Seit zwei Jahren ist Bernhard Palm Vorstandschef beim E-Werk Mittelbaden – und steckt mitten in einem XXL-Transformationsprozess. Kulturell, technisch – und mit Blick aufs Geschäftsmodell.

Mit Gegenwind kennt er sich aus. Schließlich ist Bernhard Palm Ausdauersportler. Mehrmals in der Woche schnürt der Vorstandsvorsitzende vom E-Werk Mittelbaden seine Laufschuhe. Sechs Kilometer, manchmal neun. Am Wochenende geht’s aufs Rad und dann auch mal 100 Kilometer weit durch den Schwarzwald. Die Berge rauf und runter, auch wenn die Beine brennen. Schenkelgas geben! Langen Atem beweisen! Sicher nicht die schlechtesten Charaktereigenschaften, wenn man die Energiewende in Deutschland mitgestalten und einen 120 Jahre alten
Regionalversorger auf Touren bringen soll…
Vom Rebell aus dem Dorf in die Energiewirtschaft
Palm stammt aus einem kleinen Nest in Hohenlohe. Heiligenbronn, direkt an der Grenze zwischen Bayern und Württemberg. Die Eltern haben Landwirtschaft. Jeden Morgen früh raus, sieben Tage die Woche. Sowas prägt. Gleichzeitig aber ist der junge Bernhard einer, der auf seinen eigenen Kopf hört und im Zweifel auch mal stur all-in geht. „Ich hab’ als Schüler den Bus boykottiert und dafür den ganzen Ort mobilisiert“, erzählt er. ÖPNV auf dem Land in den 1980er-Jahren: Irgendwie hält man es auch 40 Jahre später noch ganz automatisch mit den Schülern…
Nach dem Abi wird Palm mit 28 jüngster Geschäftsführer in der Geschichte der Baywa-Gruppe. Warum? „Ich glaube, weil ich geradlinig und unbequem bin“, sagt Palm. „Ich kann anecken und auch mal Gegenwind aushalten.“ Zweimal gab es Momente, in denen er seiner Frau sagen musste, dass er nicht wisse, ob er morgen noch einen Job habe – zu sehr war er als junger Manager zwischen die Fronten von zwei Vorständen geraten und wieder mal all-in gegangen. Aber: mit Erfolg. Geholfen hat ihm dabei ein alter Silberrücken bei Krupp-Hoesch, der in Palm etwas erkannt hat und so eine Art Coach wurde, auch wenn man das damals noch nicht so nannte: „Er hat seine Lebenserfahrung mit mir geteilt“, sagt Palm.
2001 dann: Wechsel in die Energiewirtschaft. Erst was Kommunales, dann Vertrieb, später auch Technik. Im EnBW-Umfeld bekommt er die Verantwortung für eine Mini-Unit, die Netcom BW. 30 Mitarbeiter, sieben Millionen Euro Umsatz. Als Bernhard Palm das Unternehmen wieder verlässt, sind es mehr als 100 Millionen Euro Umsatz und 450 Mitarbeiter.
Keine schlechte Referenz…
Wer ein Corporate Start-up so auf Touren bringt, der ist kein Zauderer, sondern Pragmatiker. Einer, der sich mit dem Status quo nicht zufrieden gibt – genau so etwas suchte man beim E-Werk als neuen Impuls. Inzwischen hat das E-Werk umgeflaggt, ist nicht mehr mit einem lichtgrauen, sondern einem signalroten Logo unterwegs. Botschaft: Seht her! Wir kümmern uns um die Energiewende! Wir gehen zum Stromernten in den Schwarzwald und sehen uns eher als Actionhelden (so wirbt man dann auch um Azubis), denn als Strombeamte.
555 Millionen Euro mit 440 Mitarbeitern
Mit Palm und Finanzvorstand Martin Wenz an der Spitze macht das E-Werk Mittelbaden inzwischen 555 Millionen Euro Umsatz mit etwa 440 Angestellten. Gesellschafter: Städte und Gemeinden des Ortenaukreises und die EnBW. Gerade erst hat Palm das größte Investitionspaket der Unternehmensgeschichte angekündigt: Für rund 300 Millionen Euro bauen die Ortenauer 30 weitere Windräder und investieren in den Netzausbau, weitere Millionen fließen in Zusammenarbeit mit der Novellus Gruppe (Leitwerk, Octo IT, Q-Fox) in den Bau von Rechenzentren und den Ausbau eines leistungs-starken Ladesäulen-Netzes. Ein ganz schönes Tempo, das Palm da vorgibt – zumal das E-Werk früher auch schon mal an eine Behörde erinnerte und es durchaus reichte, wenn man alles wie immer machte.

