Der Bund schnürt ein milliardenschweres Finanzpaket, um marode Infrastruktur in Deutschland in Stand zu setzen. Vor Ort weiß man genau, wo das Geld helfen könnte, den riesigen Investitionsstau zu lösen – und warum Geld allein nicht ausreicht.
Mit 500 Milliarden Euro soll Deutschlands in die Jahre gekommene Infrastruktur wieder auf Vordermann gebracht werden. Wie dringend das ist, wurde spätestens mit dem Einsturz der Dresdner Carolabrücke im vergangenen September klar. 100 der 500 Milliarden sollen an Länder und Kommunen gehen. Vor Ort ist der Bedarf groß, ebenso wie die Hoffnung in das Geld – und die Skepsis.
„Bund, Land und Kommunen investieren seit Jahren zu wenig in die Infrastruktur. In der Folge ist ein riesiger Investitionsstau entstanden, Straßen, Brücken und Schienenwege sind in einem schlechten Zustand. So ist in Baden-Württemberg fast jede zehnte Brücke an Bundes- und Landesstraßen sanierungsbedürftig oder muss durch einen Neubau ersetzt werden“, sagt Thomas Möller, Hauptgeschäftsführer der Bauwirtschaft Baden-Württemberg, der Interessensvertretung von Baugewerbe und Bauindustrie. Der Bauverband zählt mit rund 1600 Mitgliedsfirmen zu den größten in Deutschland.

Und jetzt winkt da ein Geldtopf. Wo ist der Investitionsbedarf am dringendsten? Wenn es nach Bauwirtschafts-Chef Möller geht, bei Straßen und Schienen. Stephan Braun dagegen erweitert die Bucketlist noch um öffentliche Einrichtungen. „Zudem fehlen an vielen Stellen Umgehungs- und Verbindungsstraßen, was Standorte für Unternehmen unattraktiv macht“, sagt er. Braun ist Technischer Leiter beim Baustoffe-Anbieter Bau-Union. Die Firmengruppe mit 95 Mitarbeitern und einem Umsatz von 25 Millionen Euro hat ihren Sitz in Zimmern ob Rottweil.
Am gefährlichsten sei aber der Investitionsstau bei Brücken. Möller erklärt: „Zum einen verursachen Brückensperrungen volkswirtschaftliche Schäden in Milliardenhöhe. Zum anderen stellen marode Brücken aufgrund der latenten Einsturzgefahr eine Gefahr für Leib und Leben von Menschen dar.“
Im Regierungsbezirk Freiburg besteht derzeit nach offiziellen Statistiken bei 35 Brücken die Gefahr von Spannungsrisskorrosion – was der Carolabrücke zum Verhängnis wurde. Darunter sind die Dreisambrücke am Autobahnzubringer Mitte in Freiburg sowie zwei Donaubrücken im Verlauf der B 31 und der B 311 bei Geisingen. Bei den Schienenwegen ist für Möller vor allem der Ausbau der Rheintalbahn zwischen Karlsruhe und Basel wichtig.
150 Milliarden für die Bahn?
Die Bahn und ihr Schienennetz – der bundeseigene Konzern fuhr 2024 ein Minus von 1,8 Milliarden Euro ein. „Die wirtschaftliche Entwicklung des DB-Konzerns wurde 2024 vor allem durch den schlechten Zustand der Infrastruktur geprägt“, heißt es bei der Bahn. Ein Sanierungsprogramm soll helfen. Die Riedbahn zwischen Frankfurt und Mannheim wurde schon saniert, im April waren Abschnitte der Rheintalbahn dran. Doch all das ist teuer. Clarissa Freundorfer, DB-Konzernbevollmächtigte für Baden-Württemberg: „Ein Sondervermögen kann wesentlich dazu beitragen, dass die jetzt notwendigen Investitionen in die Schieneninfrastruktur umgesetzt und in den kommenden Jahren verstetigt werden.“ Wenn es nach der DB geht, sollen 150 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Infrastruktur kommen, schreibt die Süddeutsche Zeitung. Ein Drittel des gesamten Pakets.
