Der Gast von heute will auch beim Bestellen unterhalten und verführt werden. Mit einer eselsohrigen 08/15-Menükarte kommt man da nicht mehr sehr weit. Tipps aus der Praxis, wie Gastronomen und Hoteliers ihr Angebot kreativ und appetitlich anpreisen – und so mehr verkaufen.
Wer einen Schlüssel in der Hand hält und wer nicht, das ist an kaum einem anderen Ort so entscheidend wie in einem Gefängnis. An dieses Privileg werden die Gäste, die das Restaurant im Hotel Liberty in Offenburg besuchen, charmant erinnert: Hier, in den früheren Mauern einer Justizvollzugsanstalt, öffnet ein Schlüssel die Pforte zur Dinnerkarte – über einen aufgelaserten QR-Code. Der präsentiert dem Gast per Smartphone weit mehr als „Wasser und Brot“ – auch wenn das Restaurant diesen Namen trägt. „Unsere Gäste finden das megatoll und schmunzeln bei der Bestellung“, berichtet Hotelmanager Christian Henninger. So ist der Hotelleitung ein schönes Beispiel dafür gelungen, wie man allein über die Speisekarte von sich reden macht.
Die Idee für den schlauen Kunststoffschlüssel stammt von Monika Schäfer. Die Inhaberin der Offenburger „DieSignAgentur“ und Mitglied im Kleinunternehmerausschuss der IHK Südlicher Oberrhein berät Firmen, die besser wahrgenommen werden möchten. Technisch umgesetzt hat das Konzept die Firma ihres Cousins Joachim Schäfer. Schlau ist der Schlüssel deshalb, weil dem QR-Code unterschiedliche Inhalte dynamisch hinterlegt werden können – PDFs, Bilder, Infos in verschiedenen Sprachen oder zu unterschiedlichen Anlässen.
Jetzt kann man einwenden: Schöne Idee, aber passt das auch zum Pizzabäcker, dessen Restaurant im schmucklosen Industriegebiet liegt? Oder zum Traditions-Café, das bei seinen Gästen nicht zwingend ein Smartphone voraussetzen kann?
Gute Zutaten für die Karte
- Nehmen Sie sich Zeit für Ihre Speisekarte: Sie ist Visitenkarte, Verkäufer und Botschafter in einem.
- Papier, Holz, Stoff – der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt, wenn es um Form, Format und Ausführung geht.
- Mehrwert bieten: Zu Speisen und Getränken auch Stories und Service.
- Weniger ist trotzdem mehr: Je übersichtlicher die Karte, umso schneller und einfacher können sich die Gäste entscheiden. Weil Zeit Geld ist, reduziert das Ihre Kosten – und animiert Kunden eher zum Nachbestellen.
- Heben Sie die Spezialitäten und Besonderheiten Ihres Hauses hervor – etwa mit einer kleinen Geschichte à la „Omas Rezept“, „mit Kräutern aus unserem Garten“ oder „unser Geheimrezept“.
- Die Mühe beim Texten und der Namenswahl der Gerichte lohnt: Die richtige Beschreibung verkauft besser und hebt die eigene Kochkunst und Arbeit aus der Masse hervor.
Rainer Witt
Den eigenen Eyecatcher finden
Immerhin gehört die Gastronomie zu den Branchen, die unter den coronabedingten Kontaktbeschränkungen am meisten zu leiden hatten, und in Krisenzeiten ist positive Aufmerksamkeit viel wert. Und dazu tragen mehrere Faktoren bei: von der klaren Positionierung im Markt über die Höflichkeit des Personals und die passende Speisekarte bis zu dem, was auf den Teller kommt. – Alles muss ineinandergreifen und zueinander passen.
