Bis 2040 muss der Weg zur Arbeit klimaneutral sein, fordert das Bündnis „Verkehrswende in der Arbeitswelt“, dem auch der BWIHK angehört. Unmöglich? Zahlreiche Unternehmen im Südwesten experimentieren bereits mit Modellen, um die beim Pendeln anfallenden Emissionen zu reduzieren. Gewusst wie!
Laut Bundesumweltamt verursacht der Verkehrssektor ein Fünftel der deutschen Treibhausgas-Emissionen. Wiederum etwa ein Fünftel aller deutschen Verkehrsemissionen geht aufs Pendeln zurück (Quelle: Agora Energiewende). Diesen großen Hebel zugunsten des Klimaschutzes in Bewegung zu bringen, ist im Flächenland Baden-Württemberg mit seinen großen Entfernungen eine sehr viel größere Aufgabe als in verkehrstechnisch gut erschlossenen, dicht besiedelten Ballungszentren. Oft gibt es einen großen Einzugsraum, aus dem die Pendler kommen, oder ein vergleichsweise abgelegenes Gewerbegebiet.
Förderprogramm „Betriebliches und Behördliches Mobilitätsmanagement“
Das Verkehrsministerium Baden-Württemberg unterstützt Unternehmen beim Aufbau eines nachhaltigen Mobilitätsmanagements. Mit dem Programm „Betriebliches und Behördliches Mobilitätsmanagement“ (kurz B2MM) will das Land dazu beitragen, die durch Behörden und Unternehmen verursachten verkehrsbedingten Umweltbelastungen, etwa CO2-Emissionen, Feinstaub und Stickoxide zu reduzieren. Einzelheiten zur Förderfähigkeit von Projekten, Beispiele, Leitfäden und Antragsformulare gibt es auf der Homepage des Ministeriums: www.baden-wuerttemberg.de. Hier gibt es auch Informationen zum Bündnis „Verkehrswende in der Arbeitswelt“.
Hand in Hand mit ÖPNV
Zu Zalando im Industriegebiet in Lahr, einem von drei deutschen Logistikzentren des Online-Modehändlers, pendeln die insgesamt 1.600 Beschäftigten zum Teil aus Karlsruhe und dem Elsass. Damit diese ihren Arbeitsplatz möglichst umweltschonend erreichen können, gewährt das Unternehmen seit 2016 einen Zuschuss zum Jobticket. Wer näher an seinem Arbeitsplatz wohnt, kann sich seit 2018 für ein Jobrad entscheiden. Vor zwei Jahren – 2022 – hat Zalando gemeinsam mit Partnern noch eine zusätzliche Bushaltestelle in Betrieb genommen, um die Wartezeiten für pendelnde Kollegen zu verkürzen: „Das hat dazu geführt, dass viele Mitarbeiter ihre Anschlusszüge besser erreichen“, erklärt Kristin Gebhard, die als Projektmanagerin für das Mobilitätsmanagement bei Zalando in Lahr zuständig ist. Pro Schicht nutzen derzeit rund 100 Mitarbeiter die Busverbindung, die Zalando mit Geldern im niedrigen fünfstelligen Bereich bezuschusst. Eine Investition, die sich gleich mehrfach auszahlt: Sie stützt die Akzeptanz des ÖPNV, erleichtert das Leben der Zalando-Mitarbeiter – und signalisiert die Fürsorge des Unternehmens für seine Mitarbeiter und die Umwelt.
Zweirad-Alternative
Die Schneider Schreibgeräte GmbH setzt schon seit 2012 auf Alternativen zum CO2-Verbrenner Auto. Statt seine Parkflächen zu erweitern, hat das Schramberger Unternehmen in einen Fuhrpark aus kostenlosen E-Bikes investiert. Einzige Bedingung: Wer ein E-Bike nutzt, muss damit mindestens 80-mal im Jahr den Weg zur Arbeit zurückzulegen. Der Erfolg gibt Geschäftsführer Christian Schneider recht: Im Jahr 2023 haben die aktuell knapp 350 Flotten-Fahrräder stolze 55.107,98 Kilometer auf Arbeitswegen zurückgelegt. „Das entspricht einer jährlichen CO2-Einsparung von 6,7 Tonnen an unserem Stammsitz im Vergleich zum Pkw“, rechnet Schneider. Auch er weiß um die Signalwirkung als innovative Firma mit Vorbildcharakter.
