Was motiviert uns? Wie bleiben wir neugierig, menschlich und einander verbunden? Das lebt Isabel Grieshaber vor, deren Vega Family 300 Millionen Euro in ein neues Werk im Südwesten investiert. Eine Geschichte über Mindset, Mut, intelligente Großzügigkeit und die Wirkung guter Architektur.
Mut macht erfolgreich. In Schiltach kann man sich davon überzeugen, wenn man ein Interview mit Isabel Grieshaber bekommt. Das ist nicht so ganz einfach, denn die 46-Jährige steht eigentlich ungern im Rampenlicht und als Ernst & Young sie zur Unternehmerin des Jahres kürte: Puh, das war schon arg. Denn eigentlich möchte Isabel viel lieber mit ihrer Vega Family Zeit verbringen, dieser 2600 Menschen zählenden Gemeinschaft, die Messgeräte, Füllstands- und Drucksensoren entwickelt und baut. 700 Millionen Euro Umsatz, acht bis zehn Prozent Wachstum in einem normalen Jahr. In den USA hat die Vega Family gerade die Fertigung verdoppelt, in China ein neues Werk gebaut – jetzt ist Kuppenheim an der Reihe. Im Murgtal soll in zwei Bauabschnitten ein neues Werk mit bis zu 1000 Arbeitsplätzen entstehen, gut 300 Millionen Euro wird man dafür investieren.
Aber wie geht das? Wie macht Vega das in diesen Zeiten, in denen so viele jammern, klagen und im Zweifel sogar noch beim Obstkorb oder dem Wasser im Konferenzraum sparen? Um das zu beantworten, muss auch Isabel ein bisschen ausholen – und die Unternehmenskultur der Vega Family erklären. „Das wichtigste Gut einer jeden Firma sind die Mitarbeiter“, sagt sie. „Produkte innovieren – das geht nur mit guten Leuten. Und eine anhaltend hohe Performance bringen nur Mitarbeiter, die glücklich sind.“ Daher setzt man bei Vega auf Werte, hat gemeinsame Ziele und trifft sich persönlich. Der GM aus Australien, die Reinigungsfrau aus Asien, die Werker: Alle waren unlängst nach Deutschland eingeladen, zu Home of Values. Lern die Vega kennen war das Ziel und dafür wurden Titel und Status am Eingang abgegeben. Das Ziel: sich auf Augenhöhe austauschen, ein gemeinsames Kulturverständnis entwickeln.

Wertschätzung zum Anfassen
Parallel dazu investiert Vega in Architektur und analoge Assets. Nach und nach sind gemeinsam mit der Partner AG aus Offenburg diverse Gebäude in Schiltach modernisiert worden. Und dabei ging es eben nicht in erster Linie um Energieeffizienz – sondern ums Wohlfühlen. Ganz ähnlich hält es Isabel Grieshaber mit den anderen Standorten. Ob nun Südafrika oder Singapur: Die Teams vor Ort dürfen entscheiden, was für sie am besten ist. Wie sie arbeiten wollen. Budget? No limit. Einzige Einschränkung: keine Einzelbüros und nicht alles in Gelb, weil die Firmenfarbe durch Prospekte und Produkte eh schon vertreten ist. „Gute Architektur als dauerhafte Wertschätzung“, sagt Architekt Michael Stoz von der Partner AG dazu, der die Coffices von Vega auf seiner Website prominenter platziert hat als die bestimmt höhervolumigen Aufträge von Banken und Sparkassen.
Kultur braucht Präsenz
Ob nun die Pacman-Wand bei den Informatikern, die Fußball-Liebe bei den Ingenieuren oder der Loft-Charakter mit Vintage-Teppich (ein echter Dachbodenfund): Das alles kommt gut an. „Bei uns sind in der Woche 2,5 Tage mobiles Arbeiten möglich – aber das nutzen die allerwenigsten“, sagt Isabel Grieshaber. „Die Leute kommen gern ins Office.“ Bei Vega findet man das wichtig, weil man sich so einer Gemeinschaft zugehörig fühlt.
Homeoffice oder Präsenz – Stoz und die Partner AG haben auf der Suche nach dem idealen Büro Studien erstellt, in enger Zusammenarbeit mit Wirtschaftspsychologen der Uni Freiburg um Ingela Jöns und Irina Monno. „Die Diskussionen kennen wir ja alle“, sagt Stoz. „Wo sind Menschen wirklich produktiver? Wenn sie allein und ungestört im Homeoffice sitzen oder im gemeinsamen Büro, wo der Informationsgewinn durch Serendipität und Antworten auf ungestellte Fragen die Frakturierung von Arbeit durch kleine Unterbrechungen eben wieder aufwiegt?“

