Rietheim-Weilheim. „Es hätte schlimmer kommen können.“ Aus dem Mund eines Schwaben ist das ein großes Lob. Harald Marquardt beurteilt mit diesen Worten sein bisheriges Wirken als Firmenchef. Der in Trossingen geborene und in Rietheim aufgewachsene Unternehmer ist allerdings nicht nur Schwabe, sondern auch weltgewandter Geschäftsmann. Er kokettiert mit der Ironie und unterstreicht sie mit dem für ihn typischen schallenden Lachen. Denn die Bilanz seiner 25 Jahre an der Spitze der Marquardt-Gruppe enthält etliche Superlative. Seit 1996 hat der Mechatronikspezialist, der unter anderem elektronische Schlüssel und Bedienelemente für viele Automarken produziert, die Zahl der Mitarbeiter verfünffacht und den Umsatz verzehnfacht. Unter Harald Marquardts Führung entstanden weltweit neue Produktions-, Entwicklungs- und Vertriebsstandorte. 11.000 Männer und Frauen arbeiten mittlerweile für die Gruppe, davon 2.000 am Stammsitz in Rietheim. Rund 1,2 Milliarden Euro hat Marquardt im vergangenen, pandemiegeprägten Jahr umgesetzt; 2019 sogar 1,3 Milliarden. Vor 25 Jahren waren es umgerechnet etwa 125 Millionen Euro.
Harald Marquardt kann also zufrieden sein. Die Entscheidung, in dritter Generation ins 1925 gegründete Familien-unternehmen einzusteigen, muss er nicht bereuen. Dabei fiel sie ihm damals gar nicht so leicht. Mitte der 1990er-Jahre arbeitete Harald Marquardt für den Lichtspezialisten Osram in London. Er war gerade Vater von Zwillingen, Junge und Mädchen, geworden, hatte nebenberuflich seine Doktorarbeit abgeschlossen, und Osram wollte ihn in die italienische Zentrale schicken. Angestellt in Mailand oder Gestalter in Rietheim, lautete die Wahl. Dass er sich für die knapp 3.000-Einwohner-Gemeinde nahe Tuttlingen entschied, zeigt seine Heimatverbundenheit und seinen Familiensinn. Ausschlaggebend sei das Aufgabenspektrum gewesen. Und die Zustimmung seiner Frau, die selbst aus der Region stammt.
Harald Marquardt ist „hier im Dorf“ als mittlerer von drei Söhnen aufgewachsen, die Brüder haben Wege außerhalb des Familienunternehmens eingeschlagen. Als Unternehmerkinder seien sie nicht weiter aufgefallen – „in Rietheim ist jeder reich“. Der Ort gilt als wohlhabend, er zählt mehr Arbeitsplätze als Einwohner. Außer Marquardt produziert beispielsweise auch der Signaltechnikhersteller Werma in Rietheim. „Ich bin gerne in der Stadt, ich komme aber auch immer gerne zurück“, sagt Harald Marquardt. Der schwäbische Kosmopolit, der in London gearbeitet und in München studiert hat (Maschinenbau bis zum Vordiplom, dann BWL), reiste vor Corona gut ein Drittel des Jahres geschäftlich durch die Welt. Sein Werdegang hat nach dem Abitur indes ganz bodenständig und regional begonnen: mit einer Banklehre in der Heimat.
Harald Marquardt ist dieses Jahr 60 geworden, hat aber keinerlei Ambitionen, sich aufs Altenteil zu verabschieden. Er arbeitet gern, auch Zwölf- oder Vierzehn-Stunden-Tage. „Es macht mir wirklich Freude“, sagt er. „Vor allem die Zusammenarbeit mit guten Leuten.“ Ob seine Kinder, mittlerweile 26 Jahre alt, als vierte Generation einsteigen, ist offen. Wie der Vater haben beide BWL studiert. Die Tochter arbeitet bei einer Unternehmensberatung, der Sohn leitet ein Software-Start-up. „Bei der Größe, die das Unternehmen mittlerweile hat, ist die Hürde höher“, sagt Harald Marquardt. Sein Unternehmen erfolgreich zu führen, sei sein Hobby, andere brauche er nicht. Ab und an steigt er noch aufs Fahrrad, das er früher wesentlich lieber mochte als das Klavierspiel, zu dem seine musikalisch veranlagte Mutter ihn drängte. Ihr, die 1996 starb, nur zehn Tage nach seinem Eintritt ins Familienunternehmen, hat sein Vater Jakob Marquardt einen Preis für begabte und bedürftige Nachwuchsmusiker gewidmet. Auch Harald Marquardt unterstützt viele in der Region, die weniger Glück haben, als er selbst.
Sein Vater ist ein großes Vorbild. „Sehr diszipliniert, hochanständig, gradlinig – ein ehrbarer Unternehmer und Patriarch im guten Sinne“, so beschreibt er ihn. Und viele dieser Eigenschaften hat Harald Marquardt wohl auch selbst. Er ist anspruchsvoll sich und anderen gegenüber, fordern und fördern lautet seine Devise. Er schätzt Menschen, die sich engagieren: „Wer unternehmerisch tätig sein will, darf sich hier austoben.“ Die Industrie als Wohlstandsgarant: Das ist auch außerhalb des eigenen Unternehmens eines seiner Herzensthemen. Wie die Zukunft des Industriestandorts Deutschland aussehen soll, treibt ihn um, und die Ineffizienz der Politik regt den Unternehmer auf. Harald Marquardt will mitgestalten. Deshalb engagiert er sich seit vielen Jahren als Vizepräsident bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg und im Vorstand des Arbeitgeberverbands Südwestmetall. Die Mobilitätswende geht Marquardt aktiv an, schon aus eigenem Interesse. 80 Prozent des Umsatzes generiert das Unternehmen im Automotivesektor. Dazu gehören heute auch Batteriemanagementsysteme für Elektrofahrzeuge, hochwertige Komponenten für den Fahrzeuginnenraum sowie Fahrberechtigungssysteme. Harald Marquardt selbst fährt mittlerweile vollelektrisch. Zumindest, wenn er in der Region unterwegs ist.
kat