Energiewende ist eines der größten politischen und gesellschaftlichen Projekte der heutigen Zeit. Das Ziel ist unbestritten, die Diskussion um den richtigen Weg voll im Gange. Armin Distel ist Vorstand der MS Industrie AG. Das Unternehmen mit Hauptsitz in München und einem Standort in Spaichingen ist auf Antriebs- und Ultraschalltechnik spezialisiert. Bei der Abwägung zwischen batterieelektrischem Antrieb und Verbrennungsmotor sieht Distel synthetische Kraftstoffe im Vorteil – nicht wegen des Wirkungsgrads, sondern wegen ihrer Speicher- und Transportfähigkeit.
Was muss man beim Vergleich verschiedener Antriebskonzepte berücksichtigen?
Eine deutliche Reduktion der CO2-Emissionen bei der Mobilität bis hin zur CO2-Neutralität ist unstrittig – schnellstmöglich und unabhängig von der Antriebsform. Dies ist nur durch Technologieoffenheit zu erreichen, die Stand heute leider nicht gegeben ist. Und damit sind wir auch schon bei einem großen Widerspruch: Der Gesetzgeber bevorzugt eindeutig batterieelektrische Fahrzeuge und stuft diese als CO2-neutral ein. Bei genauerer Betrachtung im Rahmen einer Lebenszyklusanalyse wird aber sehr schnell klar, dass durch die Kombination mit der Herstellung der Batterie und dem laufenden Fahrbetrieb die CO2-Bilanz, unter Berücksichtigung des heutigen Strommixes, schlechter als bei jedem mittelmäßigen Dieselmotor ausfällt.
Aber weisen batterieelektrische Antriebe nicht Effizienzvorteile auf?
Grundsätzlich ist es richtig, dass der Wirkungsgrad eines batterieelektrischen Antriebs von der Stromerzeugung bis hin zum Fahrbetrieb höher ist als bei anderen Antriebsarten. Aber der heute regenerativ erzeugte Strom ist nicht immer zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort verfügbar. Kernproblem ist nach wie vor die Speicherung und das lässt sich insbesondere bei batterieelektrischen Fahrzeugen selbst auf mittlere Sicht nicht lösen. Zudem ist der weltweit erzeugte Strom zu 80 Prozent nicht regenerativ. Und die Herstellung der Batterie mit ihren benötigten Rohstoffen ist weder umwelt- noch klimafreundlich. Fatal dabei ist auch, dass China mehr als 95 Prozent der seltenen Erden kontrolliert und die Automobilindustrie in die totale Abhängigkeit manövrieren kann. Auch die Entsorgung der Batterien – wir sprechen hier über katalytische Substanzen und Schwermetalle – ist bis heute nicht gelöst. Nur zum Vergleich: 600 kg Batterie entsprechen in etwa 40 kg Benzin. Insofern wird es auch kaum möglich sein, die Batterie-Technologie im Schwerverkehr sowie in der Luft und Schifffahrt anzuwenden.
Zur Person
Armin Distel, Jahrgang 1965, hat an der Fachhochschule Furtwangen Feinwerktechnik studiert und startete nach seinem Diplom 1990 als Prozessingenieur in der IBM-Leiterplattenproduktion der damaligen Maschinenfabrik Spaichingen. 2006 wurde Distel Geschäftsführer der MS Spaichingen, wie das Unternehmen seit der Zugehörigkeit zu MS Industrie heißt. Seit 2013 gehört er dem Vorstand der Unternehmensgruppe mit Standorten in Deutschland, den USA, Brasilien und China an.
Worin sehen Sie die Lösung?
Die globale Dimension ist doch entscheidend. Grundsätzlich muss man wissen, dass das 2.850-fache des gesamten, weltweiten Energiebedarfs als Sonnenenergie auf der Erde ankommt. Zusätzlich steht in etwa das 200-fache an Windenergie zur Verfügung. Im Umkehrschluss steht also theoretisch unbegrenzte regenerative Energie zur Verfügung, sodass die Effizienz eine völlig untergeordnete Rolle spielt. Man muss die Energie aber speichern und nutzbar machen. Insofern wäre es mit Abstand am sinnvollsten, heutige Verbrenner mit synthetischen Kraftstoffen, also mit regenerativen, speicher- und transportfähigen Energiequellen, zu betreiben. Dies ist schon bei den heute eingesetzten Verbrennungsmotoren problemlos möglich.
Wie soll dieser Energiebedarf gedeckt werden?
Würde man nur zwei Prozent der Sahara mit Sonnenkollektoren bestücken und daraus synthetische Kraftstoffe herstellen, könnte der gesamte weltweite Energieverbrauch klimaneutral gedeckt werden. Somit wären das zentrale Problem der Energiespeicherung und auch das Transportproblem gelöst. Technik und Infrastruktur sind vorhanden, man muss nur die Kraftwerke bauen. Mittelfristig können sicherlich der Wasserstoffverbrennungsmotor und die Brennstoffzelle ihre Marktanteile erhöhen. Auch diese Technologien sind ökologisch nachhaltig. In der auf Deutschland und die EU begrenzten Diskussion wird vollständig ausgeblendet, dass ausgemusterte Autos in der Dritten Welt noch 20 bis 30 Jahre fahren. Wollen wir etwa weitere 20 bis 30 Jahre 1,3 Milliarden Verbrenner weltweit mit fossilen Kraftstoffen betanken? Dabei stünden längst genügend private Investoren wie beispielsweise Porsche oder die Mineralölkonzerne in der Warteschleife, um Produktionsstandorte für E-Fuels zu bauen. Man braucht nur die politischen Rahmenbedingungen dazu.
Wie schätzen Sie die Zukunftsaussichten der Zulieferer in der Region ein?
Kurzfristig werden Pkw-Zulieferer durch den starken Nachholbedarf in Folge der Coronapandemie extrem ausgelastet sein. Gleichwohl – und dies ist für mich der langfristig entscheidende Indikator – hat der Maschinenbau durch den Transformationsprozess seit etwa zweieinhalb Jahren circa 40 bis 50 Prozent weniger Aufträge aus der Automobilindustrie. Denn in neue Verbrennungsmotoren wird so gut wie nicht mehr investiert. Insofern gehe ich davon aus, dass sich zwei von drei Zulieferern für Teile im Antriebsstrang neue Betätigungsfelder suchen müssen – wenn nicht zügig politisch-technologieoffen agiert wird. Dies liegt daran, dass die Bearbeitungszeiten am Antriebsstrang für reine Elektrofahrzeuge maximal ein Drittel der Bearbeitungszeiten von Verbrennungsmotoren betragen. Es muss also umgehend die politische Blockadehaltung aufgegeben und die CO2-Bilanzierung aller Antriebe richtiggestellt werden. Im Gegensatz zu batterieelektrisch betriebenen Fahrzeugen mit dem heutigen, durchschnittlichen Strommix wären regenerative Kraftstoffe wie Wasserstoff und E-Fuels einhundertprozentig CO2-neutral.
Interview: Martin Schmidt