Dass auch kleinere Firmen emissionsarmes Pendeln fördern beziehungsweise vorantreiben können, zeigt das Beispiel der Freiburger „geOps“ GmbH. Mit rund 20 Mitarbeitern entwickelt das Unternehmen Web-Applikationen auf Basis von Geo- und Echtzeitdaten mit Schwerpunkt in den Bereichen Verkehr, Mobilität und Umwelt. Da liegt es nahe, auch für das Personal Strategien zu entwickeln, um den CO2-Ausstoß zu reduzieren. „Es war schon immer unser Ziel, dass wir uns nachhaltig verhalten“, erklärt Geschäftsführer Uli Müller. Getreu dem Motto „Die umweltfreundlichste Art der Fortbewegung ist keine Fortbewegung“ erhält jeder Mitarbeiter monatlich 50 Euro als steuerfreien Zuschuss für Internet- und Stromkosten, die im Homeoffice entstehen.
On-Demand-Mobilitätsplattform für Baden-Württemberg
Die Südwestdeutsche Landesverkehrs-GmbH (SWEG) mit Hauptsitz in Lahr führt eine On-Demand-Mobilitätsplattform für Baden-Württemberg ein. Darüber können Nutzer On-Demand-Verkehre über die App „bwrider“ buchen. Ende März 2024 ist ein Probebetrieb mit einer badischen Kommune und einem württembergischen Verkehrsunternehmen gestartet. Ziel des Projekts ist es, eine zentrale Fahrgast-App bereitzustellen, die eine Vielzahl von bedarfsgesteuerten Verkehrsdienstleistungen in Baden-Württemberg integriert. Gefördert wird das Projekt durch das Bundesverkehrsministerium. Die Plattform soll auch einen Beitrag zur Umsetzung der „ÖPNV-Strategie 2030“ des Landes Baden-Württemberg leisten. Diese besagt, dass künftig alle Ortschaften von 5 bis 24 Uhr mindestens alle 15 Minuten in städtischen und alle 30 Minuten in ländlichen Räumen mit dem Nahverkehr angebunden sein sollen.
„Von zu Hause aus zu arbeiten, war bei uns schon vor Corona ein Thema“, sagt Müller. Bis zu 60 Prozent der Arbeitszeit dürfen alle in den eigenen vier Wänden bestreiten. Und für die Präsenzarbeit hat die Geschäftsleitung mit dem Volksbank-Gebäude gegenüber dem Freiburger Bahnhof einen Standort gewählt, der auch ohne Auto bestens zu erreichen ist. Zwar sei auch als vorherige Büro in der Altstadt gut zu erreichen gewesen, räumt Müller ein. Bei der Wahl der neuen Räumlichkeiten habe man auf diesen Faktor aber besonders großen Wert gelegt.
Randnotiz: Über die Förderung des umweltfreundlichen Pendelns hinaus belohnt die Geops GmbH auch Mitarbeiter, die privat aufs Fliegen verzichten, mit drei zusätzlichen Urlaubstagen pro Jahr. „Der symbolische Aspekt steht hier im Vordergrund“, erklärt Müller. Kontrolliert werde nicht. Dennoch: Individuelle Bemühungen, etwas für die Umwelt zu tun, erfahren auf diese Art eine Wertschätzung durch den Arbeitgeber, die weit über Lippenbekenntnisse hinausgehen.
Fahrgemeinschaft statt Familienkutsche
Beim Pharmaunternehmen Regenold mit Sitz in Badenweiler ist das nachhaltige Pendeln der Mitarbeiter eng mit der privaten Mobilität von Geschäftsführer Maximilian Regenold verbunden: 2022 hat er den familieneigenen VW-Bus kurzerhand als Vehikel für eine Fahrgemeinschaft umfunktioniert. Im Wechsel mit Kollegen sitzt der Chef selbst am Steuer, um täglich sechs Mitarbeiter von Freiburg aus zum 35 Kilometer außerhalb gelegenen Firmensitz zu chauffieren. Statt sechs Privat-Pkw bewegt sich so nur noch ein einziges. „In unserem konkreten Fall ist es nicht ganz einfach, mit öffentlichen Verkehrsmitteln verlässlich von Freiburg nach Badenweiler zu kommen“, begründet GF Regenold seine Idee von damals.
