Wie viele Neuntklässler ist Tilman Riedel in den vergangenen Wochen nicht nur zur Schule gegangen, sondern hat auch ein Berufspraktikum absolviert. Er hat insgesamt sechs Tage als Praktikant in einer Freiburger Filiale des Biosupermarktes Alnatura gearbeitet. Die ersten beiden Arbeitstage füllte er in der Frühschicht die Obst- und Gemüseabteilung auf, holte Kisten aus dem Keller, half bei Bestellungen und Lieferungen. Die anderen Tage räumte der 15-Jährige Regale ein, zeichnete Waren aus, hatte mit Abrechnungen zu tun und war auch kurz an der Kasse. Tilman, der mit dem Chromosomdefekt Trisomie 21, dem sogenannten Downsyndrom, geboren wurde, absolvierte sein Praktikum mit großem Einsatz und Ehrgeiz. Das Evangelische Montessori-Schulhaus, dessen neunte Klasse Tilman besucht (und das nur wenige Meter von dem Alnatura in der Merzhauser Straße entfernt liegt), arbeitet inklusiv, das heißt: Schüler mit und ohne Behinderung lernen dort gemeinsam.
Seit Baden-Württemberg 2015 seinen Aktionsplan zur Umsetzung der Behindertenrechtskonvention der Vereinten Nation gestartet hat, steigt die Zahl von Kindern mit besonderem Förderbedarf an regulären Schulen. Landesweit besuchten im vergangenen Schuljahr mehr als 8.600 Mädchen und Jungen mit Behinderung eine allgemeinbildende Schule. Damit stellt sich zunehmend auch die Frage nach der Berufsorientierung für diese Jugendlichen. Hier setzt das Projekt „Zusammen in die Zukunft starten – Azubi inklusiv“ der Akademie Himmelreich an. Es hilft Schülern mit Behinderung, die wie Tilman inklusive Regelschulen besuchen, ebenso wie ihren unbehinderten Mitschülern, in der neunten Klasse ein Berufspraktikum zu absolvieren und dafür einen Platz in einem Beruf ihrer Wahl zu finden.
Das Projekt
Die Akademie Himmelreich qualifiziert – auch mit Unterstützung der IHK – junge Menschen mit Lernschwierigkeiten für den regulären Arbeitsmarkt und berät Firmen zum Thema Inklusion. 2007 startete der erste Kurs mit rund einem Dutzend Teilnehmern, mittlerweile hat die Akademie fast 90 Menschen mit Beeinträchtigung in reguläre Beschäftigung gebracht, überwiegend in der Gastronomie. Seit Oktober 2017 läuft das von Aktion Mensch geförderte Projekt „Zusammen in die Zukunft starten – Azubi inklusiv“, das für Schüler mit Behinderung, die inklusive Regelschulen besuchen, ein Praktikum in einem Beruf ihrer Wahl organisiert. In der Regel findet es sechs Wochen lang an je einem Tag in der Woche statt. Ziel des Projekts ist nicht nur die Berufsorientierung der Schüler mit Behinderung, sondern auch die Förderung von Inklusion und Vielfalt in den Betrieben. Deshalb begleitet ein Auszubildender in einem Tandem den Praktikanten. Bislang hat die Akademie 13 Tandems vermittelt. Derzeit können sich Schulen und Schüler für die Teilnahme im kommenden Schuljahr bewerben.
„Unser Projekt gibt den Schülern die Möglichkeit, erste Erfahrungen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu sammeln und das möglichst in ihrem Wunschberuf“, erklärt Projektmitarbeiterin Carolyn Rössler. Das stärke nicht nur die Chancen auf einen gezielten Übergang von der Schule in den Beruf, sondern auch das Vertrauen in das eigene Können. Die IHK und die Handwerkskammer helfen bei der Suche nach Betrieben. Die sollen nah beim Wohnort der Jugendlichen sein und vor allem einen Auszubildenden beschäftigen, der ein Tandem mit dem Praktikanten bildet und ihm seinen Berufswunsch vorstellt. Himmelreich-Mitarbeiter begleiten die Tandems.
Bei Alnatura war Johanna Albrecht Tilmans Tandempartnerin. Die 25-Jährige lernt im zweiten Jahr Einzelhandelskauffrau und hat während der drei Praktikumswochen Tilman immer montags und dienstags begleitet. Auf Anregung des Filialleiters Kai Ortolf hin fand das Praktikum komprimierter statt: drei Wochen lang je zwei Tage, statt sechs Wochen lang einen Tag. „Der Sinn ist ja, Einblicke ins Berufsleben zu bekommen“, sagt Ortolf. „An zwei aufeinanderfolgenden Tagen kann man die Folgen des eigenen Tuns mitbekommen und intensiver ins Thema eintauchen.“ Der Chef und seine Auszubildende waren beeindruckt von Tilmans Engagement. „Er hat unfassbar geholfen“, erzählt Johanna Albrecht. „Er kann gut lesen und hat ein gutes Erkennungsvermögen“, lobt Ortolf. Und wie fand Tilman selbst seinen Einblick in den Einzelhandel? „Besser als Schule.“ kat
Anette Stetter
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