Die IHK-Vollversammlung hat sich Ende April gegen Überlegungen des Bundesfinanzministeriums ausgesprochen, eine Bagatellgrenze für die Umsatzsteuerrückerstattung für Schweizer Kunden, die in Deutschland einkaufen, einzuführen. Stattdessen fordert sie die beschleunigte Entwicklung und Implementierung eines digitalisierten Verfahrens bei der Ausfuhr. Warum ist der Einkaufstourismus für die Region so wichtig und welche Folgen hätte eine Bagatellgrenze?
Der sogenannte Einkaufstourismus hat die Region zwischen Bodensee und Markgräflerland in vielerlei Hinsicht geprägt. Weil zum Einkaufen in der Grenzregion meist nur eine Brücke über den Rhein zu queren ist – in Konstanz noch nicht einmal das – ist die Region Hochrhein-Bodensee zum Nahversorger für die Schweizer Nachbarn geworden. Die „Umsatzsteuerrückerstattung bei Ausfuhren im nichtkommerziellen Reiseverkehr“, als „Ausfuhrkassenzettel“ bekannt, ist – neben dem Wechselkurs und den Unterschieden bei Einkommen und Preisniveau in den beiden Ländern – einer der wichtigsten Treiber dieser Entwicklung. Diese Rückerstattung wird jedoch nicht von allen Seiten positiv gesehen. Zum einen macht das zugehörige Verwaltungsverfahren negativ auf sich aufmerksam: Die händische Bearbeitung der hohen Zahlen an Rückerstattungen – 2018 wurden circa 15 Millionen Vorgänge bearbeitet – führt zu einer hohen Belastung des Zolls. Der werde dadurch nicht nur an einer effektiven Kontrolle gehindert, sondern auch vom Erfüllen anderer wichtiger Aufgaben abgehalten. Zum anderen käme es durch die Rückerstattung der Umsatzsteuer zu einem permanenten Steuerausfall, so die Kritiker. Die an das Bundesfinanzministerium gerichtete Forderung nach einer Wertgrenze für die Rückerstattung im Rahmen von europarechtlich zulässigen 175 Euro erklärt sich vor diesem Hintergrund.
Aus Sicht der IHK greift der Blick auf die Umsatzsteuer jedoch bei weitem zu kurz. Und zur Entlastung des Zolls hat sie eine ganz andere Agenda. Der durch die Umsatzsteuerrückerstattung geförderte Einkaufstourismus, so ihre Position, hat gleich eine ganze Reihe positiver Auswirkungen auf das Kammergebiet, die nicht außer Acht gelassen werden dürfen:
- Einzelhandelsumsatz: Der Anteil der Kundschaft aus der Schweiz liegt im Einzelhandel bei durchschnittlich 30 Prozent. Das Umsatzvolumen, das so generiert wird, liegt in der Region bei circa 1,5 Milliarden Euro pro Jahr.
- Gastronomie, Hotellerie und sonstige Dienstleistungen: Sie profitieren maßgeblich von der steigenden Anzahl an Gästen. Die kommen nicht nur, um einzukaufen, sie bleiben auch gerne zum Essen, besuchen die Thermalbäder, gehen ins Kino, zum Friseur oder bleiben über Nacht.
- Beschäftigungssituation: Im Bereich Gastronomie etwa konnte in den Jahren 2012 bis 2018 ein bemerkenswerter Beschäftigungszuwachs von 78 Prozent verzeichnet werden, im Einzelhandel von 23 Prozent.
- Stadtentwicklung: Der anhaltende Einkaufstourismus hat zu einer sicht- und fühlbaren positiven Entwicklung der Innenstädte geführt. Die Markenvielfalt des Angebots ist ein messbarer Indikator dafür.
- Ländlicher Raum: Die grenzüberschreitende Konsumnachfrage hat die Region entlang des Hochrheines zum Nahversorger der Nordschweiz werden lassen. In der Folge verfügen Dörfer und Kleinstädte dort über eine exzellente Nahversorgung, die die Lebensqualität auf dem Dorf und damit die Attraktivität des ländlichen Raumes insgesamt stärkt.
- Steueraufkommen: Das durch den Einkaufstourismus generierte Steueraufkommen umfasst neben der Umsatzsteuer auch die Lohnsteuer der Beschäftigten, die Einkommenssteuer der Selbstständigen und die Gewerbesteuer der Betriebe.
