Im Jahr 1999 herrschten auf dem Ausbildungsmarkt gänzlich andere Verhältnisse als heute. „Auf eine Lehrstelle kamen bis zu 50 Bewerber“, berichtete Horst Sahrbacher, Vorsitzender der Geschäftsführung der Arbeitsagentur Offenburg Mitte Oktober bei der Feier zum 20-jährigen Bestehen des Modells „gestufte Ausbildung“. Dennoch gelang es damals einer Initiative in der Ortenau, der neben der Arbeitsagentur die Industrie- und Handelskammer und der Deutsche Gewerkschaftsbund angehörten, ein Ausbildungsmodell für Jugendliche mit schwachem Schulabschluss und/oder problematischem sozialen Umfeld zu realisieren. Sie tauften es „gestufte Ausbildung“. Es beinhaltet eine zweijährige Grundausbildung mit einem ersten anerkannten Berufsabschluss sowie darauf aufbauend einen zweiten Abschluss zu einem anerkannten Vollberuf. Dieser ist dann ein oder eineinhalb Jahre später erreicht.
Beispiele solcher Ausbildungen sind etwa Fachkräfte für Metalltechnik (nach zwei Jahren), die nach weiteren eineinhalb Jahren als Industriemechaniker, Zerspanungsmechaniker oder Konstruktionsmechaniker abschließen, Fachlageristen, die dann ein Jahr für die Fachkraft für Lagerlogistik draufsatteln oder Fachkräfte im Gastgewerbe, die zum Restaurantfachmann/frau werden können. Inzwischen sind mehr als 20 Abschlussberufe erlernbar, neun Schulen wirken mit, neben den Initiatoren beteiligen sich heute eine ganze Reihe weiterer Organisationen und Einrichtungen in einem Beirat. Träger der „gestuften Ausbildung“ ist die Jugendberufshilfe Ortenau e.V., die parallel zu der Ausbildung mit Hilfe von Coaches bis zu drei Stunden Stützunterricht in der Woche sowie sozialpädagogische Begleitung während der Ausbildung übernimmt und die Jugendlichen auch bereits bei der Bewerbung unterstützt. Finanziert wird die Jugendberufshilfe von der Agentur für Arbeit Offenburg sowie der kommunalen Arbeitsförderung Offenburg. Wie Daniel Drancourt, Geschäftsführer des Vereins, bei der Veranstaltung ausführte, haben in den 20 vergangenen Jahren über 900 Auszubildende an dem Modell teilgenommen. Mehr als 600 waren dabei erfolgreich, 130 sind derzeit noch in Ausbildung, circa 170 haben abgebrochen – wesentlich weniger als in normalen Ausbildungsgängen. Manche Absolventen waren sogar sehr erfolgreich, schlossen ihre Prüfungen als Landes- oder sogar Bundesbeste ab.
Die Initiatoren des Modells, darunter der frühere Arbeitsagentur-Projektleiter Werner Noltenhans, der damalige Offenburger Arbeitsagenturchef Manfred Ahrens und der ehemalige Leiter der Berufs- und Weiterbildung bei der IHK, Hartmut Möller, erinnerten an die Anfangsschwierigkeiten. Die größte dabei: überhaupt Betriebe zu finden, die bei dem Modell mitmachten. Inzwischen haben sich aber über 50 Unternehmen in der „gestuften Ausbildung“ engagiert. Dahinter steht die Erkenntnis, dass auch Jugendliche mit schlechtem Zeugnis und sozialen Problemen bei entsprechender Unterstützung gute Leistungen als spätere Facharbeiter erbringen und in Zeiten des Fachkräftemangels auf sie nicht verzichtet werden kann. Das Modell eignet sich auch für junge Franzosen, die erst einmal Deutsch lernen müssen, sowie für Migranten, die ebenfalls das Sprachproblem und öfter auch Schwierigkeiten haben, sich im gesellschaftlichen Gefüge Deutschlands zurechtzufinden. Werner Noltenhans hatte denn auch drei junge Leute mitgebracht, die ein Abbild des breiten Spektrums der gestuften Ausbildung repräsentieren. So hat Pierre Kurtz aus dem Elsass bei den Badischen Stahlwerken zunächst Fachkraft für Metalltechnik gelernt und dann Industriemechaniker. Er wurde Bundessieger in seinem Ausbildungsberuf. Täglich legt er 80 Kilometer von seinem Wohnort im Elsass nach Kehl zurück. Landing Jatta kam 2014 aus Gambia nach Deutschland. Er lernt Industriemechaniker bei Herrenknecht. Und Justin Utz ist im dritten Lehrjahr mit dem Ausbildungsziel Straßenbauer, nachdem er zuvor als Tiefbaufacharbeiter abgeschlossen hatte.
Entscheidend für die Einführung des Modells waren laut Christian Ramm, damals bei der Arbeitsagentur Offenburg ebenfalls für die gestufte Ausbildung zuständig und heute Vorsitzender der Geschäftsführung der Agentur in Freiburg, Vertrauen der Beteiligten untereinander, Kompromissbereitschaft und Experimentierfreudigkeit. Das hat nach Worten von Hartmut Möller auch dazu geführt, dass der damals bei den Badischen Stahlwerken beziehungsweise deren Ausbildungsfirma BAG verantwortliche Bernd Wiegele (der heute für die IHK tätig ist) so viele Lehrlinge aufnahm, dass eine eigene Berufsschulklasse in Kehl eingerichtet werden konnte. Die BAG bildete damit weit über den eigenen Bedarf hinaus aus.
Das Modell hat zum Bedauern der Beteiligten weder in unmittelbarer noch in weiterer Entfernung Nachahmer gefunden. Mit einer Ausnahme: Im Bezirk der Arbeitsagentur Osnabrück ist kürzlich die gestufte Ausbildung übernommen worden.
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