Schramberg. Strategie, Spezialisierung, Konzentration: Diese Begriffe spielen eine wichtige Rolle in Reinhold Hettichs Leben als Unternehmer, Musiker und Mensch. „Ich bin strategisch ziemlich heftig drauf“, sagt der 56-jährige Gründer und Inhaber des Schramberger Musikhandels „Mister Music“. Und Hettich ist diszipliniert. Er steht früh auf, um Musik zu machen. Ein bis zwei Stunden übt er immer noch täglich. Er spielt Orgel und Piano und tritt zehn bis fünfzehn Mal pro Jahr mit seinem Jazztrio auf. Das sei mehr als ein Hobby, das sei eine Leidenschaft. Er trennt sie allerdings „ganz krass“ vom Geschäft. „Ich bin entweder Musiker oder Kaufmann“, sagt Hettich. Für ihn sind das zwei verschiedene Welten. Der verträumte, verspielte Musiker bleibt daheim. Im Geschäft muss er Kaufmann sein und auch so denken – wenngleich es natürlich hilfreich ist, dass der Chef und alle seine zehn Mitarbeiter begeisterte Musiker sind.
Beim Gespräch in seinem Büro über den Verkaufsräumen mit Blick auf Felder und Wald kommt Hettich schnell auf die drei für ihn entscheidenden Buchstaben zu sprechen: EKS steht für Engpasskonzentrierte Strategie. Diese von dem Betriebswirtsprofessor Wolfgang Mewis entwickelte Lehre hat Hettich in einem Fernstudium erlernt und setzt sie seither konsequent in seinem Unternehmen um. Kernpunkt der EKS ist die Fokussierung, die Spezialisierung. Und zwar nicht auf ein Produkt, sondern auf eine Zielgruppe. In Hettichs Fall sind das Tanz- und Unterhaltungsmusiker und hier wiederum, sozusagen als Unterzielgruppe, Spieler digitaler Akkordeons. „Wir drücken Kunden nicht nur ein Instrument in die Hand, sondern sehen uns als Problemlöser“, erklärt Hettich. Mister Music hat eine eigene Software für digitale Akkordeons entwickelt und ist damit deutschland- wie europaweit zum Spezialisten dieses Segments geworden. Dafür hat das Schramberger Geschäft jüngst den Emida, eine Art Oscar der europäischen Musikhändler, erhalten. Es zählt in seinem „Spezialisierungsportfolio“ circa 5.500 Kunden. Nur gut die Hälfte davon kommt aus Baden-Württemberg, der Rest aus ganz Deutschland, der Schweiz und Europa von Finnland bis Griechenland. Mister Music ist auf allen wichtigen Internetkanälen unterwegs. Die Youtube-Videos kommen auf zwei Millionen Klicks. Rund vier Fünftel seines Umsatzes erzielt Mister Music in seinem Spezialisierungsportfolio – stationär wie online. Das restliche Fünftel entfällt auf das regionale Geschäft. „Wir sind das größte Musikhaus zwischen Bodensee und Stuttgart“, sagt Hettich, der darin auch einen regionalen Auftrag sieht.
Reinhold Hettich ist ein echter Schramberger. Der Sohn eines Malers wuchs mit vier Brüdern auf. Die Familie war musikalisch. Mit 13 begann Reinhold, Akkordeon und Orgel zu lernen und fing gleich Feuer. Ein Jahr später spielte er schon in einer Band und verdiente mit Tanzmusik Geld. Mit 16 entdeckte er den Jazz als seine Leidenschaft. Und in dem Alter war ihm schon klar, dass er einen Musikhandel gründen will. „Das sind die Gene“ erzählt Hettich. „Bei uns sind alle selbstständig.“ Selbst gestalten, bestimmen, Verantwortung übernehmen: So ist er aufgewachsen als Teil des Hettich-Clans, zu dem beispielsweise der Schramberger Schraubenhersteller Heco ebenso zählt wie der große niedersächsische Möbeltechnikhersteller Paul Hettich, der seinen Ursprung im Schwarzwald hat. Nach Mittlerer Reife, kaufmännischer Ausbildung und Bundeswehr startete Reinhold Hettich 1985 als 23-Jähriger in die Selbstständigkeit. Ein Jahr später eröffnete er seinen ersten Laden in der Schramberger Fußgängerzone. Mister Music entwickelte sich gut, wuchs und zog deshalb 1994 hoch auf den Sulgen, 1998 an den jetzigen Standort im Industriegebiet Brambach. Die Blasinstrumenteabteilung hatte Hettich da bereits ausgegliedert und an zwei ehemalige Mitarbeiter verkauft. So konnte er sich ganz auf Entertainer und Tanzmusiker konzentrieren. 2003 startete er eine Akademie für deren Weiterbildung.
Konzentrieren bedeutet für Hettich auch, effektiv zu arbeiten, nur in Einzelfällen Überstunden und genauso viel Urlaub wie seine Mitarbeiter zu machen. Er habe gelernt, dass nicht nur er der Firma, sondern auch die Firma ihm diene. Der Tausendsassa braucht die Zeit für seine vielen Aktivitäten neben der Musik. Hettich malt und macht viel Sport, das sieht man dem drahtigen Mittfünfziger an. Er joggt und fährt Rad, mit seiner Frau, einer Physiotherapeutin – mittlerweile als Freizeitvergnügen, mit weniger Ehrgeiz als früher. Die beiden haben zwei Kinder, 23 und 20 Jahre alt. Der Sohn arbeitet als Wirtschaftsprüfer in Mannheim, die Tochter jettet als ausgebildete Barkeeperin um die Welt. Hettichs Vater, mittlerweile 86 Jahre alt, kommt immer freitags zum Mittagessen. Während des Gesprächs fällt Reinhold Hettich ein, dass er ihn wie jede Woche anruft und an die Einladung erinnert. Um halb eins holt er ihn ab zu sich nach Hause, wo seine Frau gekocht hat.
kat