Im Oktober 2023 hat er den Bus dann ausrangiert – mit 300.000 Kilometern auf dem Buckel -, um die unternehmenseigene Fahrzeugflotte komplett zu elektrifizieren. Seitdem pendelt er mit einem Mercedes EQV zur Arbeit, der mit Ökostrom aus einer Ladesäule am Firmengebäude betrieben wird. Zwischenfazit von Max Regenold: „Das Ganze trägt sich nur, wenn die Kollegen mitmachen.“ Immerhin gäben diese ein Stück Selbstständigkeit auf: Spontan eine Überstunde zu machen, das geht dann nur mit dem Laptop auf dem Schoß oder im Homeoffice.
Vieles ist möglich!
Es ist also Flexibilität gefragt, wenn es darum geht, Mitarbeitermobilität neu zu denken. Die Nachfrage beim Ökostromanbieter EWS Schönau zeigt, wie eng das Thema mit den Veränderungen der digitalen Arbeitswelt verknüpft ist. Nachhaltigkeitsmanager Christian Krause zählt zahlreiche Mobilitäts-Features auf, die sein Unternehmen verwirklicht: Car-Sharing, Jobrad-Leasing, überdachte Fahrradstände, auch die Fahrzeugflotte ist zu etwas mehr als 50 Prozent elektrifiziert. Er geht aber noch weiter: Krause selbst ist nur einmal im Monat vor Ort im Schwarzwald, den Rest der Arbeitszeit bestreitet er aus dem Homeoffice in Nürnberg. „Wenn man will, ist vieles möglich“, weiß Krause. Man müsse nur das Mindset etwas verändern. So sei es beispielsweise nicht für jeden Mitarbeiter und jede Firma eine Option, Teile der Arbeitszeit in die Fahrtzeit in Bus und Bahn zu verlegen. „Das ist sicher eine Typ-Frage.“
Aber warum soll ein Unternehmen nicht Anreize schaffen, Push- und Pulleffekte realisieren? Etwa über Zuschüsse zur BahnCard50, die Beschäftigte auch privat nutzen können (pull = ziehen). Umgekehrt können speziell Firmen mit großer Belegschaft Parkflächen einsparen (push = drücken). Und: Wer nur ein wenig von der liebgewonnenen Individualität abgibt, könne viel hinzugewinnen. Stichwort soziale Nachhaltigkeit. „Mitfahrgelegenheiten werden immer noch unterschätzt“, sagt Krause. Diese einzurichten, koste in der Regel nicht viel. „Auch E-Fahrzeuge verbrauchen Energie, und die kommt noch viel zu selten von der eigenen PV-Anlage.“
Aktuell erprobt er für die EWS eine Mitfahrer-App, die auch weitere Unternehmen aus dem Initiativkreis Oberes Wiesental nutzen sollen. „Wir wollen keine Insellösung, die Firmen sollen die gleiche Plattform nutzen.“ So können auch im Schwarzwald weitere Unternehmen Mitarbeitermobilität klimaschonend organisieren und dazu beitragen, den viel zu großen Kuchen der deutschen Verkehrsemissionen kleinzukriegen.
Benedikt Brüne
MobilSiegel als Anreiz
Seit 2021 vergibt die Freiburger Verkehrs AG im Auftrag der Stadt Freiburg gemeinsam mit den Landkreisen Emmendingen und Breisgau-Hochschwarzwald das „MobilSiegel“. Mehr als 80 Unternehmen sind bislang für die Umsetzung konkreter Maßnahmen für nachhaltige betriebliche Mobilität ausgezeichnet worden. Darunter übrigens auch die Regenold GmbH und die Geops GmbH.