Vor knapp einem Jahr hat zum ersten Mal in der Geschichte der Europäischen Union ein Mitgliedsland die Gemeinschaft verlassen. Seither müssen sich alle, die mit und in Großbritannien Geschäfte machen, an neue Regularien gewöhnen. Viele davon noch eher provisorisch und im Fluss. Ein Update zum Stand der Dinge.
Für alle Beteiligten war der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU ein Sprung ins kalte Wasser mit vielen Risiken und Nebenwirkungen. Die Auswirkungen ziehen sich durch unzählige Rechtsgebiete, und vieles davon betrifft auch unmittelbar die Geschäftsbeziehungen deutscher und britischer Unternehmen. Dabei ist nicht nur der Waren- und Dienstleistungsverkehr betroffen, sondern vor allem Fragen zu Besteuerung, Arbeitnehmerentsendung sowie Produktzulassungen und -kennzeichnung bereiten Probleme. Zahlreiche EU-Bestimmungen sind zwar im Vereinigten Königreich zunächst weiterhin in Kraft, es ist aber damit zu rechnen, dass EU-Recht und britisches Recht zunehmend aus-einanderklaffen werden. Unternehmen müssen sich auf ein völlig neues regulatorisches Umfeld jenseits des Ärmelkanals einstellen.
Nicht ganz so freie Fahrt für den Warenhandel
Nur wenige Tage vor dem endgültigen Austrittsdatum hatten sich die EU und Großbritannien noch auf ein Handels- und Kooperationsabkommen geeinigt. Den hoch gesteckten Erwartungen, Waren ohne Zollformalitäten und Abgaben handeln zu können, folgte unmittelbar die Ernüchterung. Besondere Vereinfachung der Ausfuhrformalitäten gibt es nicht, und Zollbefreiungen gelten nur für Ursprungswaren der jeweiligen Gebiete. Zwar sind die Ursprungsregeln im Vergleich zu anderen Abkommen relativ „großzügig“, aber dennoch wurden viele Produkte durch anfallende Zollbelastungen verteuert. Vor allem kleinere, im Export eher unerfahrene Unternehmen stehen hier vor Hürden, denn die Einigung, wer die zusätzlichen Kosten übernimmt, ist komplex. Besonders betroffen: der Versandhandel. Denn geringwertige Lieferungen an private Abnehmer in Großbritannien erfordern ein hohes Maß an Aufwand.
Noch immer gibt es Probleme mit der Erledigung von Ausfuhrverfahren, und damit fehlen oft die wichtigen Nachweise zur Steuerbefreiung. Exporteure sollten die Erledigungen immer im Auge behalten und gegebenenfalls rechtzeitig Alternativbelege vorlegen.
Strittig war die Frage, ob Waren, die vor dem Austritt zur Reparatur nach Großbritannien geliefert wurden, zollfrei zurückkommen können, wenn die Wiedereinfuhr nach dem 1. Januar 2021 erfolgt. Zwar ist die rückwirkende Bewilligung zur Passiven Veredelung grundsätzlich nicht möglich, das Handelsabkommen zwischen der EU und dem UK bietet aber eine flexible Anwendung, sodass in diesen Fällen vom Grundsatz abgewichen werden kann. Die meisten derartigen Sendungen dürften inzwischen abgerechnet worden sein, in diesen Fällen können die Förmlichkeiten aber nachgeholt und die bezahlten Zölle erstattet werden. Ob sich das lohnt, hängt von der möglichen Erstattung ab.
Um die Prozesse auf britischer Seite zunächst „schlank“ zu halten, hat die Zollbehörde des Vereinigten Königreichs das „Border Operating Model“ eingeführt, das Übergangsfristen vor allem für die vollständige Vorlage von Einfuhrdaten und -dokumenten vorsieht. Dies wurde mittlerweile angepasst. Zwar ist ab 1. Januar 2022 eine vollständige Zollanmeldung vorzunehmen, Sicherheitserklärungen (ESumA) werden jedoch erst ab
1. Juli 2022 erforderlich sein. Auch Exporteure von Lebensmitteln, pflanzlichen Produkten et cetera benötigen noch bis zum 1. Juli 2022 keine Pflanzengesundheitszeugnisse oder Veterinärbescheinigungen.
Ein immer wieder strittiger Punkt ist das Nordirland-Protokoll. Es regelt, dass für Nordirland weiterhin eine begrenzte Zahl von Vorschriften im Zusammenhang mit dem EU-Binnenmarkt gelten wird, damit eine harte Grenze auf der irischen Insel vermieden werden kann. Die EU-Kommission hat im Oktober 2021 erneut Vorschläge vorgelegt, die Anwendung des Nordirland-Protokolls zu erleichtern. Die britische Regierung hat diesen Vorschlag zunächst zurückgewiesen und mit dem Außerkraftsetzen des Protokolls gedroht. Es bleibt also noch ein Stück des Weges, um Einigung zu erzielen.
Drei Fragen zum UKCA-Zeichen...
… an Oliver Kirchwehm, Geschäftsführer der Safetykon GmbH*
In der IHK-Beratung werden wir oft zu den neuen Zulassungsvoraussetzungen gefragt, insbesondere zum UKCA-Zeichen. Die Leute sind verunsichert.
Oliver Kirchwehm: Das kann ich so voll bestätigen. Sie sind verwirrt, weil so viele, teils widersprüchliche Informationen zur UKCA-Kennzeichnung kursieren. In der Praxis zeigt sich dann aber oft, dass die Erweiterung der CE-Dokumentation auf das UKCA-Zeichen recht unkompliziert umgesetzt werden kann.
