11 | 2017
Wirtschaft im Südwesten
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Testturms ist ein anderer: Er dient als Zukunftslabor der
Aufzugstechnik. „Alles, was wir weltweit entwickeln,
wird hier ausprobiert“, erklärt Schierenbeck. Weil in
Zukunft immer mehr Menschen in Städten leben, 2050
voraussichtlich 70 Prozent der Weltbevölkerung, geht
es dort auf begrenztem Raum immer höher hinaus.
Bereits jetzt gibt es in den Megacities der Welt Hoch
häuser, die den 246 Meter hohen Rottweiler Turm um
ein Mehrfaches überragen. Das derzeit höchste Haus
der Welt in Dubai misst über 800 Meter. Bald die Hälfte
der Grundfläche dieser gigantischen Gebäude nimmt
die dafür nötige Aufzugstechnik in Anspruch. Außerdem
wird das schiere Gewicht der Aufzugsseile zunehmend
problematisch. Das will Thyssenkrupp Elevator ändern.
„Wir haben den Aufzug neu erfunden“, sagt Schieren
beck. Der „Multi“, der in dreien der insgesamt zwölf
Aufzugsschächte in Rottweil bereits im Testbetrieb
läuft, verwendet eine neue Antriebstechnik. Die Mag
netschwebetechnologie aus dem Transrapid ersetzt
hier die Seile. Mehrere Kabinen können dadurch in
einem Schacht auf und ab sowie hin und her fahren
und so bis zu 50 Prozent mehr Menschen transpor
tieren. Ohne Seile braucht der Multi nur halb so viel
Platz wie konventionelle Aufzüge, und es gibt kein Li
mit mehr für die Höhe der Gebäude. Thyssenkrupp
Elevator schickt sich damit an, Technologieführer für
Aufzüge zu werden. Voraussichtlich 2020 kommt der
Multi erstmals außerhalb des Testturms zum Einsatz:
in dem 142 Meter hohen „East Side Tower“ in Berlin,
der bis dahin fertiggestellt sein soll.
Künstliche Stürme erzeugen
Innovativ sind die Aufzüge, die im Turm getestet wer
den, und innovativ ist auch der Bau selbst. „Wir haben
versucht, so viele Innovationen wie möglich darin zu
verbauen“, berichtet Architekt und Bauingenieur Sobek.
Da ist zum Beispiel die bereits erwähnte Betonwand, die
in Relation zur Größe des Turms dünner als die Schale
eines Hühnereis ist. Oder der sogenannte Schwingungs
tilger, ein 240 Tonnen schwerer Betonklotz in der 21.
Turmetage, dessen Motor Schwankungen des Gebäu
des entgegensteuern, beziehungsweise – und das ist
bislang weltweit einzigartig – diese auch simulieren
kann. „Zum Testen brauchen wir extreme Bedingun
gen“, erklärt Schierenbeck. Daher habe man die Idee
des Schwingungstilgers umgedreht, um aktiv Bewegung
zu erzeugen. „Wir können den Turm gezielt anregen, in
jeder Frequenz, die wir benötigen“, so Schierenbeck.
Einmal kam der Schwingungstilger bereits zum Ein
satz, als am Schmutzigen Donnerstag ein echter Sturm
den Turm rüttelte. Sichtbar waren diese Bewegungen
nicht, aber spürbar, wie Entwicklungschef Thomas Ehrl
berichtet: „Die ganze Forschungsabteilung wurde see
krank.“ Die rund zwei Dutzend Ingenieure, Informatiker,
Physiker und Elektriker haben ihre Büros auf 200 Meter
Höhe. Für künftige Böen, ob echte oder ausgelöste, gibt
es jetzt Ausweichräume in den unteren Etagen.
Die Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Thys
senkrupp Elevator ist fachlich bunt gemischt und sehr
Der Testturm misst 246
Meter ab dem Boden und
geht weitere 30 Meter in
die Tiefe. Den Aufzügen
stehen damit insgesamt
über 270 Höhenmeter
für ihre Testfahrten zur
Verfügung.
Zwölf Aufzugsschächte
beherbergt der Turm. In
einem ist der Panorama
aufzug für Besucher
untergebracht, in den
anderen laufen Hochge
schwindigkeitsaufzüge
im Testbetrieb. Drei
Schächte belegt der
seillose Aufzug „Multi“.
Auch Treppen gibt es
im Turm mit insgesamt
1.617 Stufen.
Die Besucherplattform
liegt auf 232 Meter
Höhe. Sie ist von
einer hohen Glasfront
umgeben und mit dem
Panoramaaufzug zu
erreichen. In 220 Meter
Höhe gibt es einen Kon
ferenzraum, der auch
gemietet werden kann.
Der Turm hat 36 Stock
werke. 26 liegen jeweils
zehn Meter auseinander,
10 Stockwerke haben drei
bis fünf Meter Abstand.
29 Etagen sind es ober
halb vom Erdgeschoss.
Grafik: Thyssenkrupp Elevator