Schramberg. Wer André Alesi im Gespräch erlebt, wird erstmal kaum vermuten, dass sich der 38-Jährige dem Thema Erholung verschrieben hat. Oder vielleicht gerade doch. Denn nur, wer sich einigermaßen an die eigenen Ratschläge und Forschungsergebnisse hält, ist mit so viel geballter Energie und Präsenz bei der Sache – und bekommt so viele Projekte unter einen Hut wie der Mehrfachunternehmer und dreifache Vater.
In seinem Büro stapeln sich im Regal Wearables – Trackerarmbänder und -ringe – mit denen sich Vitalfunktionen messen lassen, Aufklebepads für Kardiorekorder, Kissen mit eingebauten Messgeräten oder aus neuartigen Materialien, Melantoninsprays und pflanzliche Schlafmittel. Daneben vieles, was einem die Ruhe rauben kann, vom Energydrink über Alkohol und Kaffee bis zum Smartphone. Anschauungsmaterial für seine Vorträge.
André Alesi hat sich den Themen Schlaf und Regeneration verschrieben. „Schlaf ist das für mich am meisten unterschätzte Thema. Jede Zelle reagiert auf Schlafdeprivation, bis hinein in die Genaktivitäten“, erklärt er schwungvoll. Bewegung und Ernährung seien wichtige Grundpfeiler für unsere Gesundheit, aber Schlaf sei das Fundament. „Wenn der nicht stimmt, nützt Ihnen Bewegung gar nichts. Und Sie könnten Karotten essen, bis Sie orange sind… Der Schlaf beeinflusst unseren Tag – und umgekehrt. Unterm Strich geht es darum, sich bestmöglich zu erholen, um leistungsfähig zu halten. Und Schlaf ist die Königin der Regeneration.“
In seinem gleichnamigen Institut in der Schramberger Hauptstraße erarbeitet Alesi deshalb mit – regionalen wie nationalen – Arbeitgebern im Rahmen ihres Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM/BGF) Konzepte für schlafgesunde Schichtdienste und Arbeitspläne, berät Jetlag geplagte Manager und Menschen mit Schlafstörungen, begleitet Profisportler als Personal (Schlaf-)Trainer bis zu den olympischen Spielen und berät Unternehmen bei der Entwicklung von Produkten.
Ein- und Aufstieg als Bettenhäusler
Für mehr als anderthalb Jahrzehnte war André Alesi in Schramberg – und zweitweise auch in Trossingen und Donaueschingen – das Gesicht des Bettenhauses Alesi. Anfang der 2000er-Jahre war der gebürtige Göppinger im Geschäft der Mutter eingestiegen. Trotzdem war das Thema Schlaf lange nicht seine erste Wahl. Nach der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in Stuttgarter Kaufhof wechselte er auf die Textilfachschule in Nagold. „Ich wollte die Textilwelt entdecken, war in Indien, liebäugelte mit einer Karriere als Unternehmensberater. Ich hatte wenig Interesse, ins Bettenbusiness einzusteigen.“
Dann der Hilferuf der Mutter, das Unternehmen – damals noch ein Vollsortimenter für Haushalt, Baby und Schlaf – müsse neu aufgestellt werden und ob er bitte aushelfen könne. „Für mich war klar, ich komme – aber nie mit der Absicht, gleich 15 Jahre zu bleiben“, erinnert er sich schmunzelnd. Die Banken zwingen den neuen Juniorchef, sich angesichts der gewünschten Finanzierung stärker festzulegen. „Damals war ich 21 und ein bisschen jugendlicher Leichtsinn war auch dabei.“
Alesi und seine Frau entwickeln das Unternehmen in den folgenden Jahren weiter zum reinen Fachgeschäft für Schlaf, eröffnen einen dritten Standort in Donaueschingen, beschäftigen 30 Mitarbeiter. Nebenbei studiert er BWL an der Berliner Steinbeis-Hochschule und schließt für drei weitere Jahre ein Masterstudium Internationale BWL an der ESB Business School in Reutlingen an. „Für den Worst Case, dass die ganze Unternehmung mal kollabieren sollte. Bildung kann dir keiner nehmen“, begründet er die langen Lernabende und -wochenenden nach Ladenschluss.