Um das herauszufinden, hat man eine Tagebuchstudie, eine Feldstudie und eine Laborstudie durchgeführt – und kam am Ende zu dem Ergebnis, dass sich 75 Prozent der Probanden im Multispace-Büro wohler fühlten. „Ein offeneres Büro bedeutet nicht zwingend einen Zuwachs an Unterbrechungen, sondern führte im Gegenteil zu einer gesteigerten Konzentration und Rücksichtnahme“, stellten die Wirtschaftspsychologen fest. Lernprozesse fielen leichter, der Informationsfluss wurde als viel besser wahrgenommen, die Zufriedenheit mit dem Alltag wie die positive Grundstimmung waren im Multispace leicht höher – aber auch Müdigkeit, Angestrengtheit und das Stresserleben. Es ist also ein bisschen wie mit dem Sport: Wenn es schweißtreibend wird, kann das auch sehr befriedigend sein.
Hach, wie ist das schön hier!
Und doch: „Der Erfolg eines Bürokonzepts hängt nicht von der bloßen Raumstruktur, sondern auch von der bewussten Nutzung ab“, heißt es im Fazit und das sieht auch Michael Stoz so. „Kennst du diesen Moment, wenn man denkt: ,Hach, wie ist das schön hier?‘ Für mich ist das immer wieder der Beweis dafür, dass Räume auf Menschen wirken.“ Im Corporate Umfeld aber sei das noch immer nicht überall angekommen, zu oft geht es allein um Kosten, Raumeffizienz, pure Funktion oder das Berücksichtigen von tausendundeiner Bauvorschrift. „Und dann gibt es Dinge, die auch wir Architekten immer mal wieder vergessen“, sagt Stoz dazu. „Behaglichkeit zum Beispiel, die sich in Farben ausdrücken kann, aber auch in so Dingen wie Deckenhöhe oder der richtigen Materialwahl.“ Parkett oder Linoleum? Wer Nutzer fragt, dürfte eine sehr eindeutige Antwort bekommen …
Aus Rücksicht auch mal nein sagen
Zurück nach Schiltach, in dieses enge Tal, das die Heimat von gleich zwei Weltmarktführern ist. Vega und Hansgrohe. Viel für eine Gemeinde mit 3500 Einwohnern – aber man weiß bei Vega um die Verantwortung, die man als Arbeitgeber mit 1300 Beschäftigten vor Ort hat. „Wir bekommen viele Initiativbewerbungen“, sagt Isabel Grieshaber und denkt dabei auch an Menschen aus der Gastronomie, den Kitas oder dem Einzelhandel, wo die Arbeitsbedingungen vielleicht nicht ganz so ideal sind. „Wenn wir diese Menschen alle zu uns holen würden, wäre das schlecht für die Region, weil diese Leute ja dort gebraucht werden, wo sie jetzt sind. Und daher sagen wir im Zweifel lieber nein.“
Soziale Verantwortung. Das ist bei Vega neben gesundem Wachstum und gelebter Nachhaltigkeit eines der drei Unternehmensziele, die über allem stehen. Und damit sind wir bei den Gründen, warum es jetzt ins Murgtal geht. „Die Gegend dort war zuletzt ja eher gebeutelt“, sagt Isabel Grieshaber. So kann man dort wachsen, ohne anderen Firmen die Beschäftigten abzuwerben. Bei Vega ist man sich außerdem einig, dass man aus eigener Kraft wachsen will, nicht durch Zukäufe. Man leistet seinen Beitrag dafür, Emissionen zu vermeiden und zu reduzieren und kauft local for local ein. Auch wenn es teurer ist. „Ich glaube, unsere Philosophie steht so in keinem BWL-Lehrbuch“, sagt Isabel Grieshaber und es klingt fast, als wolle sie sich entschuldigen. Aber vielleicht sind einfach die Lehrbücher falsch?“

Menschlich, neugierig und verbunden
Während in Offenburg der Burda-Konzern sein Helios-Gebäude nach einer letzten großen Sause rund um ein Aenne-Burda-Jubiläum in Frage stellt (dem Vernehmen nach kamen viele Mitarbeiter nur dann aus dem Homeoffice ins Büro, wenn das aus repräsentativen Gründen geraten war), pflegt man bei Vega in Schiltach eine Unternehmenskultur, die auf Werten basiert: Menschlichkeit, Neugierde, Verbundenheit und Einfachheit. „Wir stellen zu
51 Prozent nach diesen Werten ein – und nur zu 49 Prozent nach Skillset“, sagt Isabel Grieshaber. „Denn Skills kannst du lernen – dein Werteverständnis aber: das bleibt.“ Das ist wichtig für ein Unternehmern, in dem es keine fixen Budgets, keine strenge Investitionsplanung gibt, dafür aber viel dezentral verteilte Verantwortung. „Wir wissen, was wir wollen“, beschreibt Isabel Grieshaber das. „Und ich glaube, dass wir unsere wirtschaftlichen Ziele genau deswegen erreichen, weil wir es den Menschen überlassen, den für sie sinnvollsten Weg zu finden.“
„Wir können mehr als wir uns zutrauen“
Dass der Vega-Lifestyle vielleicht nicht auf jedes Unternehmen übertragbar ist – klar. Vega ist nicht fremdfinanziert und weder von Banken noch von Aktionären abhängig. „Opa und Papa haben die Firma sehr gut und sicher aufgebaut“, stellt Isabel Grieshaber klar – und wird dann doch noch politisch. „Ich glaube, dass Deutschland viel besser ist, als wir denken. Aber wir ziehen uns gegenseitig runter, nehmen uns den Mut und gucken ständig auf andere. Was können die Chinesen? Was machen die Amerikaner? Warum hören wir damit nicht einfach auf und trauen uns einfach wieder etwas zu? Dann wären wir vielleicht auch wieder so erfolgreich wie vor 30 Jahren.“ Ulf Tietge
Isabel Grieshaber
Eigentlich hatte Isabel Grieshaber, 46, dem 1903 gegründeten Familienunternehmen schon den Rücken gekehrt. Als Kommunikationsdesignerin führte sie mit Freunden eine gut gehende Agentur in Mannheim, bis sie 2012 bei Vega Grieshaber erst als Head of Marketing und dann 2016 als CEO Verantwortung übernahm. Wie erfolgreich sie das macht, zeigte ihre Wahl zur Unternehmerin des Jahres 2022 durch Ernst & Young. Wie sie ihre Rolle interpretiert, verrät ihre Selbstbeschreibung bei LinkedIn: „proud part of the VEGA family“.
