Der Weinkonsum sinkt, die Keller sind voll, die Sorgen groß: In Südbaden kämpft eine traditionsreiche Branche ums Überleben – und um ihre Zukunft zwischen Krise und Aufbruch.

Rebflächen liegen brach, Winzer müssen ihren Wein verramschen: Es kriselt im Weinbau. Die Menschen trinken immer weniger Wein. Und eine ganze Branche macht sich Sorgen um die Zukunft. Denn der Weinbau stellt in Südbaden auch einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar.
„Aktuell ist zu beobachten, dass sich der Weinmarkt weltweit rückläufig entwickelt – wie auch der Biermarkt“, bestätigt Holger Klein, Geschäftsführer beim Badischen Weinbauverband mit Sitz in Freiburg. Die Deutschen haben im vergangenen Weinwirtschaftsjahr pro Kopf noch 22,2 Liter getrunken. 0,3 Liter weniger als im Vorjahr. Bei den Schaumweinen ging der Konsum ähnlich zurück. Zum Vergleich: Noch 2012 lag der Pro-Kopf-Verbrauch bei stattlichen 25 Litern Wein pro Jahr und Kopf.
Ursache für den Rückgang des Weinkonsums sind einerseits demografische Entwicklungen (die Jungen trinken weniger Wein als die vinophilen Älteren), andererseits die unsichere geopolitische Situation und die stagnierende Wirtschaft, die viele sparen und eher zur günstigeren Konkurrenz aus dem Ausland greifen lässt. Hinzu kommen Trends wie Longevity. Die Folge ist eine weltweite Überproduktion. Immer mehr Wein bleibt in den Kellern der Erzeugerbetriebe und des Handels liegen. Erschwert wird die Lage der Winzer durch stetig steigende Produktionskosten (insbesondere die Anhebung des Mindestlohns für Saisonarbeitskräfte) und die Folgen des Klimawandels – neben Starkwetterereignissen auch neue Krankheiten und Schädlinge. In diesem Jahr setzten in Baden vor allem die Hitze und Trockenheit im Juni und Juli den Reben zu, so dass die Weinmosternte klein ausfiel, sie lag weiterhin deutlich unter dem langjährigen Mittel – die Qualität lässt allerdings auf einen guten Jahrgang hoffen.
„Auf unsere Betriebe wirkt sich der aktuelle Konsumverzicht deutlich aus, insbesondere weil er mit stetig steigenden Produktionskosten einhergeht“, sagt Weinbauverbands-Chef Klein. „Das gefährdet die Wirtschaftlichkeit vieler Betriebe“ – und damit den Wirtschaftsfaktor Weinbau.
2024 gab es in Baden noch mehr als 8500 Traubenerzeuger, von Kleinstbetrieben, die Weinbau im Nebenerwerb betreiben, bis hin zu Großbetrieben mit 20 Hektar und mehr. Rund 450 davon sind selbst vermarktende Unternehmen, also Weingüter, Kellereien und Winzergenossenschaften.
Den sinkenden Weinkonsum spüren nahezu alle irgendwie. Der Badische Winzerkeller (BWK) ist der größte Erzeugerverbund Badens mit großem Firmengelände am Rand von Breisach, 1300 Hektar Rebfläche, ein Millionenumsatz und -absatz. Konkrete Zahlen zur aktuellen Geschäftsentwicklung möchte der Vorstandsvorsitzende André Weltz nicht nennen, gefragt nach dem sinkenden Weinkonsum aber sagt er: „Auch wir sind davon nicht verschont.“
Das Hofgut von Matthias Wörner liegt eingebettet in die Durbacher Rebhänge. 1,5 Mitarbeiter, fünf Hektar Rebfläche. 15 000 Liter Wein füllt das Hofgut pro Jahr ab. Bei Wörners spürt man eine leichte Stagnation innerhalb der vergangenen zwei Jahre, nachdem die Nachfrage zuvor stetig gestiegen war.

Gedanken um die Zukunft
In Achkarren im Kaiserstuhl macht man sich im Bioweingut Isele Gedanken um die Zukunft. Zwar sei die Nachfrage da, sagt Inhaber Bertram Isele, doch wo die Reise hingeht, sei eine „Frage, die uns sehr beschäftigt“.
Wie dramatisch die Situation wirklich ist, schildert Josefine Schlumberger. Die studierte Önologin, frühere Deutsche Weinkönigin und Jungwinzerin des Jahres 2023 arbeitet zusammen mit ihren Eltern im Weingut Schlumberger in Sulzburg-Laufen. Sie sagt: „Es wird deutlich weniger Wein gekauft – bei uns genau wie bei allen Kollegen, mit denen ich in Kontakt stehe.“ Die Keller seien direkt vor der Weinlese noch recht voll gewesen. Um Platz für den neuen Jahrgang zu schaffen, hätten viele Winzer Wein sogar offen verkaufen müssen, teilweise für 50 Cent pro Liter – oder zu Industriealkohol gebrannt. „Weingüter gehen insolvent, große Betriebe kündigen ihre Vertragswinzer, Familien stehen ohne Einkommen da.“ Ein weiteres Problem: Viele Weinbaubetriebe finden in der schwierigen Situation keinen Nachfolger.
