Das Bundesverfassungsgericht hat die Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen mit 0,5 Prozent pro Monat für verfassungswidrig erklärt. Welche Folgen das für offene, bestandskräftige oder noch zu erlassende Bescheide hat.
Wem der Fiskus bis dato Geld schuldet, drängt nicht auf einen schnellen Bescheid. Wer dagegen selbst noch Steuern nachzuzahlen hat, bemüht sich um eine zügige Festsetzung. Denn bislang galt für die Verzinsung von Steuernachforderungen und -erstattungen ein Zinssatz von 0,5 Prozent pro Monat beziehungsweise sechs Prozent pro Jahr. Ein gutes Geschäft für die einen, teuer für die anderen.
Die Regelung umfasst Einkommen-, Körperschaft-, Umsatz- und Gewerbesteuer und betrifft den Zeitraum zwischen der Entstehung der Steuer etwa durch den Jahreswechsel und ihrer Festsetzung zum Beispiel durch Bescheid. Der Zinslauf beginnt nach einer zinsfreien Karenzzeit von mindestens 15 Monaten.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht mit seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 (Az. 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17) nun in der Verzinsung speziell zu diesen Zinssätzen eine Ungleichbehandlung von Steuerschuldnern, deren Steuer erst nach 15 Monaten festgesetzt wird, gegenüber Steuerschuldnern, die schneller dran sind. Dabei hält das Gericht diese Ungleichbehandlung für die Jahre 2010 bis 2013 wegen des damals herrschenden höheren Zinsniveaus noch für verfassungsgemäß.
Spätestens seit 2014 ist der Zinssatz von sechs Prozent der Finanzverwaltung aber weit entfernt von den niedrigeren Sätzen am Kapitalmarkt, so dass das BVerfG den Zinssatz für Verzinsungszeiträume von 2014 bis 2018 für verfassungswidrig erklärt. Trotzdem bekräftigt das Gericht, dass das bisherige Recht weiterhin Anwendung finden soll. Einsprüche gegen Zinsbescheide werden deshalb als unbegründet zurückgewiesen.
Der Gesetzgeber wurde verpflichtet, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsmäßige Verzinsungsregelung zu treffen. Diese muss sich rückwirkend auf alle Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 erstrecken. Wie hoch so ein Zinssatz sein darf, hat das BVerfG offengelassen.
Einsprüche in Einzelfällen möglich
Für Verzinsungszeiträume, die in das Jahr 2019 und später fallen, kommt die Anwendung der bisherigen Regelung nicht mehr in Betracht. Bestandskräftige Zinsbescheide können nicht geändert werden. Wurde aber gegen Zinsbescheide Einspruch eingelegt oder liegt ein Vorläufigkeitsvermerk vor, kann eine Anpassung des Zinssatzes nachträglich umgesetzt werden.
Neu zu erlassende Bescheide, mit denen eine erstmalige Festsetzung von Nachzahlungs- oder Erstattungszinsen einhergehen, werden in Bezug auf diese Zinsen vorläufig und bis zur Schaffung der Ersatzregelung auf null gesetzt. Obwohl sich der Beschluss lediglich auf Erstattungs- und Nachzahlungszinsen bezieht, sind auch Auswirkungen auf die Höhe von Stundungs-, Hinterziehungs- und Aussetzungszinsen zu erwarten. Bisher waren dies ebenfalls 0,5 Prozent pro Monat.
Darüber hinaus wurde dem BVerfG die Frage zur Prüfung vorgelegt, ob der Rechnungszinsfuß von sechs Prozent zur Ermittlung von Pensionsrückstellungen gemäß Einkommensteuergesetz noch verfassungsgemäß sei (Az. 2 BvL 22/17). Auch hier sollte gegen einschlägige Bescheide Einspruch eingelegt werden.
Text: Claudio Schmitt, Bansbach GmbH
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