Der Titel klingt abstrakt, aber es ging vor allem um Menschen: Der zwölfte Konstanzer Frauenwirtschaftstag stand unter dem Motto „Digital Mind. Wirtschafts- und Karrieremotor“. 45 Teilnehmerinnen kamen dazu Mitte Oktober in die IHK in Konstanz.
Die Ängste, die viele angesichts der Digitalisierung haben, sprach Katharina Franken, Beauftragte für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt bei der Agentur für Arbeit Konstanz-Ravensburg, an. Dabei würden sie aber vergessen, dass sie überall im Leben mit der Digitalisierung zu tun haben, angefangen beim Bezahlen im Supermarkt. Katharina Franken sagte: „Wir werden immer Bereiche haben, wo der Mensch wichtig bleiben wird.“ Als Beispiel nannte sie Arbeiten, bei denen soziale Fähigkeiten wie Empathie wichtig sind. Zugleich eröffne die Digitalisierung vor allem Frauen Chancen, die auch im Homeoffice arbeiten könnten. „Ich wünsche mir, dass die Unternehmen in der Region da mehr Mut fassen und so das Potenzial von Frauen nutzen, die dem Arbeitsmarkt sonst nicht zur Verfügung stehen.“ Allen Arbeitnehmern, Männern wie Frauen, die Angst vor neuen Technologien haben, wünschte sie Mut und Selbstbewusstsein, sich fortzubilden.
Iris Kronenbitter vom baden-württembergischen Wirtschaftsministerium und Leiterin der bundesweiten Gründerinnenagentur „bga“ appellierte an die Frauen, die Chancen zu nutzen, die ihnen die Digitalisierung bietet. „Wir haben heute die am besten qualifiziere Frauengeneration aller Zeiten, quer durch alle Bildungsabschlüsse. Aber die Frauen bleiben oft unter ihren Möglichkeiten.“ Als häufigsten Grund nannte Iris Kronenbitter „familienbedingte Brüche“. Gleichwohl gebe es viele Frauen, die aus Überzeugung in die Selbstständigkeit gehen würden, da sie ihre eigenen Ideen umsetzen und über Arbeitszeit und -ort selbst bestimmen wollten. Sie betonte mehrfach, wie wichtig dabei Vernetzung sei und wies auf Angebote für Frauen wie „startup bw women“ im Rahmen der Start-up-Kampagne des Landes hin.
Netzwerken war auch eines der Anliegen der Hauptrednerin beim Konstanzer Frauenwirtschaftstag, der in Berlin lebenden Geschäftsführerin von „startup affairs“ und Gründerin des Netzwerks Global Digital Women, Tijen Onaran (siehe Interview Seite 49). In ihrem Vortrag sprach sie auch über Auswüchse der Digitalisierung. So würden viele Konzerne „auf Start-up machen“ – Krawatten abschaffen, das Duzen einführen, einen Tischkicker aufstellen und weiße Turnschuhe tragen. Ihrer Meinung nach wichtig: Unternehmen sollten die Organisation ihrer Führung überprüfen, aber ohne alles infrage zu stellen. Tijen Onaran plädierte dafür, gemischte Teams zu bilden, in denen geschlechts-, alters-, hierarchie- und nationenübergreifend zusammengearbeitet wird. Das sei zwar mitunter anstrengend. „Aber je diverser ein Team ist, umso besser kann es angesichts der Digitalisierung agieren.“ Innovationen würden aber nur entstehen, wenn es in einem Unternehmen auch eine gesunde Fehlerkultur gebe. Um die Mitarbeiter zusammenzubringen, müssten die Unternehmen Netzwerkformate schaffen. „Je digitaler wir werden, umso größer ist die Sehnsucht nach Analogie“, sagte sie und nannte den Otto-Versand, Siemens und BMW als positive Beispiele.
Ein weiteres ist die Avira Operations GmbH & Co. KG in Tettnang, wie bei der Podiumsdiskussion deutlich wurde. Martina Brutsch, HR Manager People Development bei Avira, berichtete, wie das auf Virensoftware spezialisierte und somit von jeher im digitalen Bereich beheimatete Unternehmen angesichts der Digitalisierung neu organisiert worden sei. Agile Teams, die hierarchieübergreifend arbeiten, seien um neue Produkte herum aufgestellt worden. Der Einzelne erhalte dabei mehr Verantwortung, und Scheitern sei erlaubt. Auch diese Teams bräuchten eine klare Steuerung. Allerdings agierten die Führungskräfte eher wie bei einem Wolfsrudel, mal vorne dran, mal hinten, und müssten sich selbst mehr reflektieren als früher.
IHK-Hauptgeschäftsführer Claudius Marx hob hervor, welche Chancen die Digitalisierung der IHK biete, um ihre Mitglieder einfacher erreichen zu können als früher. Auch der Aufwand für die Unternehmen sei geringer geworden, da sie weniger oft in die IHK kommen müssten, was vor allem für Einzelunternehmen zeitlich häufig schwierig gewesen sei. Vorteile der Digitalisierung bei der Existenzgründung hob Alexander Vatovac, Leiter des Fachbereichs Existenzgründung bei der IHK, hervor. Über eine eigene Gruppe in sozialen Medien oder über die alternative Finanzierungsform Crowdfunding könnten Gründer ihre Idee für eine Dienstleistung oder ein Produkt früh testen und Sichtbarkeit schaffen.
Moderatorin Kerstin Melzer, zugleich Referentin für Personalentwicklung und Dual Career an der Universität Konstanz, resümierte: „Die Top-Erkenntnis heute Abend ist, dass die Digitalisierung die Menschen nicht auseinanderbringt, weil das Bedürfnis da ist, sich im echten Rahmen auszutauschen.“ Sodann bat sie die Teilnehmer auf dem Podium, ihre Kernbotschaften zu formulieren: „Neugierig sein, ausprobieren, Fehler zulassen, wiederholen“, gab Alexander Vatovac den Gästen mit auf den Weg. Claudius Marx sagte: „Wir müssen aufhören darüber zu reden, was die Digitalisierung mit uns macht und überlegen, was wir mit der Digitalisierung tun.“ Martina Brutschs Anliegen ist „eine große Offenheit, mehr in Lernräumen und weniger in festen Prozessen zu denken“. Tijen Onaran sagte: „Digitalisierung beginnt im Kopf und zeigt sich im Handeln.“ Und Iris Kronenbitter appellierte an die Gründerinnen: „Sie können sehr viel mehr als Sie sich zutrauen. Also trauen Sie sich.“
Mae
Bild: Maerz