Der Südwesten steht bisher für Gastlichkeit, Kochkunst und Esskultur – aber wie lange noch? Umsätze und Erträge gehen zurück, immer mehr Gastronomen werfen das Handtuch, und das ist nicht nur eine Spätfolge der Corona-Lockdowns …

Irgendwo im Südwesten verschwinden auch heute wieder zwei Restaurants. Aber große Schlagzeilen wird das nicht machen. Ob nun der Hirschen in die ewigen Jagdgründe geht, im Ochsen endgültig der Herd kalt bleibt oder beim Toni die allerletzte Runde ausgeschenkt wird: Der Strukturwandel in der Gastro ist in vollem Gange. „Die Branche steckt in einer extremen Rezession“, gibt Dominic Müller unumwunden zu.
Und Müller ist einer, des es wissen muss: Er ist Kreisvorsitzender des Dehoga in der Ortenau und Inhaber des Hotels Ritter in Durbach. Vier Sterne Superior, 86 Zimmer. Früher fast so etwas wie eine Gelddruckmaschine, als noch Helmut Kohl seinen Freund François Mitterrand hier auf eine Schneckensuppe eingeladen hat. „Die Auslastung bei uns im Hotel ist immer noch gut“, sagt Müller. „Aber die Gastro ist landauf landab brutal rückläufig.“ Immer öfter ordern seine Gäste im Hotelrestaurant ein Viertele statt einer Flasche Wein – manchmal aber wird auch Lieferando aufs Zimmer bestellt und dann trägt jemand Pizza an der Rezeption vorbei… Das Branchenblatt AHGZ hat das mal gut auf den Punkt gebracht: Es wird nicht am Urlaub gespart – aber im Urlaub.
Die Spätfolgen von Corona: aufgezehrte Reserven
Hinzu kommt: Auch der Ritter hat Long Covid. Die Gastro-Variante. Um zu verhindern, dass während der Corona-Jahre zu viele Mitarbeiter vom Einzelhandel abgeworben werden, hat Müller das Kurzarbeitergeld aufgestockt. Kein Trinkgeld und dann nur 60 Prozent vom Netto: Damit wären viele nicht ausgekommen. Also aufstocken. Eine Million Euro hat Müller dafür aufgenommen, weil er wusste, dass er seine Fachkräfte nur so würde halten können. Diese Million fehlt jetzt, um neue Impulse zu setzen, neue Attraktionen zu finanzieren. In Verbindung mit sinkenden Erlösen und steigenden Kosten (allein das Personal von 2022 auf 2024: plus 32 Prozent) und der eh schon schwierigen Lobby der Branche bei den Banken entwickelt sich ein Teufelskreis, in dem sich der Ritter (dank des Hotelbetriebs) noch einigermaßen halten kann – aber: Das ist eher die Ausnahme als die Regel.
Auf der anderen Seite gibt es auch in dieser Branche Krisengewinnler: Im absoluten Luxussegment spielt Geld weiter keine Rolle. Dafür aber muss alles passen: Lage, Image, Angebot, Fanbase – dann geht Champagner auch weiterhin für 1300 Euro flaschenweise über die Theke. Auf der anderen Seite boomen die Systemgastronomie und das Budget-Segment: McDonald’s und Motel One, Ibis Style, BnB-Hotels. Die Branche entwickelt Angebote ohne Service und mit absolut minimalem Personaleinsatz. Keine Rezeption, kein Frühstück, oft nicht einmal mehr eigene Reinigungskräfte. Ein Bett, eine Nacht und tschüss. Häuser wie der Ritter können da nicht mithalten, dafür ist das Haus zu verwinkelt, der Anspruch zu hoch, die Lage ungeeignet und die Altlasten zu schwer. Wie es weitergeht? „Wir setzen auf Kreativität und neue Ideen“, sagt Dominic Müller. Mit der multimedialen Dinnershow. „Le petit chef“ sei man in den vergangenen Monaten sehr erfolgreich gewesen. Aber ob solche Glückstreffer die ganze Branche retten können? Wohl eher nicht. Müller: „Den meisten Kollegen sind inzwischen die Hände gebunden. Sie haben kein eigenes Geld mehr, sie kriegen kein frisches, die Rahmenbedingungen werden immer schwieriger und in so einer Lage kommt man auch nicht mehr unbedingt auf gute Ideen.“

Gute Lagen sorgen für gute Geschäfte…
Ortswechsel. Wir fahren von Durbach nach Konstanz – wo die „Fischerin vom Bodensee“ auf der Speisekarte steht. Kellnerin Laura Jung serviert Salat mit Zanderknusperle im Konstanzer Wessenberg-Restaurant. Die Mittagszeit beginnt, der Innenhof füllt sich, und Lauras Chef Anselm Venedey betont mehrfach, dass sich seine positiven Eindrücke auf Konstanz beziehen. Ihm geht’s gut. „Wir sind in einer privilegierten Lage“, erzählt er. Konstanz ist Urlaubsregion, die Stadt wächst und ist als Einkaufs- und Gastrometropole speziell für Schweizer Kunden attraktiv, was dazu führt, dass die Stadt samstags Verkehrskadetten einsetzt, um den Autoverkehr rund um die historische Altstadt zu regeln.
