Die Hände in der Erde, den Körper im Wind – Malin Lüth arbeitet im Rhythmus der Natur. Ihre Wildling-Blumen sind ein Gegenentwurf zum Immer-Weiter und Immer-Schneller dieser Tage. Hier blüht, was Zeit bekommt – und echte Nähe schafft.

Die Blumenfelder sind auf dem Weg in den Winterschlaf, Malin Lüth hat daher Zeit für ein Gespräch. Statt Dahlien für den Schnitt wächst im Moment auf den Beeten Senf für den Bodenaufbau. Der Himmel strahlt an diesem Novembermorgen blau, beim Erzählen hat die Gärtnerin und Gründerin von Wildling-Blumen die Sonne im Gesicht und neben sich gackernde Hühner. Das alles wirkt wie eine Insel im Weiter-Höher-Schneller dieser Tage. Die Natur bestimmt Malin Lüths Arbeitsalltag, sie entscheidet, wann genau die heiße Phase im Blumenanbau, bei Ernte und Verkauf ist – und wann das wieder vorbei ist. Lüths Blumen sind sogenannte Slowflowers, sie wachsen zu ihrer Zeit, in ihrem natürlichen Rhythmus und ganz ohne chemischen Booster. Es sei für sie von Anfang an der Reiz gewesen, „mit dem Lebendigen zu tun zu haben“, erklärt die Blumengärtnerin ihren Weg in die Landwirtschaft. „Auch mich und meinen Körper zu spüren, im Wind, in der Sonne, im Regen, die Kälte, die Wärme und was das dann so mit einem macht.“ Das bewusste Erleben und sich lebendig fühlen, mittendrin sein – „das berührt mich sehr“.
Faszinierende Schönheit
Dass sie sich draußen wohler fühlt als am Schreibtisch, merkt Lüth schon während ihrer Schulzeit in der Nähe von Kiel, wo sie aufgewachsen ist. Sie fühlt sich unwohl, wenn sie bei schönem Wetter nicht raus kann. Nach dem Abitur erinnert sie sich an ihren Wunsch aus der Kindheit: Bäuerin werden. Bei der freiwilligen Arbeit auf einer Farm nahe Stockholm macht es dann endgültig Klick. „Ich hab’ gemerkt, wow, das ist so sinnvoll! Direkt das Ergebnis zu sehen, von dem, was man tut, und sich mit den Jahresläufen zu verbinden.“ Beim Demeterverband absolviert sie die Ausbildung zur Biobäuerin, der Gemüseanbau wird ihr Alltag.
Und doch sind es die Blumen, die Malin Lüth letztlich am meisten faszinieren. Die „Blumen und ihre Schönheit berühren noch mal ganz anders“, sagt sie. „Das geht für mich immer mit der Frage einher, warum gibt es diese Schönheit in der Welt und was macht das mit uns?“ Sie sagt: Blumen haben Power, geben Kraft. Und eigentlich würde sie die Blumen am liebsten verschenken, weil die herrlich farbenfrohen Gewächse ein Geschenk sind, aber sie muss ja auch von etwas leben.
Lüth träumt von der Selbstständigkeit mit eigenem Blumenfeld. Während ihrer Weiterbildung zur Landwirtschaftsmeisterin 2019 kalkuliert die Gärtnerin ihre Idee und gründet 2020 Wildling-Blumen. Da ist Lüth der Liebe wegen längst im Markgräflerland gelandet. Heute baut die Slowflower-Gärtnerin auf 0,8 Hektar Land bei Müllheim Narzissen, Anemonen, Ranunkeln, Dahlien, Löwenmäulchen, Pfingstrosen und mehr an. Seit eineinhalb Jahren trägt sich ihr Unternehmen mit drei Teilzeit-Mitarbeiterinnen.
Dass kurz nach der Gründung auch ihr Online-Blumen-Versand entsteht, ist Corona und den geschlossenen Floristen geschuldet, die sie beliefert. Seitdem ist Lüths eigentlich durch und durch analoge Tätigkeit mit der digitalen Welt verbunden. Und nicht nur das. Über die Jahre kam zu den Blumenfeldern noch ein Glashaus dazu, um den wunderschönen Ort mit anderen teilen zu können. Hier finden Workshops statt und innerhalb der Saison von April bis Oktober kommen freitags Menschen, zum Blumen pflücken und Kaffee trinken. Für ein bisschen Analoges im Digitalen.
Und weil der Blumenanbau, bei allen Vorteilen, Malin Lüth die Saison über ordentlich auf Trab hält, (rechtzeitig pflanzen, Unkraut managen, ernten, binden, verkaufen), sind Herbst und Winter dazu da, sich noch mal zu besinnen. „Ist es das, was ich machen will? Wo kann ich noch anpassen?“ Lüth sagt: Ihr Blumenfeld sei für sie eine perfekte Spielwiese, um ihre Kreativität auszuleben. „Und gleichzeitig wirtschaftlich tragend, also das ist schon spannend und cool.“
Die Natur lehrt Geduld
Malin Lüth hat viel gelernt, seit sie ihre Wildling-Blumen hat. Geduld zum Beispiel. „Ich bin kein sehr geduldiger Mensch, aber das Gärtnern übt einen darin“, sagt die Gärtnerin amüsiert. Und Demut. Dass sich vermeintliche Fehler auch als Geschenk entpuppen können. Weil Unkraut auch Artenvielfalt bedeutet beispielsweise und Ungeziefer Nahrung für Vögel. Für Lüth bedeutet das wiederum, der Natur etwas zurückzugeben für das, was sie von ihr nimmt. Auch den Klimawandel lernt Lüth kennen. Sehr trockene und sehr nasse Jahre hat Wildling-Blumen schon hinter sich. Das Wetter ist unberechenbarer geworden und das fordert ordentlich Flexibilität.
Doch Lüth blickt positiv in die Zukunft. Sie hat Pläne, möchte sich einen festen Kundenstamm aufbauen, der von exklusiven Events, Infos und Blumenangeboten profitiert. Eine Art Abo, wodurch sie selbst besser kalkulieren kann. Und eine Gemeinschaft, ein Geben und Nehmen. Wie in der Natur. Susanne Ehmann