Evolution zur Regenerationsberatung
Im Studium entwickelt sich auch die erste Nachfrage nach Schlaf- und Regenerationsberatung. „Meine Kommilitonen arbeiteten bei Daimler, Bosch, jetteten um die Welt – und ich war der mit dem Bettenhaus.“ Der, bei dem die anderen dann ratsuchend landen, wenn es um Jetlag und Schlafprobleme geht. Alesi macht sich, jenseits der reinen Produkte, die er ja schon aus dem Effeff kennt, im Selbststudium über Schlafhygiene und -hilfsmittel schlau. Die ersten Unternehmen bitten um Vorträge, seine Expertise zieht Kreise.
2015 gründet André Alesi das Unternehmen Sleep Consulting, drei Jahre später muss sich das Ehepaar entscheiden: drei Bettenhäuser, ein Kind und weitere in Planung sowie die boomende Beratung. Wie soll es weitergehen? Sie entscheiden sich für Verkleinerung und Wachstum zugleich: Jessica Alesi führt künftig mit ihrem Team das Bettenhaus – aber nur noch am Standort Schramberg – und André Alesi konzentriert sich mit dem Institut und vier Mitarbeitern auf den wissenschaftlichen Ausbau der Schlaf- und Regenerationsberatung, inklusive eines weiteren berufsbegleitenden Studiums, diesmal Prävention und Gesundheitsmanagement. „Das waren wieder zweieinhalb sehr anstrengende Jahre – zwischenzeitlich kamen auch noch unsere Zwillinge –, aber mir war es wichtig, mehr über Diagnostik und die Regulatorik des BGM zu lernen.“
Bloß kein Stillstand
Die Coronapause, in der alle Vor-Ort-Projekte plötzlich auf Eis liegen, nutzt Alesi, um auf Onlinecoachings umzustellen, gemeinsam mit dem Sportmediziner Lutz Graumann ein Buch zu schreiben („Endlich richtig ausgeschlafen“, TW Verlag) und ein digitales 3D-Schlaf- und Regenerationsportal für Internetschulungen aus dem Boden zu stampfen. „Ich versuche in Sachen Schlafen und Regeneration der Schmelztiegel zu sein für die klassische Wissenschaft, für moderne Forschung und für die Übersetzung in die schwäbisch-badische Unternehmenswelt.“
Doch wie bekommt man diese Vielzahl an Projekten unter einen Hut, ohne schon nach vier Wochen auf dem Zahnfleisch zu gehen? „Ein gutes Team und eine Partnerin, die das alles mitträgt“, meint André Alesi dankbar. Dazu ein gutes Maß an Disziplin und Selbstorganisation. Und man müsse sich die Zeit für Wesentliches ganz bewusst freischaufeln, und anderes, Unproduktives aktiv sein lassen. „Vor zehn Uhr mache ich keine wichtigen Termine, weil ich vorher noch nicht fit bin. Dafür laufe ich jeden Morgen mit meinen Jungs nach dem Frühstück einen guten Kilometer zu Fuß zum Kindergarten. Familienzeit, bei der wir gleichzeitig Vitamin D tanken.“ Trotzdem habe aber auch er Phasen, in denen seine Batterien leerliefen.
Standort Schwarzwald mit Vorteilen
Die Entscheidung für Schramberg als Firmensitz kommt dem ganzen Konstrukt entgegen – eine Stadt der kurzen Wege. Firmenkunden von außerhalb seien zwar manchmal irritiert über den Standort und ob der langen Anreise. „Aber wir bringen sie dann hier im Schwarzwald unter und schon wird das mit der Regeneration viel klarer.“
Ab Herbst will André Alesi mit seiner Promotion zum Thema „Schlaf und Regeneration bei eSportlern“ beim Kölner Sportwissenschaftler Ingo Froböse beginnen. Und das Thema Regeneration der Natur soll perspektivisch eine größere Rolle spielen. Als Investor und Berater engagiert er sich nicht nur für Gründer aus dem Schlafbereich, sondern auch für Startups, die sich mit der Regeneration von Umwelt beschäftigen. „Da gibt es unglaubliche Parallelen. Beide haben nicht mehr genügend Zeit, sich zu regenerieren. Das muss das eigentliche Thema in unseren Nachhaltigkeitsdebatten sein.“
Ulrike Heitze