Es sei „bedrohlich“, sagt auch Bettina Schumann, „welch eine große Lobby sich gegen den Weinkonsum stark macht, welche dabei nicht zu bedenken scheint, was alles mit der deutschen Weinwirtschaft in Verbindung beziehungsweise in Abhängigkeit steht“. Beispiel Weintourismus. „Davon profitieren Gastronomie, Hotellerie, der Einzelhandel vor Ort und es bietet natürlich Arbeitsplätze.“ Schumann betreibt das gleichnamige Weinhaus in Bahlingen am Kaiserstuhl, der als sonnenreichstes und wärmstes Weinbaugebiet Deutschlands gilt.
Schlumberger weist noch auf ein weiteres Problem hin. „Dass mit dem Alkohol auch das Kulturgut Wein und die dazugehörige Kulturlandschaft vom Verschwinden bedroht sind, darüber wird scheinbar wenig nachgedacht.“ Denn der sinkende Weinkonsum hat Folgen: brachliegende Rebflächen etwa. Weinbauverbands-Chef Klein: „Diese Flächen stellen tatsächlich ein Problem für uns dar, denn auf nicht bewirtschafteten Flächen können sich Pilzkrankheiten ausbreiten und invasive Schädlinge finden ideale Bedingungen zur Vermehrung.“ Ein weiterer negativer Aspekt solcher Brachflächen ist die Veränderung des Landschaftsbilds. Um ein Drittel könnten die deutschen Rebflächen zurückgehen, mutmaßt der Deutsche Weinbauverband. „Wo vorher sanfte Rebhänge waren, findet man irgendwann nur noch Büsche und Dornenhecken. Diese Entwicklung würde sich negativ auf den Tourismus und die Naherholung auswirken“, sagt Klein. Deshalb fordert der Weinbauverband von der Landesregierung eine sogenannte Drieschenverordnung („Driesch“, Brache), mit der effektiver als bisher gegen die Ausbreitung dieser Flächen vorgegangen werden könne.

Auf Qualität setzen
Wenn Aufgeben keine Option – was hilft dann gegen die Krise. „Höchste Qualität und damit einhergehend höhere Verkaufspreise“, glaubt Bettina Schumann. Denn mutmaßlich trinken künftige Generationen zwar etwas weniger Wein, dafür aber hochwertig und regional, vermutet auch Klein. Biowinzer Isele kann das betätigen: „Das jüngere Publikum sprechen wir gerade in unserer Art Wein zu machen eher an, das bauen wir derzeit aus.“ Wichtig sind auch gutes Marketing, auch über Social Media, und das erfolgreiche Vermarkten über Weinerlebnisse, sind sich die Winzer einig. Passend dazu haben viele Weinbaubetriebe Ferienwohnungen als weiteres Standbein. Auch bei den Experten der Schwarzwald Tourismus GmbH (STG) sieht man den Weinbau als zentral für den Tourismus in Südbaden an. Der Weintourismus biete ein enormes Potenzial, könne ein zweites wirtschaftliches Standbein für Weinbaubetriebe werden. Eine Studie untersuche derzeit den Wirtschaftsfaktor Weintourismus in Baden. Das Endergebnis steht noch aus, doch erste Ergebnisse seien vielversprechend.
„Wein ist hier nicht nur ein Produkt, sondern ein kulturelles Erlebnis – eingebettet in eine Region, die Genuss, Natur und Gastfreundschaft miteinander verbindet“, so STG-Geschäftsführer Hansjörg Mair. Die Landschaft sei ein wesentlicher Grund, weshalb viele Touristen nach Südbaden kommen. Baden ist drittgrößtes Weinanbaugebiet Deutschlands – das allein zeige die Bedeutung der Region. Die Badische Weinstraße werde überregional vermarktet und sei ein starkes touristisches Zugpferd. „Die Tendenz ist eindeutig steigend – sowohl was die Bekanntheit als auch die Qualität der Angebote betrifft.“
Die Angebote noch weiter voranbringen soll darüber hinaus das von der STG und dem Weinbauverband etablierte Kompetenzteam Weintourismus Baden. Es soll touristische Leuchtturmprojekte rund um den Wein entwickeln und Winzer, Gastronomen und sonstige touristische Leistungsträger vernetzen.

Gemeinsam stärker?
