Immer wieder erstaunlich, was bei uns im Südwesten alles hergestellt wird. Dieses Mal geht’s um den Babywecker von Junghans. Denn dass sich viele Deutsche früher überhaupt einen Wecker leisten konnten, verdanken sie einem Schwarzwälder Uhrenmacher.

Schwer vorstellbar: Es gab mal eine Zeit ohne Wecker. Bevor das schrille Rrrrrriiiiiiinnnnggg vom Nachtisch aus den Berufstätigen allmorgendlich aus der liegenden in eine aufrechte Sitzposition katapultieren konnte, waren Tageslicht und Hahn, teils auch Glockengeläut oder Nachtwächter als Weckmittel hoch im Kurs. Wer aber früher los musste, der musste sich anders behelfen, um zeitig aus den Federn zu kommen. Philosoph Platon zum Beispiel war so einer. Er soll schon vor fast zweieinhalbtausend Jahren eine Wasseruhr mit Weckfunktion erfunden haben. Auch Tausendsassa Leonardo da Vinci setzte sich vor rund 500 Jahren für die vorzeitige Bettflucht ein: Seine Maschine zog dem friedlich Schlummernden die Decke weg. In Großbritannien gingen vor etwa 100 Jahren sogenannte Aufwecker von Haus zu Haus, die mit einem Stock ans Fenster und den Kunden aus dem Bett hämmerten.
Hintergrund: Mit dem Aufkommen der Industrialisierung im 19. Jahrhundert musste man zu nachtschlafender Zeit aus den Federn. Morgendämmerung wie auf dem Bauernhof war nicht mehr genug. In Fabriken und bei der Schichtarbeit war Pünktlichkeit angesagt.
Der Wecker war inzwischen erfunden, aber ein Luxusgut; für viele Menschen war er zu teuer und nicht weit verbreitet. Ein junger Uhrenmacher aus dem Schwarzwald sollte das ändern: Arthur Junghans industrialisierte das Aufwecken. In den USA guckte der Schramberger sich die modernen maschinellen Fertigungsmethoden der amerikanischen Uhrenhersteller ab, die günstiger produzierten als die Deutschen. Zurück in der Heimat übernahm er mit Anfang 20 Mitte der 1870er-Jahre die Leitung der Firma Junghans, die sein Vater ein Jahrzehnt zuvor gegründet hatte, und führte die Produktion nach amerikanischem Vorbild ein.
Junghans entwickelte ein einfaches aber robustes Weckerwerk, das günstig und in großer Menge hergestellt werden konnte, importierte das amerikanische Wecker-Design und den englischen Namen. Der „Babywecker“ aus dem Hause Junghans war geboren. Ein kleiner, dosenförmiger Wecker auf Füßchen mit aufgesetzter Glocke. Der günstige Verkaufspreis dieser „Amerikaneruhren“ machte sie zum Kassenschlager. Und die Menschen kamen endlich pünktlich aus dem Bett.
Um 1900 herum war Junghans mit 3000 Beschäftigten und mehr als drei Millionen produzierter Uhren pro Jahr die größte Uhrenfabrik der Welt. Später setzte man Trends, etwa mit der „Mega 1“, der weltweit ersten Funkarmbanduhr 1990. Nach einigen Hochs und Tiefs übernahmen 2009 die Schramberger Unternehmer Hans-Jochem und Hannes Steim das Traditionsunternehmen. Heute hat Junghans etwa 120 Mitarbeiter und noch immer werden in Schramberg Junghans-Uhren gebaut.
Den klassischen Wecker haben allerdings inzwischen Funkwecker, Radiowecker, Smartphone und Co. von den meisten deutschen Nachttischen verbannt. Nur eins ist gleichgeblieben: Am schönsten ist’s, wenn der Wecker morgens gar nicht klingelt. se