Letztlich haben sich die gesetzlichen Grundlagen im Vergleich zur CE-Kennzeichnung nur wenig verändert. Die CE-Richtlinien wurden ja schon lange vor dem Brexit in britisches Recht umgesetzt. Grundsätzlich sind daher sowohl die technischen Zertifizierungsanforderungen als auch der Konformitätsbewertungsprozess unverändert.
Der Teufel steckt im Detail, oder?
Bei den Formalien muss einiges geprüft und angepasst werden, etwa bei der Angabe des UK-Importeurs am Produkt oder den Angaben in der Konformitätserklärung. Das schließt auch den Dokumentenbevollmächtigten unter der Maschinenrichtlinie ein. Sobald eine notifizierte Stelle in den UKCA-Prozess eingebunden werden muss, wird es tatsächlich recht kompliziert und auch kostenintensiv. Die bisherigen EU notified bodies werden von UK nicht mehr anerkannt, so dass die Zertifizierung von zwei Instituten – EU notified body und UK approved body – durchgeführt und natürlich auch bezahlt werden muss.
Ist für das UKCA-Zeichen eine Niederlassung in UK erforderlich?
Nein, ein Hersteller muss weder eine Niederlassung in UK gründen noch einen autorisierten Vertreter (authorized representative) benennen. Die Formalien für einen deutschen Hersteller sind letztlich die gleichen wie die von einem nicht-europäischen Hersteller beim Export in die EU zu beachtenden Anforderungen.
Interview: pk
* Kirchwehm schult in Seminaren der IHKs Schwarzwald-Baar-Heuberg und Südlicher Oberrhein zu CE-Zertifizierungen
Seit Oktober Entlastung bei Dienstleistungen und Einreise
Das Ende der EU-Mitgliedschaft war auch das Ende der Dienstleistungsfreiheit zwischen der EU und dem UK. Folglich kämpfen EU-Unternehmen seitdem mit Einschränkungen und Bürokratie, denn die Einreise ins Vereinigte Königreich ist komplizierter geworden. Es sind Qualifikationsvoraussetzungen zu erfüllen und Branchenbeschränkungen zu beachten. Hilfreich ist das Portal „Licence finder“ der britischen Regierung, das Auskunft über notwendige Genehmigungen und Lizenzen gibt ( www.gov.uk/licence-finder).
Seit Januar 2021 benötigen EU-Staatsangehörige zur Ausführung von Dienstleistungen im Vereinigten Königreich in der Regel ein Visum. Von der Visumspflicht ausgenommen sind einfache Geschäftsreisen bis sechs Monate zu bestimmten Zwecken wie etwa für Geschäftsbesuche zu Vertragsverhandlungen, Markterkundungsreisen, die Teilnahme an Messen und Schulungen. Auch verkaufsnahe Dienstleistungen im Rahmen einer kurzen Geschäftsreise sind ausgenommen.
Zu Letzteren gibt es seit Oktober 2021 zwei Erleichterungen: Unter die Ausnahmeregelung fielen bislang nur Mitarbeiter des Herstellers oder Lieferanten der zu installierenden oder reparierenden Gegenstände. Nunmehr zählen dazu auch Mitarbeiter ausländischer Gesellschaften, die im Rahmen einer vertraglichen Vereinbarung Kundendienstleistungen wie Montage- oder Garantieleistungen erbringen. Die Vereinbarung muss jedoch zum Zeitpunkt des Verkaufs oder der Vermietung der Ware getroffen worden sein. Bislang galt die Ausnahme nur für „equipment, computer software or hardware“, jetzt gilt sie zusätzlich auch für „machinery“. Die Einreise erfolgt dann als „Standard Visitor“ über die sogenannte „Besucher-Route“.
Für alle übrigen Geschäftsreisen und für solche über sechs Monate Dauer gelten neue Regeln: Basierend auf einem Punktesystem wird anhand von Faktoren wie Fähigkeiten, Sprachkenntnisse, Höhe des Einkommens, et cetera über ein Visum entschieden. In zahlreichen Fällen ist eine „Sponsorship Licence“ des britischen Auftraggebers erforderlich. Für längerfristige Arbeitsaufenthalte im Vereinigten Königreich kommt das sogenannte „Skilled Worker Visa“ in Betracht.
Sozialversicherungsrechtlich bleibt der entsandte Arbeitnehmer weiterhin im Heimatland versichert. Voraussetzung ist allerdings, dass der Auslandseinsatz nicht länger als 24 Monate dauert und der Arbeitnehmer nicht einen anderen bereits entsandten Mitarbeiter ablöst. Die A1-Bescheinigung kann bis auf weiteres auch im Vereinigten Königreich verwendet werden, ebenso die Europäische Krankenversicherungskarte.
Ebenfalls neu seit Oktober 2021 ist, dass alle Reisenden – bis auf wenige Ausnahmen – zur Einreise in das Vereinigte Königreich einen Reisepass mit sich führen müssen. Nur mit Personalausweis einreisen dürfen noch Inhaber einer Grenzgänger-Erlaubnis („Frontier Worker Permit“) oder des sogenannten „Settled Status“. Allerdings wird auch dieses Privileg voraussichtlich Ende 2025 auslaufen.
Verträge und Forderungen
Der Brexit wirkt sich auch auf die vertragsrechtlichen Beziehungen aus. Gerichtsstand und anwendbares Recht in den Verträgen sollten dringend überprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Offene Forderungen gegen Schuldner können nicht mehr über das EU-Mahnverfahren beziehungsweise den EU-Zahlungsbefehl eingefordert werden, sondern nur noch über das nationale deutsche Mahnverfahren oder über das nationale britische Mahnverfahren.
Text: toe, psb
Bild: Adobe Stock