Daheim gut versorgt. Der alte Claim war Programm. Denn das E-Werk konzentrierte sich als klassischer Grundversorger ganz auf sein Geschäftsgebiet. Leitungen ziehen, Strom fließen lassen, Zähler ablesen und mit dem Hubschrauber die Freileitungen hinten im Schwarzwald abfliegen: Das Highlight des Jahres in einer heilen Welt mit billigen fossilen Energieträgern, verlässlichen Rahmenbedingungen, stabilen Energiepreisen und (noch) wenig Wettbewerb…
Neue Herausforderungen
Palm hat es mit einer anderen Gemengelage zu tun. Spätestens seit 2022 ist Strom ein Politikum geworden. Energiewende, Klimaschutz, Nachhaltigkeit, Inflation: Rund sieben Millionen Haushalte wechseln im Jahr ihren Stromversorger. Denn Geld für Energie – das ist ein bisschen wie Steuern zahlen. Beim E-Werk weiß man das und verlegt sich mehr und mehr aufs Gestalten, denn aufs Verwalten. Auch, weil man weiß, dass man auf den großen Masterplan der Politik nicht mehr warten sollte. Besser ist es, selbst aktiv zu werden und Strom dezentral zu erzeugen. Zumal es mindestens so effektiv sei, auf der Hornisgrinde ein Windrad zu betreiben wie in der Nordsee – erst recht wenn man die Kosten für die Unterwasserfundamente mitrechne, die Anschlusskosten fürs Umspannwerk hinterm Deich und die Leitungskosten, um den Süden zu versorgen.

Die Fehler bei der Energiewende
„Energie ist heute für viel mehr Menschen ein Thema“, sagt Palm. Ein disruptiver, volatiler Markt, auf dem es darum gehe, fossile Energieträger zu ersetzen. Dass das ein Ziel ist, da sind sich fast alle einig. Aber der Weg dahin ist eben umstritten. „Im Grunde haben wir die Energiewende ganz falsch angefangen“, sagt Palm. „Vor allem in Sachen Netzausbau.“ Wie wäre es besser gegangen? Mit Digitalisierung und mit Smart Metern, wie sie in ganz Europa schon weit verbreitet sind. Damit kann man Preissignale für Strom setzen und Speicher nutzen, wenn Strom im Überfluss vorhanden ist oder für gutes Geld einspeisen, wenn gerade kein Wind weht oder viel Energie gebraucht wird. Mit genügend digitalen Daten würde man auch genauer wissen, wo Deutschlands Stromnetz wirklich ausgebaut werden muss, denn so etwas nach Gefühl entscheiden und sich dann für armdicke Erdkabel aussprechen: Das bringt den Palm auf die Palme: „Deutschland ist in Sachen Smart Meter ein Opfer seiner Datenschutz-Manie geworden. Bis heute kostet das unsere Volkswirtschaft jedes Jahr einen zweistelligen Milliarden-Betrag.“
Warum die Energiepreise künftig sinken werden
Doch Palm bleibt als gläubiger Christ (er spielt Trompete und liebt Gospel-Musik im Whoopie-Goldberg-Stil) trotz allem optimistisch: „Auch wenn die Nachfrage nach Strom weiter steigen wird: Die Energiepreise werden sinken, jedoch nicht die Netzentgelte, die ein Teil des Verbrauchspreises sind. Vielleicht nicht so schnell, wie sie könnten – aber auf Dauer macht es sich bemerkbar, dass wir und viele andere in den Ausbau erneuerbarer Energien investieren.“ Bis zu einer Terawattstunde Ökostrom will das E-Werk künftig jedes Jahr im Schwarzwald ernten, das entspricht einer Milliarde Kilowattstunden. Bisher sind es nur 100 Millionen. Und um das noch ins Verhältnis zu rücken: Der Gesamtabsatz inklusive Industrie und Gewerbe liegt bei rund 2,5 Terawattstunden. Für den Ausbau der Eigenstromerzeugung hat das E-Werk mit dem Kehler Hafen sogar die Einrichtung eines Windanlagen-Kais angestoßen, wo Rotorenblätter und Turmsegemente angelandet werden.
Damit nicht genug. Auf Palms Agenda steht auch die Digitalisierung des kompletten Produktangebots. Das E-Werk werde nicht mehr nur Stromlieferverträge verkaufen, sondern auch Wärmepumpen und Wallboxen, Solaranlagen und Stromspeicher. Komplette Home Management Systeme, angebunden mit einer intelligenten Energiesoftware, die das Auto oder den Speicher lädt, wenn Strom fast verschenkt wird. „Wir wollen überproportional wachsen – aber mit der bestehenden Mannschaft“, sagt Palm dazu, der mittendrin ist in einem Kulturwandel: Weniger Hierarchien, mehr Eigenständigkeit, mehr Verantwortung. Entscheidungen soll treffen, wer die meisten Infos hat – und nicht der, der im Organigramm oben steht.
So sehr Palm auch Gas gibt – eines wird er wohl nicht mehr erleben, weder als Vorstand, noch als Mensch: Dass in Deutschland das letzte Gaskraftwerk abgeschaltet wird. „Das wäre aber auch nicht sehr wirtschaftlich“, sagt er. „Denn für die letzten drei bis zehn Prozent ist Gas optimal. Alles andere aber kriegen wir regenerativ hin.“ Ulf Tietge
Das E-Werk in Zahlen
Rund 2,5 Terawattstunden Strom haben die Kunden des E-Werks 2025 durch ihr 9100 Kilometer langes Netz fließen lassen. Hinzu kommen 33 Millionen Kilowattstunden Wärme in Offenburgs Fernwärmenetz, das gerade mit einem neuen Kraftwerk für zehn Millionen Euro ausgebaut wird.