Klingt alles vielversprechend. Noch sind das meiste allerdings Einzelaktionen statt gebündelter Kräfte. Es sei ein Versäumnis, findet Josefine Schlumberger, „dass gerade in solch einer kritischen Phase, Baden ohne eine zentrale Weinwerbung dasteht“. Denn: Die Werbegemeinschaft Badischer Wein GmbH wurde vor zwei Jahren aufgelöst, weil Betriebe die freiwillige Abgabe nicht mehr leisten wollten. Die geplante Einführung einer Pflichtabgabe für Winzer ab dem kommenden Jahr, mit der heimische Weine besser vermarktet werden sollten, wurde kürzlich wegen Kurzfristigkeit noch einmal aufgeschoben.
Winzer Matthias Wörner sieht in der Krise selbst auch eine Chance. „Die Krise lässt sich nicht aufhalten. Wir müssen den natürlichen Marktmechanismen Raum geben und zulassen, dass dieser sich selbst bereinigt, so schmerzhaft es auch für die Branche sein wird. Nur wenn sich Angebot und Nachfrage treffen, bekommen wir ein gesundes Gefüge. Dafür muss Rebfläche weichen und dafür müssen Betriebe ihre Produktion einstellen.“ Für ihn bedeute es, das Profil des Hofguts zu schärfen – als einer der nachhaltigsten Weinerzeuger im deutschsprachigen Raum.
Beim Badischen Winzerkeller hat man da größenbedingt andere Möglichkeiten. Nicht nur reduzierte der Winzerkeller sein Sortiment deutlich und fokussierte auf profitable Produkte und Marken – darüber hinaus holte man sich prominente Unterstützung ins Haus. Seit diesem Jahr kooperiert der Winzerkeller mit Ralf Schumacher und Kylie Minogue Wines. Weltz: „Marken mit bekannten Gesichtern erzeugen sofort Aufmerksamkeit, bieten Identifikationspotenzial und bringen emotionale Geschichten mit – all das sind starke Hebel im heutigen Weinmarkt.“ Der BWK-Vorsitzende betont aber auch: „Internationale Kooperationen verstehen wir als Ergänzung – nicht als Ersatz.“
Produkte mit „geringerem Alkoholgehalt“ rücken bei BWK ebenfalls mehr in den Fokus. Auch Weinbauverbands-Chef Holger Klein sagt: Gesundheitstrends wie Longevity führten dazu, dass der Absatz alkoholfreier Getränke, und eben auch alkoholfreier Weine, zunehme. Davon profitieren aber nicht alle, glaubt Winzerin Josefine Schlumberger: „Für große Betriebe sind alkoholfreie Weine vielleicht ein wichtiges Produkt für die Zukunft. Für uns als kleiner, handwerklich arbeitender Betrieb macht die Produktion alkoholfreier Weine aber keinen Sinn.“
Bei allem, was sie selbst versuchen, um das Ruder herumzureißen – die Winzer erhoffen sich Unterstützung aus der Politik und von der Bevölkerung. „Von der Politik wünschen wir uns – gerade für den landwirtschaftlichen Bereich – eine Entbürokratisierung, transparente und durchsatzstarke Förderprogramme für den Weinbau und die Vermarktung“, sagt Weltz vom BWK. Schlumberger ergänzt: „Wer sich beim Einkauf für eine Flasche aus Baden beziehungsweise Deutschland entscheidet, hilft den Winzerinnen und Winzern am meisten. Und am allerbesten bestellt man direkt beim Erzeuger!“
Wird es also künftig in Südbaden noch Weinbau geben? „Der Weinbau hat schon deutlich schwerwiegendere Krisen überstanden und deshalb wird er auch in zehn und mehr Jahren noch unsere Landschaft und unsere Kultur prägen“, ist sich Klein vom Verband sicher. „Aber der Weinbau wird sich verändern und diejenigen, die bereit und in der Lage sind, sich auf die nötigen Veränderungen einzustellen, werden auch dann noch erfolgreich badische Weine vermarkten.“ Ein „neues Weitermachen“, nennt es BWK-Chef Weltz.
Die Winzer werden ihre Arbeit auf jeden Fall mit der gleichen Leidenschaft fortführen wie bisher. Auf die Frage, wo er sich in zehn Jahren sieht, sagt Bertram Isele vom Bioweingut: „Immer noch in den Reben, mit meiner Familie im Einklang und mit einem guten Glas Wein.“ Susanne Ehmann
Weinbau in Baden
Der badische Weinbau ist durch eine kleinteilige Struktur geprägt, doch immer mehr kleine Weinbaubetriebe geben auf: So betrug die Zahl der in der amtlichen Weinbaukartei gemeldeten Betriebe in Baden (die mehr als 0,01 Hektar Weinberge bewirtschaften) im Jahr 2014 rund 14 000. Sie sank bis 2024 auf rund 8500 Betriebe, so das baden-württembergische Landwirtschaftsministerium. Die Entwicklung zeige dabei eine klare Abnahme der Betriebe unter einem Hektar Rebfläche von rund 11 400 auf 6300. Ihr Anteil an allen gemeldeten Betrieben sank von 81 auf 74 Prozent. Auch die Rebfläche nimmt leicht ab: von rund 15 800 auf 15 500 Hektar binnen zehn Jahren.
