Großartig in Sachen Lebensqualität, aber ausbaubar in Sachen Infrastruktur, Wohnraum und Human Resources: Die neue Standortumfrage der IHK zeichnet ein realistisches Lagebild vom Südwesten – mit Licht und Schatten.

Die Wirtschaft im Südwesten hat keine flächendeckend guten Standortfaktoren mehr. An zu vielen Stellen zeigen sich rote Flecken auf der Heat Map der 2025er Standortumfrage der Industrie- und Handelskammern im Südwesten, an der sich so viele Unternehmer wie noch nie beteiligten. Mehr als 1700 Unternehmer haben ihre individuellen Standortfakten in 40 Kategorien bewertet. Verkehr und Infrastruktur, Kosten und Entwicklungsflächen, Arbeitskräfte und deren Qualifizierung, Wirtschaftsförderung und Verwaltung sowie die Lebensqualität im Südwesten wurden mit Noten zwischen eins (sehr gut) und fünf (sehr negativ) bewertet.
Die Standortumfrage ist damit „das aggregierte Bauchgefühl“ vieler Unternehmer, sagt Freiburgs IHK-Vize Alwin Wagner: „Man sieht genau: Wo drückt der Schuh? Dieses objektive Bild sehr vieler subjektiver Eindrücke ist als wirklich verlässliche Datengrundlage wichtig für zielgerichtete Entscheidungen.“ Und genau darum geht es den Kammern: Um das Wissen, wo man helfen muss. Um Prioritäten, um Klarheit, um Transparenz. „Man sieht bei der Standortumfrage sehr gut die Komplexität von Standortpolitik“, sagt Philipp Hilsenbek von der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. „40 Stellschrauben, dazu die Bewertung der Relevanz: So entsteht ein sehr realistisches Bild von der tatsächlichen Lage.“ Was Hilsenbek nicht sagt, aber meint: Wie wohltuend es ist, dass bei der Standortumfrage nicht der lauteste Populist Gehör findet oder der am besten vernetzte Politiker seine Themen setzen kann, sondern die Wirtschaft klipp und klar zum Ausdruck bringt, wie es um den Standort steht.
Unternehmer bleiben optimistisch
Die gute Nachricht dabei: Die Wirtschaft im Südwesten glaubt weiter an die eigene Zukunft. „Die Aussichten werden bei uns immer besser bewertet als die Lage“, sagt Wagner. „Aber es gibt einfach viel zu viele rote Punkte und das zeigt, wie viel Arbeit wir noch vor uns haben.“ Als Interessenvertretung aller Betriebe wird die Kammer die Ergebnisse der Standortumfrage mit politischen Entscheidungsträgern auf kommunaler und überregionaler Ebene besprechen. Eines der wichtigsten Themen dabei: ein Turnaround in Sachen Raumplanung. „Die Verfügbarkeit von Wohnraum ist inzwischen vielerorts eines der größten Probleme“, sagt Alexander Graf, Leiter Geschäftsfeld Standortpolitik der IHK Hochrhein-Bodensee. „Wirtschaft und Bevölkerung leiden unter falschen Vorgaben. Die Netto-Null beim Flächenverbrauch können wir uns einfach nicht mehr leisten.“ Genau so sehen es Wagner und Hilsenbek. „Zukunft braucht Raum“, sagt Hilsenbek.

Kammern: Wirtschaft braucht Raum
Angesichts einer wachsenden Bevölkerung und des Flächenbedarfs für Photovoltaik-Anlagen und Windräder (unerlässlich für das Gelingen der Energiewende) müsse der Landesentwicklungsplan dringend überarbeitet werden. Graf: „Wir brauchen neue Freiräume für die Kommunen. Eine reine dogmatische Politik hilft uns hier überhaupt nicht weiter, ganz im Gegenteil: Die viel zu restriktive Politik der vergangenen Jahre muss dringend revidiert werden.“ Die Unternehmer sehen es ganz genauso. Rund um Konstanz, entlang der Schweizer Grenze, in und um Freiburg aber auch in der Ortenau: überall knallrote Werte. „Es haben sich einfach Wirklichkeiten verändert“, sagt dazu Alwin Wagner. „So sehr wir uns für die Innenstädte und deren Weiterentwicklung einsetzen: Wir brauchen auch Flächen für Logistikzentren, um einfach die Bedürfnisse vieler Menschen bedienen zu können.“
Energiekosten bleiben Sorgenthema
Weniger einfach zu verbessern sind andere Aspekte, die den Unternehmern im Südwesten wie den Experten der Kammern Sorgen machen: die anhaltend hohen Energiepreise zum Beispiel, die demografische Entwicklung, fehlende Fachkräfte. „Energiekosten haben nicht für jedes Business die gleiche Relevanz und wir sind bei den Gas- und Strompreisen weit weg vom Peak, den wir in der Standortumfrage 2023 abgebildet haben“, analysiert Wagner. Nach wie vor seien „Energiekosten für zu viele Unternehmer ein Riesenproblem“– erst recht in Verbindung mit hohen Arbeitskosten und einer zwar etwas entspannten, aber nach wie vor nicht guten Lage am Arbeitsmarkt. Zusammen sei das ein Cocktail, der die Deindustrialisierung weiterhin befeuere.