Es lohnt sich also immer, ein wenig mehr Zeit in konzeptionelle Überlegungen zu investieren, statt etwa die Menüfolge mal so nebenher zwischen Gemüseeinkauf und Personalgespräch auf einem schlichten DIN-A4-Papier auszudrucken. „Die Idee muss zum Restaurant passen“, sagt Monika Schäfer. Und sie muss rund laufen: „Wenn ich dem Gast einen QR-Code anbiete, muss dieser auch funktionieren.“
Dass die digitale Option in immer mehr Restaurants eingesetzt wird, zeigt: Speisekarten sind ein Spiegel ihrer Zeit. Das findet sich auch anderswo: Viele Druckereien bieten inzwischen Papier mit antibakteriellen Beschichtungen an. „Auch damit kann man werben“, erklärt die Agenturinhaberin. So ist in Pandemiezeiten ein laminierter Bogen möglicherweise nur die zweitbeste Option für etwas, das täglich durch viele Hände geht.
Gäste lieben Geschichte(n)
Was für jedes Unternehmen eine Überlegung wert sein kann, erklärt Markenexperte Rainer Witt, der in Freiburg seine „Text-Werkstatt“ betreibt: „Marken sind Erzählungen“. Und die Speisekarte ist ein Spiegel der Marke. Deshalb darf darauf ruhig mehr stehen als eine Abfolge von Speisen und Zutaten. Zum Beispiel etwas aus der Familiengeschichte, Gedanken zur Verwurzelung in der Region oder zur Geschichte des Hauses. Am besten eingefasst in einen erzählenden Text. So präsentiert das Voglhaus in Konstanz auf der Karte nicht nur seine Belegschaft, sondern ausführlich den nachhaltigen Ansatz des Cafés. Die Gerichte selbst dürfen ebenfalls mehr Aura bekommen: Verwendet die Küche eine spezielle Rezeptur oder ein vitaminschonendes Kochverfahren? Das Restaurant Vierzehn in Lörrach erklärt auf seiner Karte zum Beispiel die besondere Destillation der servierten Brände und die Röstung des hauseigenen Kaffees – eingefasst von jahreszeitlichen Zeichnungen.
Und wer seinen Gästen Tipps oder Rezepte zum Nachkochen anbietet, verrät sicher kein Betriebsgeheimnis, stellt aber Nähe her.
Warum nicht das Restaurantlogo oder gleich die ganze die Speisenfolge auf Holzscheiben fräsen – wenn das Ambiente ohnehin ein rustikales ist? Nicht nur, wer junge Familien zu Gast hat, darf seine Kindergerichte verspielt gestalten, Zeichnungen oder Comics als Gestaltungselemente verwenden.
Auch schöne Wordings können den Unterschied machen. Auf den Speisekarten der auch in Südbaden vertretenen Burgerkette Hans im Glück beispielsweise kann sich der Gast „Heldenmut“ antrinken, die „Engelstrompete“ blasen oder etwas für sein „Seelenheil“ tun.
Kreativität und etwas Mut sind gefragt. Aber weil das Medium Speisekarte ohnehin gestaltet und getextet werden muss: „Warum nicht aus der leidigen Pflicht gleich eine Kür machen?“, argumentiert Witt, der an den Hochschulen in Freiburg und Offenburg Seminare zu Markensprache und -positionierung gibt.
Als Traditionalist will er keineswegs verstanden werden. Aber ebenso wie Kollegin Schäfer plädiert er dafür, das eigene Profil zu schärfen, Austauschbarkeit zu vermeiden – statt zwingend und ausschließlich auf die digitale Karte zu setzen. Dann kann auch eine handschriftlich gestaltete Karte der Schlüssel zum Gastronomieglück sein. bb
Lesetipp
Speisekarten sind immer Ausdruck der Moden und Geschmäcker ihrer Zeit. Was Restaurants unter diesem Aspekt in den letzten zwei Jahrhunderten hervorgebracht haben, zeigt der neue Bildband „Menu Design in Europe“.
Steven Heller | Menu Design in Europe – A Visual and Culinary History of Graphic Styles and Design 1800-2000 | Taschen | 448 Seiten | 50 Euro