Und Geld brauchen eben auch noch andere. Da wären noch die landeseigenen Gebäude, die unterhalten werden müssen. Das Amt Konstanz von Vermögen und Bau Baden-Württemberg ist eines von 13 Ämtern des Landesbetriebs und hat laut Leiterin Sieglinde Neyer-Bedenk etwa 750 Gebäude in den Landkreisen Konstanz, Waldshut, Rottweil, Schwarzwald-Baar und Tuttlingen in seiner Zuständigkeit.
„Im vergangenen Jahr haben wir nahezu 100 Millionen für unsere Bauaufgaben ausgegeben. Die diesjährigen Zahlen werden vermutlich noch etwas höher liegen“, überschlägt es Neyer-Bedenk. Da gilt es zu priorisieren. Und zwar jedes Jahr aufs Neue. „Je nach unseren Kapazitäten, den Dringlichkeiten, eventuell sofortigem Handlungsbedarf und natürlich auch nach den zugewiesenen und etatisierten Geldmitteln aus Stuttgart müssen wir für jedes Jahr planen, was wir in der Lage und verpflichtet sind, für unsere Gebäude auszugeben.“

Auch das RP will was vom Kuchen…
Jede Menge planen muss auch das Regierungspräsidium (RP) Freiburg. Das Netz aus Bundes- und Landesstraßen im Regierungsbezirk hat eine Streckenlänge von rund 3650 Kilometern mit mehr als 5200 dazu gehörenden Bauwerken wie Brücken, Stütz- und Lärmschutzwänden sowie Tunneln. Allein der Erhalt der bestehenden Infrastruktur sei schon eine große Herausforderung, sagt RP-Sprecherin Heike Spannagel. Denn die stamme zum großen Teil aus den 1970er-Jahren. Und der Bedarf an Instandsetzungen bis hin zum kompletten Ersatz werde – auch wegen immer strengerer Sicherheitsvorschriften und neuer Normen – immer höher. Grund dafür seien neben mehr Verkehr auch die geographischen Gegebenheiten des Schwarzwaldes und die Gefahr zunehmender Extremwettereignisse, Felsstürze oder Hangrutschungen. Dazu kommt die Instandsetzung von Radwegen, von Fels- und Böschungssicherungen sowie den Tunneln, von denen es im Regierungsbezirk wegen des Schwarzwalds viele große gebe. Für alle diese Aufgaben investiert das RP jährlich rund 100 Millionen Euro.
Kommunen sehen sich unterfinanziert
Auf kommunaler Ebene sieht man die Lage geradezu prekär. Beispiel Landkreis Lörrach: Berufs- und Gewerbeschulen, Verwaltungsgebäude, Kreisstraßen und Brücken, Pflegeheime und Flüchtlingsunterkünfte – die Liste der vom Landkreis betreuten Infrastruktureinrichtungen ist lang, der Instandhaltungsstau groß. Allein bei Schul- und Verwaltungsgebäuden liegt er laut Landratsamt bei etwa 200 Millionen Euro. Am dringendsten wären die Neubauten für einen maroden Gebäudeteil der Gewerbeschule, eine alte Sporthalle und die Sprachheilschule, deren Mietvertrag wegen Eigenbedarfs gekündigt wurde. „Im Bereich der Kreisstraßen ist ebenfalls ein eklatanter Sanierungsstau zu verzeichnen, Sanierungsoffensiven mussten wegen der kommunalen Finanzsituation wieder beendet werden“, so Sprecher Torben Pahl. Denn das Geld ist knapp. Alles auf einmal ist nicht drin – also was zuerst? „Die Priorisierung ergibt sich oft aufgrund handfester Zwänge, beispielsweise dann, wenn ein Hallenboden so schadhaft ist, dass die Halle (wegen Unfallgefahr) ganz oder teilweise gesperrt und der Boden neu gemacht werden muss.“ Teilweise entscheide aber auch einfach das beste Kosten-Nutzen-Verhältnis.
