„Entsorgen Sie die Beachflag!“
Eine vitale Innenstadt ist in der Regel nicht das Werk eines Einzelnen. Die Summe vieler Bausteine – von der Shop- und Gastronomievielfalt über ansprechende Freiflächen zum Verweilen bis zu durchdachten Sicherheits- und Beleuchtungskonzepten – macht eine Innenstadt für Bürger und Besucher attraktiv. Und trotzdem hat es jeder Ladenbesitzer und Gastronom ein Stück weit mit in der Hand, wie gut seine Stadt ankommt, meint Ute Marks, Expertin für (Innen)Stadtentwicklung und Stadtmarketing bei der Stadt + Handel Beckmann und Föhrer Stadtplaner PartGmbH.
Frau Marks, warum ist es für Händler, insbesondere in Innenstadtlagen, immens wichtig, sich in Sachen Erscheinungsbild etwas einfallen zu lassen?
Ute Marks: Schaufenstergestaltung war an sich immer schon ein Thema. Aber vielfach war man in der Vergangenheit daran gewöhnt, dass die Kunden einfach kamen, so dass man nicht überdurchschnittlich viel Herzblut ins Erscheinungsbild gesteckt hat.
Dann kam – schon vor Corona – der Online-Handel, und Kommunen wie Händler mussten feststellen, dass dieser Kunden abgreift. Das führte dann bei einigen zu der Erkenntnis, dass man mehr tun muss. Die großen Einkaufszentren sind da ein gutes Beispiel. Ihre Betreiber legen sich seit Jahren ins Zeug, um ihre Zentren attraktiv zu halten. – Sie haben es aber natürlich leichter, mit einer Stimme zu sprechen, und verfügen über feste Marketingbudgets, mit denen sie arbeiten können.
Nun liegt die Pandemie hoffentlich bald in den letzten Zügen. Warum ist das Thema „Gute Ladeninszenierung“ trotzdem jetzt noch wichtiger als zuvor?
Selbst, wenn bei manchem Händler oder Gastronom der Leidensdruck bislang noch nicht so da war, wird die Pandemie das geändert haben. Denn die Menschen haben ja auch während der Lockdowns weitergelebt. Sie hatten etwas zum Anziehen, zu Essen und haben bei Bedarf irgendwo eingekauft, vielfach online. Sie haben in dieser Zeit gelernt, dass es für ihr Leben nicht zwingend nötig ist, in die Innenstadt zu gehen.
Wenn sie das also künftig tun – und das sollen sie ja –, werden sie es tun, weil sie Lust darauf haben. Und dafür müssen die Rahmenbedingungen stimmen.
Und welche Rahmenbedingungen wären das?
Es wird vieles sein, was auf ein attraktives Stadterleben einzahlen muss, nicht mehr nur Handel und Gastro. Wir werden zum Beispiel versuchen müssen, Kultur, Dienstleistung, öffentlichen Raum, Wohnen, Bildung, Handwerk und produzierendes Gewerbe in unsere Zentren zurückzuholen, um (wieder) Leben reinzubekommen. Der öffentliche Raum muss von den alten Steinwüsten befreit werden. Man muss sich gerne aufhalten wollen.
Kann da ein Händler oder ein Gastronom überhaupt allein etwas ausrichten?
Ich glaube schon, dass es eine konzertierte Aktion sein muss. Denn Sie werden keine desolate Innenstadt zum Leuchten bringen, nur weil Ihr Schaufenster wie ein Diamant funkelt. Der muss dann eine sehr deutliche Strahlkraft haben, damit er alleine Besucher anlockt. Ich denke, es braucht ein gemeinsames Vorgehen, um ausreichend Durchschlagskraft zu erzeugen.
Trotzdem, auch wenn erst in der Summe ein stimmiges Bild entsteht, einer muss ja mal anfangen. Welche Möglichkeiten hat ein Händler oder Gastronom?
Mein wichtigster Rat wäre: Entsorgen Sie die Beachflag vor Ihrem Laden und Ihrem Lokal. Die sehen billig aus und sind für Passanten einfach lästig.
Man sollte sich immer fragen: Passt das, was ich rund um mein Geschäft oder meine Gastro treibe, zu meinem Laden? Wen will ich erreichen? Alte? Junge? Familien? – Und passt das, was man bei mir vorfindet, dann dazu? Amazon stellt sich diese Fragen jeden Tag, stationäre Händler so gut wie nie.
In einem schnuckeligen, historischen Innenstädtchen mit hochwertigen Läden ruinieren Ihnen billige Beachflags vor den Läden einfach das Gesamtbild. Und was signalisieren billige weiße Plastikstühlchen in Ihrer Außengastronomie?
Ich finde es gut, wenn sich alle Beteiligten – quasi von unten nach oben – auf Standards einigen können. Wenn das nicht geht, muss von oben die Ansage kommen, was geht und was nicht geht. Leider sind die Gestaltungssatzungen in vielen Kommunen noch auf dem Stand des letzten Jahrtausends.
Die Händler haben die Coronazeit also mehrheitlich verschenkt?
Ja, tatsächlich viele. Man hätte gerade in dieser Zeit die Schaufenster noch einmal speziell oder aufwändiger inszenieren können. Zum Beispiel nach dem Motto: Wir sind zwar gerade nicht da, aber unsere Gesichter sind da und hier könnt ihr uns erreichen… Oder man hätte häufiger umdekorieren können, um die Leute zum Vorbeibummeln zu animieren. Ich denke, die Menschen erfreuen sich daran, wenn ein Schaufenster gut gemacht ist, mit Augenzwinkern, edel, aufwändig oder einfach ungewöhnlich.
Auf einer meiner Dienstreisen während Corona habe ich einen Wollladen entdeckt, der lauter kunterbunte Wollfäden am Schaufenster dekoriert hatte. „Geduldsfäden“, für die Passanten zum Abzupfen. Der benachbarte Teeladen hatte kleine Entspannungstee-Beutelchen ausgehängt und beim Bäcker nebenan gab es kleine Kekstütchen als Nervennahrung am Fenster. So kann es auch gehen. An so etwas erinnert man sich. – Ich denke, das Thema Schaufenster wird viel zu stiefmütterlich behandelt.
Interview: Ulrike Heitze