Auf der anderen Seite: Es gibt auch positive Erkenntnisse in der Standortumfrage 2025. „Alle Ergebnisse in Sachen Wirtschaftsförderung und Verwaltung haben sich verbessert“, freut sich Philipp Hilsenbek. „Das belohnt die kommunale Familie für ihr Engagement und zeigt: Das Ringen trägt Früchte.“ Sehr gute Noten vergaben die Unternehmer zudem für so ziemlich alle Aspekte in Sachen Lebensqualität im Südwesten. Lebens- und Aufenthaltsqualität, Sport-, Kultur- und Freizeitangebot: top. Nicht mehr so gut schneidet indes die medizinische Versorgung ab, insbesondere in den Landkreisen Lörrach und Waldshut. In Waldshut gibt es noch ein weiteres Problem: Der Landkreis ist vom deutschen Autobahnnetz einfach nicht erfasst. Seit Jahrzehnten ist dieses Problem ein Thema, aber passiert ist einfach zu wenig.
Topografie wirkt auf Wahrnehmung
„Man sieht an den Daten deutlich: Die Topografie hat Einfluss darauf, wie man den Standort wahrnimmt“, sagt Graf. „Im Hochschwarzwald erlebt man den Standort ganz anders als im Rheintal – und das hat direkte Auswirkungen auf die Entwicklungschancen der Menschen, die hier leben.“ Was aber tun? „Wir müssen über kommunale Grenzen hinwegdenken“, sagt Graf. „Jede Ecke hat ihre Vor- und Nachteile – und doch dominiert noch viel zu oft ein lokales Kirchturmdenken.“
Potenziale werden verpasst
Gerade im Bereich interkommunaler Gewerbegebiete würden „viele Potenziale verpasst“, dabei brauche es einfach Partnerschaften mit Nachbarlandkreisen. Graf: „Waldshut hat keine und kriegt sicher auch keine öffentliche Hochschule in naher Zukunft. Also muss man andere Wege finden, um auch den Unternehmen in dieser Raumschaft Kooperationen mit Hochschulen zu ermöglichen und Netzwerke mit jungen Nachwuchskräften zu entwickeln.“ Apropos Netzwerke: Auch im Bereich der digitalen Infrastruktur bleibt der Handlungsdruck hoch, auch wenn die öffentliche Hand in manchen Regionen Millionen in den Ausbau der Glasfaserinfrastruktur investiert. „Wir sehen, dass der politische Einsatz der Kammern langsam wirkt“, konstatiert Hilsenbek. „Es wird besser, aber es geht den Unternehmern einfach nicht schnell genug. Wir müssen hier dranbleiben!“
Ganz ähnlich ist die Lage im Bereich Bürokratie. Auf Genehmigungen warten viele Unternehmer gefühlt ewig und auch wenn die Kommunen hier in der Kritik stehen: Man weiß, dass vor Ort viele Regeln nicht gemacht, sondern ausgebadet werden müssen. „Ich glaube: Das ist auch eine wichtige Erkenntnis“, sagt Wagner. „Gute Standortpolitik muss nicht viel Geld kosten. Aber es ist den Unternehmern extrem wichtig, dass sie gehört werden, dass sie mitgenommen werden und dass sie in den Verwaltungen eine wirtschaftsfreundliche, offene Haltung spüren.“ Ulf Tietge