Bei der Stadt Emmendingen formuliert man es geradeheraus: „Die Stadtverwaltung benötigt für die geplanten Maßnahmen (…) dringend Unterstützung bei der Finanzierung.“ Angespartes sei aufgebraucht, der Fokus liege nahezu ausschließlich auf Pflichtaufgaben. Ohne Unterstützung von Bund und Land seien Kommunen „systematisch unterfinanziert“ und könnten sich auch den erforderlichen Erhalt der Infrastruktur nicht nachhaltig leisten, so die Stadtverwaltung.
In der 30 000-Einwohner-Stadt ist jede Menge zu tun: Die Sanierung des Goethe-Gymnasiums, der Newark- und der Stockert-Brücke, der Neubau des Feuerwehrgerätehauses, alles finanziert durch Darlehen, sind nur einige der aktuell dringenden Großprojekte.
Durchschnittlich zehn Millionen Euro jährlich habe man in den vergangen zehn Jahren in Infrastruktureinrichtungen investiert. Weil mehr Geld nicht da war, mussten weitere Investitionen geschoben wurden und summieren sich aktuell auf rund 120 Millionen Euro für die kommenden zehn Jahre. Mit Blick auf das Sondervermögen werde nun eine Prioritätenliste zu Großprojekten zwischen Verwaltung und Stadtrat abgestimmt. Das Ziel dahinter: bereit sein!

Mehr Geld – und weniger Vorgaben?
Das angekündigte Sondervermögen des Bundes ist also sehr willkommen. Doch es braucht mehr als nur Geld: Es braucht Reformen. Ganz oben auf den Wunschlisten von Unternehmen und Verbänden: Weniger Vorgaben, weniger Bürokratie, eine Beschleunigung der Planungs- und Genehmigungsverfahren sowie steuerliche Entlastungen.
Nur ein Strohfeuer?
Jan Stefan Roell, der Präsident des Baden-Württembergischen Industrie- und Handelskammertags sagt: „Ohne umfassende Strukturreformen erreicht das gigantische Finanzpaket wenig!“ Das Geld allein löse die Probleme nicht, sondern schaffe höchstens die Voraussetzungen dafür, Probleme zu lösen, sagt er. Es brauche „ganz konkrete Maßnahmen zur Verschlankung des Staates, zur Reduktion von Ausgaben und zur Beschleunigung von Verfahren“, sonst drohe ein Strohfeuer. Roell sieht überdies die Gefahr, dass aufgrund des Sonderbudgets die nächsten Bundeshaushalte für Investitionen nichts mehr vorsehen. „Der komplette Haushalt würde dann verkonsumiert. Das ist gefährlich. Infrastruktur muss immer einen festen Platz im Haushalt haben.“ So sieht es auch Georg Graf Kesselstatt: „Gleichzeitig zu Investitionen aus dem Sondervermögen müssen die Haushaltsmittel für Investitionen in verschiedene Bereiche der Infrastruktur deutlich erhöht werden – und zwar langfristig“, fordert der Geschäftsführende Gesellschafter des Tuttlinger Verkehrswegebau-Unternehmens J. Friedrich Storz mit etwa 800 Mitarbeitern und einem Umsatz von rund 200 Millionen Euro.
RP und Stadt Emmendingen weisen darüber hinaus auf die Beschränkungen durch den Fachkräftemangel hin: „Bevor zum Beispiel eine Brücke durch einen Neubau ersetzt werden kann, müssen zuerst die Pläne und die dazugehörigen statischen Berechnungen aufgestellt werden“, erklärt RP-Sprecherin Spannagel. Da in Deutschland noch immer jede Brücke ein Unikat ist, aufwändig ausgeschrieben und individuell geplant wird, bedarf man „einer Vielzahl von Fachkräften, die nicht in der notwendigen Menge vorhanden sind“.

