Wie definieren Sie Nachhaltigkeit?
Dass ich meine Ressourcen so nutze, dass es am Schluss einer Generation der folgenden nicht zum Nachteil gereicht, dass also meine Kinder und Enkel gut auf dem Planeten leben können. Der Begriff kommt ursprünglich aus der Forstwirtschaft. Denn dort werden die Bäume, die man heute pflanzt, erst drei Generationen später geerntet.
Wie zentral ist dabei Klimaschutz?
Ohne Klima geht gar nichts. Klimaveränderungen hat es zwar immer gegeben, aber derjenige, der jetzt stattfindet, ist der kurzfristigste aller Zeiten. Wenn Temperaturen steigen, Dürreperioden zunehmen, wirkt sich das auch auf die Artenvielfalt aus. Das wirkt auf Wälder, Bodenerosion erschwert die Landwirtschaft und gefährdet die Lebensmittelversorgung, in den Gewässern sterben die Fische. Überhaupt ist Wasser ein zentrales Thema. Zum einen unmittelbar über die Trinkwasserversorgung. Aber auch eklatant für Unternehmen. Wasser brauchen alle. Speziell an Hochrhein und Schluchsee, wo Wasserkraft zur Stromgewinnung genutzt wird, gefährdet Niedrigwasser die Energieversorgung. Und die Schifffahrt, die gerade in der chemischen Industrie ein wichtiger Transportweg ist. Es ist ein komplexes System. Es hat 100 Jahren gedauert, bis wir den Klimawandel realisiert haben. Es wird weitere 100 Jahre dauern, bis wir ihn wieder eingedämmt haben. Das Problem ist, dass die Gefahr als nicht akut und somit nicht relevant wahrgenommen wird. Dabei müssten wir eigentlich schnell handeln, weil wir gerade an einem Kipppunkt der Entwicklung stehen
Warum sollten sich Unternehmen für Nachhaltigkeit interessieren?
Wenn man die gesamten Kosten, die ein Produkt, eine Maschine oder eine Technologie im Lauf ihres Einsatzes verursacht, betrachtet, ergeben sich ganz andere Rechnungen als etwa die Anschaffungskosten suggerieren. Viele Geräte kosten im Lauf ihrer Nutzung ein Vielfaches ihrer Anschaffungskosten. Dieses kann nur durch Betrachtung der Lebenszykluskosten ermittelt werden. Ein Problem dabei ist allerdings, dass nicht alle die Kosten, die sie langfristig verursachen, auch selbst tragen. Beispiel Atomkraft. Die Kosten für die Lagerung des radioaktiven Mülls, der eine Million Jahre vergraben werden muss, sind nicht im Strompreis kalkuliert. Wenn das so wäre, würde eine Kilowattstunde bis zu 100.000 Euro kosten.
Warum interessieren sich manche dennoch nicht dafür?
Weil es anstrengend ist. Wir tun uns alle leichter mit bekannten Systemen. Neues fordert Veränderung und auch ein gewisses Risiko. Studien zeigen, dass Veränderungen schwerer umzusetzen sind. „Haben wir immer schon so gemacht“ ist leichter. Entscheidungen etwas Neues zu machen, stoßen auf Widerstände. Die Technologie hat Riesenfortschritte gemacht. Das Problem ist aber das System: Es setzt auf Kosten- statt auf Energieeffizienz, auf Gewinn- statt auf Nachhaltigkeitsmaximierung. Deshalb gehen viele Firmen und Entscheider bei Umweltstandards den Weg des geringsten Widerstands. Das ist weniger anstrengend und weniger aufwendig, schlicht: menschlich. Zudem denken gerade große, vor allem börsennotierte Unternehmen oft in kurzen Zeitspannen und nicht unbedingt an die übernächste Generation. Da hat der seit 2012 verpflichtende Nachhaltigkeitsbericht eher die Funktion eines Feigenblatts zur Pflichterfüllung. Dabei spricht Nachhaltigkeit nicht gegen Gewinnmaximierung. Die fördert sie sogar langfristig. Der Green Deal der EU wird dieses noch stärker einfordern: Energiekosten werden deutlich steigen, Kredite für wenig nachhaltige Produkte steigen, Stichwort: Taxonomieregeln. Verbraucher werden gezielter einkaufen. Frei nach Gorbatschow: „Wer zu spät kommt …“
Was müsste sich ändern? Braucht es neue Gesetze?
Das Problem ist: Politiker machen Gesetze, und die sind im Endeffekt auch Interessensvertreter und haben ihre eigene Nutzungsmaximierung im Blick. Aber der Gesetzgeber ist für Unternehmen eigentlich uninteressant. Interessant ist, was Kunden verlangen. Und zwar sowohl die Verbraucher, als auch Firmenkunden. Denn wenn beispielsweise die Automobilindustrie grüner werden will, verlangt sie das gleichermaßen von ihren Zulieferern. Die Pyramide drückt nach unten. Auch die Lieferanten müssen sich mit Nachhaltigkeit auseinandersetzen. Bislang denken Verbraucher, Unternehmer und Politiker noch zu kurzfristig. Das Zitat von William Gladstone, britischer Premierminister im 19. Jahrhundert – „Ein Politiker denkt an die nächste Wahl, ein Staatsmann an die nächste Generation“ – könnte man auf Unternehmer ummünzen: Eine angestellt Führungskraft denkt an die nächste Stelle, ein Inhaber an die langfristige Entwicklung. Da kann es schon einen Unterschied zwischen inhaberführten Unternehmen und Konzernen geben.
Was tut die IHK?
Der Auftrag der IHK ist es, die Stimmung der Wirtschaft zu transportieren und bei gesetzgebenden Verfahren mitzuwirken. Aber ich mahne auch und sage deutlich, dass manche Dinge verpennt worden sind. Wir arbeiten daran, dass Unternehmen sich mehr damit auseinandersetzen, wofür sie ihr Geld ausgeben. Und dass dabei Nachhaltigkeit eine Rolle spielt. Dafür bieten wir viele Informationen, vor allem hinsichtlich Energieeffizienz, Klimaschutz und Lebenszykluskosten. Wir zeigen in Veranstaltungen oder durch Informationen, welche Schritte in einem Betrieb notwendig sind, um ihn sukzessive auf Klimaneutralität umzustellen.
Interview: kat
Michael Zierer
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