Seit 1998 leitet Venedey das Wessenberg-Restaurant, 2012 kam die Brasserie Ignaz gegenüber vom Bahnhof hinzu, 2017 das Cafe Heinrichs. In den Corona-Lockdowns hat er dort einen Straßenverkauf eröffnet – als eine Art Beschäftigungstherapie. „Es hat Spaß gemacht, mit den Leuten zu ratschen.“ Viel Gelegenheit, sich live und in Farbe zu treffen, gab es damals nicht. Aber: Was für viele Gastronomen ein herber Dämpfer, für manche sogar das endgültige Aus war, hat Venedey gut verkraftet.
„Die Hilfen vom Staat waren üppig für uns, die Rückzahlungen für uns kein Problem.“ Rund fünf Millionen Jahresumsatz erwirtschaften seine drei Lokale. Aber wieder ergänzt er: „Wir reden hier von Konstanz, anderswo mag es anders aussehen!“
Nachfolger? Schwierig…
In der Tat sieht es oft nicht rosig aus. Alexandra Mußler beschreibt die Entwicklung wenig euphorisch mit: „Das leise Sterben der Gastronomie“. Mußler leitet das Hotel Storchen in Riedmatt, einem Stadtteil im Norden von Rheinfelden. Als Vorsitzende der örtlichen Dehoga-Kreisstelle kennt sie die Sorgen und Nöte ihrer Kollegen aus erster Hand. Vorschriften, Bürokratie, Formulare. Steigende Kosten, sinkende Kaufkraft. Und immer weniger gesellschaftliche Anerkennung. „Es ist wirklich erschreckend, wie viele alteingesessene Betriebe zumachen“, sagt Mußler. „Erst letzte Woche hat mir ein Kollege mitgeteilt, dass sie aufhören, weil die Kinder nicht weitermachen.“
Späte Feierabende, wenig Sicherheit, kaum Urlaub – Kinder, die in Gasthäusern groß wurden, haben gesehen, was es bedeutet, Gastronom zu sein. Immer häufiger hinterfrage der Nachwuchs daher, ob es Sinn macht, den Betrieb der Eltern zu übernehmen. Es gibt daher alarmierende Zahlen für eine der führenden Dienstleistungsbranchen im Land: 27 600 gastgewerbliche Betriebe zählte der Hotel- und Gaststättenverband Dehoga 2023 für Baden-Württemberg, der Nettoumsatz: 14,8 Milliarden Euro. „Die Branche hat gegenüber 2019 rund 3200 Betriebe verloren, vor allem im ländlichen Raum und im klassischen Bereich der Restaurants mit Bedienung“, heißt es in der Statistik von Mai 2025.
Jedes fünfte Restaurant ist schon weg
Peter Ehrhardt, Dehoga-Landesvorstand und Inhaber des Landgasthofs Adler in Hoch-stetten südlich vom Kaiserstuhl, filetiert die Zahlen noch etwas genauer: Die Zahl der traditionellen Restaurants ging in Baden-Württemberg von 11 924 (2013) auf 9728 (2023) zurück – ein Minus von gut 18 Prozent. Dagegen hat die Zahl der Imbissstuben von 3464 auf 4261 zugenommen – ein Zuwachs von 23 Prozent. „Nach unserer Einschätzung siedeln sich Imbissstuben eher in frequenzstarken Städten an als im ländlichen Raum“, erklärt Ehrhardt. Die wiederum sind weniger personalintensiv, was sich bei einer Zunahme der Arbeitskosten (im Gastgewerbe seit 2022 um mehr als 30 Prozent) deutlich auswirkt – pro Fastfood, pro Convenience. Diesem Trend folgend drängen neue Wettbewerber in die Branche – allen voran der Handel. Edeka etwa ist mit Heißtheken, Salatbars und Fertiggerichten zum siebtgrößten Systemgastronom in Deutschland avanciert. Gastro-Umsatz 2024: rund 390 Millionen Euro.