Verteilschlüssel bisher nicht bekannt
Nach Meinung von Graf Kesselstatt hat der Verteilungskampf um das Sondervermögen „gerade erst begonnen“. Der Storz-Chef spricht aus, was man unter anderem auch bei der Emmendinger Stadtverwaltung befürchtet: Dass die Kommunen zu kurz kommen. „Doch sie sind es, die eigentlich den größten Investitionsstau verzeichnen und am wenigsten Geld haben.“
Und noch ist weder klar, wer wie viel bekommt, noch anhand welcher Kriterien das überhaupt entschieden wird. Außer den 100 Milliarden für Länder und Kommunen seien noch keine Details bekannt. Der Bund müsse diese erst noch über Gesetze regeln, teilt das baden-württembergische Finanzministerium mit. „Insofern wissen wir selbst noch nicht, wie die Mittel konkret fließen sollen. Auch der Verteilschlüssel ist bislang nicht bekannt.“
Doch auch wenn klar ist, dass das beschlossene Finanzpaket nicht alle Investitionsdefizite der vergangenen Jahre beheben kann – die Hoffnung in das Sondervermögen ist dennoch groß. Es könne eine „Initialzündung für mehr wirtschaftliche Dynamik“ werden, sagt Möller von der Bauwirtschaft. Und das, obwohl vermutlich viele – wenn überhaupt – eher indirekt profitieren werden.
„Ehrlich gesagt rechnen wir nicht mit direkten Mitteln“, sagt Braun von der Bau-Union. „Die Erfahrung hat gezeigt, dass vor allem große Unternehmen von Förderprogrammen profitieren – meist jene, die komplexe bürokratische Anforderungen am besten handhaben können. Dem Mittelstand fehlen häufig die personellen Ressourcen, um sich hier systematisch zu positionieren.“
Die Hoffnung liege daher weniger in der direkten finanziellen Unterstützung als vielmehr in der Signalwirkung. Braun: „Wir wünschen uns, dass das Sondervermögen den Investitionsstau vieler Unternehmen löst und neue Dynamik entfacht. Es braucht wieder mehr Mut zu unternehmerischem Handeln – und genau das könnte mit gezielten Investitionen angestoßen werden.“
Schon 35 Prozent mehr Beschäftigte
Die Bauwirtschaft sieht sich dafür gut aufgestellt – und gerüstet. „Die Politik muss jetzt schnell Klarheit schaffen, für welche Projekte die Gelder eingesetzt werden“, sagt Möller. Er rechnet damit, dass das Geld bestenfalls zum Ende der jetzigen Legislaturperiode frei wird. Doch die Branche habe zuletzt in Baden-Württemberg die Zahl ihrer Beschäftigten um mehr als 35 Prozent auf rund 116 000 erhöht. „Die notwendigen personellen Kapazitäten sind also vorhanden.“
Via Solutions
Es gibt auch Wege, um Verkehrsinfrastruktur ohne neue Schulden fit zu halten: per Infrastrukturfonds beispielsweise, die das Kapital von Anlegern in Infrastrukturprojekte investierten– oder mittels Finanzierungskreisläufen: Den Abschnitt der A5 zwischen Malsch und Offenburg beispielsweise betreut Via Solutions Südwest. Das private Unternehmen mit Sitz in Bühl hat den 60 Kilometer langen Abschnitt sechsspurig ausgebaut – und war beim Bau schneller und am Ende auch kostengünstiger als erwartet. Die Finanzierung: eine Kombination aus Anschubfinanzierung des Bundes, privaten Investitionen und Einnahmen aus der Lkw-Maut. Banken haben Fremdkapital eingebracht und die Gesellschafter von Via Solutions Südwest haben Eigenkapital investiert, so das Unternehmen. Die Gesellschaft kümmert sich nun um Betrieb und Erhaltung bis 2039. Die jährlichen Kosten dafür würden durch die Einnahmen aus der Lkw-Maut gedeckt. Modelle wie dieses werden häufiger und könnten als Öffentlich-Private-Partnerschaften eine wichtige Rolle in der Zukunft der Infrastrukturfinanzierung spielen.