
Ebringen. Im Studio in Ehrenkirchen zückt Oliver Heintz ein Foto. Darauf sitzen Regierungschefs wie Olaf Scholz, Joe Biden und Emanuel Macron beim G7-Gipfel im Restaurant „Summit“, das zum Schloss Elmau gehört, vor einem schmucken Wanddekor. Eine Kreation aus dem Naturwerkstoff Bark Cloth (zu Deutsch Rindentuch), den Heintz und seine Frau und Geschäftspartnerin Mary Barongo unter der Marke Barktex herstellen. Das braune, fasrige Rindentuch hat eine über tausend Jahre alte Kulturgeschichte; zahlreiche ostafrikanische Legenden drehen sich darum. Die Rinde wird vom Mutuba-Baum geerntet, der in Uganda vorwiegend von Kleinbauern in Agroforst-Mischplantagen angebaut wird. Seine Krone sorgt für Schatten für darunter angepflanzte Gewächse, zum Beispiel Kaffee. Wenn Heintz von den vielfältigen Einsatzmöglichkeiten schwärmt, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus.
Ende der 1990er Jahre entdeckt Heintz bei Mary Barongos Schwester eine mit Bark Cloth verzierte Postkarte. Der Tourismusmanager ist elektrisiert: Konnte man dem archaisch anmutenden Stoff mit modernen Produktionsverfahren mehr Funktionalität geben, um heutigen Ansprüchen gerecht zu werden? Eine Idee war geboren. 1999 ist ein Jahr des Aufbruchs für das dynamische Duo: Das Paar heiratet und gründet „Bark Cloth_europe“. Sie beginnen, ein Netzwerk aus Biobauern aufzubauen – rund 600 sind es heute –, die den Rohstoff in der gewünschten Qualität liefern und bauen eine Manufaktur auf, die von Eleanor Mulegi, Barongos Schwester, geleitet wird. Vor Ort wird ausschließlich in Handarbeit gefertigt, ein Stromnetz gibt es nicht. Die Angestellten sind alles Frauen, die über wenig oder gar keine klassische Bildung verfügen. Im Haupterwerb arbeiten sie als Kleinbäuerinnen, im Nebenerwerb als stolze Designerinnen: Sie sind für das Bleichen und Zusammensticken der Patches verantwortlich. Jedes so zusammenkonfigurierte Stück Barktex ist einzigartig. Das Unternehmen garantiert drei halbe Tage in der Woche Mindestarbeitszeit, meistens ist es mehr. Oft verdienen die Frauen durch ihre Zusatztätigkeit besser als ihre Ehemänner.
Für ihr Engagement wurde Mary Barongo als einzige Unternehmerin aus Deutschland zum Global Entrepreneurship Summit von Barack Obama eingeladen, bei dem sich 800 Frauen aus aller Welt austauschten. Das Stärken von Frauenrechten und nachhaltiger Wirtschaftskreisläufe ist dem Unternehmerehepaar ein Anliegen. Zu traditioneller „Entwicklungshilfe“ haben sie eine klare Meinung: „Die Menschen in Afrika benötigen keine Almosen, die brauchen Marktzugang“.
Das Arbeitsethos beschreibt Heintz so: „Wir gehen dorthin, wo niemand mehr hinwill, und arbeiten mit Menschen, mit denen keiner arbeiten möchte.“ Gemeinhin würden Investitionen in diese Regionen als riskant gelten, die beiden Unternehmer halten aufgrund ihrer starken Bindungen und Netzwerke das Risiko für überschaubar. Menschliche Bindungen sind auch Kern ihres Ehrenamts in Deutschland: Beide engagieren sich in Seniorenheimen.
Handarbeit? Naturstoffe? Zu Beginn wurde das Vorhaben sowohl von Ugandern als auch von Deutschen belächelt. Eine Private Public Partnership mit der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) ermöglicht den unternehmerischen Start. Dennoch mochten lange Zeit nur wenige das Potenzial der braunen Faser sehen, obwohl das Material an der Schnittstelle zwischen Holz und Textil bestens in die Anforderungen der Zeit passt: Ein nachwachsender Rohstoff, der nachhaltige Wirtschaftskreisläufe fördert und CO2-neutral gefertigt wird – einzig die Luftfracht trübt die Bilanz.
Obwohl die Energiekrise das Unternehmen wenig tangiert, sei durch die allgemeine Verunsicherung alles schwerer planbar geworden. Aber: „Flexibel sein und sich gegen alle Widrigkeiten zu helfen wissen, das haben wir in Afrika gelernt“, sagt Heintz.
Für 2023 freuen sie sich auf eine Zusammenarbeit mit einem großen Schweizer Tapetenhändler sowie einem Holzwerkstoffhändler in Trier. Im Studio stehen viele Designobjekte, die Heintz und Barongo entwickelt haben. Sportartikelhersteller Puma designte Sneaker mit Barktex in der Zierleiste, Mercedes hat ein Lenkrad damit bezogen, Schreiner haben Möbelstücke damit individualisiert. Am häufigsten kommt das Material als Innendekor zum Einsatz, in Cafés oder edlen Geschäften.
Und doch klingt bei Heintz ein wenig Enttäuschung durch: „Hier in der Region interessieren sich leider nur wenige.“ Insgesamt hätten die beiden Deutschland als „wenig innovationsfreudig“ erlebt. Ihr Wunsch wäre, einen Partner zu finden, der den Vertrieb vollständig übernimmt. „Dann wären wir das halbe Jahr in Uganda und würden weiterentwickeln.“ Das nächste Projekt mit einem Naturwerkstoff ist bereits in der Pipeline, diesmal im ländlichen Brasilien.
db