All diese positiven Effekte würden durch die Einführung einer Bagatellgrenze nachlassen. „Für Arbeitsplätze und Unternehmen ist die Bagatellgrenze keine Bagatelle. Sie schadete massiv unserer Region im Einzelhandel, bei Dienstleistungen und in der Gastronomie“, sagt IHK-Präsident Thomas Conrady. Würde eine Bagatellgrenze bei der Umsatzsteuerrückerstattung gar in Höhe des europarechtlich maximal zulässigen Betrages von 175 Euro eingeführt, so hätte dies massive negative Auswirkungen auf all die beschriebenen Bereiche. Denn der durchschnittliche Einkaufswert liegt weit unter der genannten Grenze, im mittleren zweistelligen Euro-Bereich. Da Einkäufe außerhalb der Einkaufszentren nicht kumuliert werden können, fielen über 80 Prozent aller Einkäufe unter die genannte Grenze. Selbst ein weitaus niedrigerer Wert würde noch immer die Mehrzahl aller Einkäufe erfassen. In jedem Falle würde das Einkaufsverhalten der Schweizer Nachbarn negativ beeinflusst und die grenzüberschreitende Nachfrage nachhaltig ausgebremst. Zwar würde die bislang rückerstattete Umsatzsteuer im Land bleiben, also das nationale Umsatzsteueraufkommen erhöhen; jedoch entspräche bereits dieses Mehraufkommen – als Folge der rückläufigen Nachfrage – nicht dem aktuellen Rückerstattungsbetrag. Aus demselben Grund gingen auch die Einnahmen in anderen Steuerarten – Einkommens-, Lohn- und Gewerbesteuer – zurück. Ob der verbleibende Saldo noch positiv ausfiele, ist ungewiss. Und schließlich reagierten alle anderen Parameter negativ, die bisher durch die Umsatzsteuerrückerstattung eine starke positive Entwicklung genommen haben.
Die Begründung der Einführung einer Bagatellgrenze mit einem Steuerausfall springt also zu kurz. Sie übersieht die zahlreichen Wechselwirkungen, blendet maßgebliche positive Effekte aus und birgt ein eklatantes Risiko, die Wirtschaftskraft und die positive Entwicklung der Region nachhaltig zu schädigen. Was bleibt, ist das berechtigte Anliegen einer Entlastung des Zolls. Dieser ist durch die Bearbeitung der Ausfuhrbescheinigungen in Papierform stark belastet. Die reinen Zahlen – bis zu 17 Millionen in einem Jahr – sprechen eine eindeutige Sprache. Eine Wertgrenze ist allerdings weder die einzige, noch die beste Lösung für diese Malaise. Denn die bisher händisch abgearbeiteten Verwaltungsvorgänge könnten durch eine digitale Version des Ausfuhr- und Rückerstattungsprozesses ersetzt werden.
Diese Lösung wurde nun vom Rechnungsprüfungsausschuss (RPA) des Deutschen Bundestages mit der Begründung abgelehnt, sie sei wegen dafür vorgetragener 26 Millionen Euro „zu teuer“. Mit Blick auf die negativen Auswirkungen einer Bagatellgrenze ist jedoch die Frage berechtigt, was teurer wäre: die Entwicklung einer digitalen Lösung oder die Folgen der Bagatellgrenze für die Region? Für die IHK-Vollversammlung ist die Antwort klar, sie hält die Digitalisierung des Prozesses „Ausfuhrbescheinigung“ für alternativlos. Ein verantwortlicher Umgang mit Steuergeldern verlangt nicht ihre Behinderung oder Suspendierung, sondern umgekehrt die Beschleunigung der Arbeiten an der digitalen Lösung. Ein effizienter Einsatz von Manpower des Zolles setzt die effiziente Gestaltung des Verwaltungsprozesses voraus. Das Gebot der Stunde, so die IHK, ist nicht die Vergrämung der Kunden aus der Schweiz, sondern eine zeitgemäße, digitale Gestaltung des Ausfuhrprozesses.
MX/doe
Die vollständige Resolution der IHK-Vollversammlung findet sich unter: www.konstanz.ihk.de/eAKZ