Ehrhardt spricht auch deshalb über „steuerliche Diskriminierung von Essen im Restaurant, das mit 19 Prozent Mehrwertsteuer verkauft werden muss, während für Imbiss zum Mitnehmen sieben Prozent gelten.“ Das Problem schaffe die neue Bundesregierung ab Januar 2026 zwar aus der Welt. Doch neue Belastungen sind schon am Horizont: ein weiter steigender Mindestlohn (ohne Rücksicht auf Trinkgelder) und die zunehmende Einführung neuer kommunaler Steuern und Abgaben: Bettensteuer hier, Verpackungssteuer dort. Ehrhardt: „Dass damit massiv neue Bürokratie aufgebaut wird, ist aus unserer Sicht ein erhebliches Problem.“
Bezahlen sollen es die Kunden. Deren Zahlungsbereitschaft reicht aber oft nicht mehr für Hauptgericht, Dessert, Getränke, Trinkgeld. „Je nach Anbieter gibt man zu zweit an einem Abend schnell 80 oder 90 Euro aus, das macht man nicht mal eben nebenher“, analysiert Christina Gehri von der IHK Südlicher Oberrhein. Auch wenn die Rekordinflation der Jahre 2022/23 vorbei ist, bleibt der Eindruck: Ausgehen ist teuer geworden. Und in Krisenzeiten wird gespart, der Restaurantbesuch oft als erstes gestrichen.
Kaufkraft fehlt
Dass die Leute weniger Geld im Portemonnaie haben, ist nicht nur ein Gefühl. Vergleicht man den Anstieg bei der Kaufkraft am südlichen Oberrhein im Zuge von Lohnerhöhungen mit dem Anstieg der Preise im Gastgewerbe, wird deutlich: Der Kaufkraftanstieg bleibt hinter dem Preisanstieg zurück (vgl. Grafik). Die Betriebe stellt dies vor ein Dilemma: Heben sie die Preise an, leidet die Nachfrage. Bleiben sie bei niedrigeren Preisen, verschlechtert sich die eh schon miserable Ertragslage noch weiter.
Dass die Ertragslage im baden-württembergischen Gastgewerbe deutlich schlechter als vor der Pandemie ist, zeigt auch die IHK-Konjunkturumfrage: Nach dem massiven Einbruch der Corona-Jahre und der Erholung im Jahr 2023 rauscht der Wert seit Jahresbeginn 2024 wieder in den Keller. Minus 35 im Frühjahr 2025: Mit Ausnahme der Covid-19-Pandemie gab es seit 2009 keinen derart niedrigen Wert.
Für Christina Gehri sind die Folgen deutlich zu sehen. „Gastro ist personal- und energieintensiv, das ist nicht neu“, erzählt sie. Dass viele Anbieter unter Druck stehen, lässt sich an reduzierten Servicezeiten ablesen. „Manche streichen den Mittagstisch, andere legen statt einem nun zwei Ruhetage pro Woche ein.“ Wie Eckhart Fink, ihr Kollege von der IHK Hochrhein-Bodensee, berichtet sie von steigenden Ansprüchen der Kundschaft: Internetbewertungen werden wichtiger, Sonderwünsche häufiger, dazu eine steigende No-show-Rate, sprich: nicht abgesagte Reservierungen. Alles Tendenzen, die bei Chefs und Personal keine Jubelschreie auslösen. Fink: „Stundenlanges Verharren bei einem Glas Wasser und gleichzeitiger WLAN-Nutzung, auch das nehmen wir durchaus wahr.“
Ein Umdenken wäre hilfreich, zumal der Abwärtstrend anhält: Im ersten Quartal ging der reale Umsatz in der Gastronomie im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent zurück. „Die Gastro ist aber mehr als ein Wirtschaftszweig, sie ist ein Stück unserer Kultur, unseres Zusammenlebens, unseres Wohlgefühls“, betont Alexandra Mußler. „Erst wenn es still wird an den Tischen, merken wir, was wir verloren haben.“
Benedikt Brüne, Ulf Tietge