Deutschland braucht dringend neuen Wohnraum, doch gebaut wird immer weniger. Warum es so weit kam – und wie man die Baukrise vielleicht doch überwinden kann, haben unsere Autoren in diesem Special zusammengetragen.

Bagger beißen sich durch die Erde, Kräne recken sich in den Himmel und den Beton aus dem Fahrmischer gibt es im James-Bond-Style: gerührt, nicht geschüttelt. In ein paar Monaten sollen hier im Freiburger Westen die ersten von 1600 neuen Wohnungen entstehen – die dringend benötigt werden. Der Bedarf ist riesig, die Nachfrage ungebrochen. Doch das geschäftige Bild auf einzelnen Baustellen kann nicht darüber hinwegtäuschen: Obwohl vielerorts im Land Wohnraum knapp ist, wird immer weniger gebaut und die Flaute in der Bau- und Immobilienbranche hält an. Das Ifo-Institut sagt für das laufende Jahr nur 205 000 neue Wohnungen voraus, 45 000 weniger als 2024. Prognose für 2026: 185 000 Wohnungen, so wenige wie seit 17 Jahren nicht mehr.
Eine Analyse des Bundesverbands Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) verdeutlicht das Ausmaß ebenfalls: Zwischen Ende 2022 und Mitte 2025 ist die Zahl der Wohnungsbaustarts um 85 Prozent zurückgegangen. Und der Negativtrend hält an: Seit Jahresbeginn beträgt das Minus in kleineren Städten rund zehn Prozent, in Großstädten sind es sechs Prozent. Ifo-Experte Ludwig Dorffmeister: „Die Situation am Wohnungsmarkt wird sich auf mittlere Sicht nicht ändern. Die Lage wird mindestens bis 2030 sehr angespannt bleiben.“
Warum Bauen immer teurer wird
Die Gründe für den Rückgang sind vielfältig, doch im Zentrum stehen die Baukosten. Sie sind in den vergangenen Jahren förmlich explodiert – und zwar in allen Bereichen. Materialien wie Beton, Stahl, Holz oder Dämmstoffe haben sich massiv verteuert. Die Personalkosten im Bauhandwerk sind gestiegen und die rechtlichen Rahmenbedingungen immer schwerer zu erfüllen. Seit 2010 verteuerten sich Rohbauarbeiten im Schnitt um 77,1 Prozent, Ausbauarbeiten um 88,3 Prozent. Die Preise für Bauland legten um 179,9 Prozent zu. Zum Vergleich: Die allgemeine Inflationsrate betrug im selben Zeitraum nur 35,4 Prozent. Und all das summiert sich: Die Baukosten für einen Quadratmeter Wohnraum hätten sich in den vergangenen 25 Jahren ums Zweieinhalbfache erhöht, heißt es in einer Studie
der Kieler Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen. Allein zwischen 2020 und 2023 kletterten die Kosten um 48 Prozent. Und die Entwicklung hält an: Im vierten Quartal 2024 lagen die durchschnittlichen Baukosten bei 4473 Euro pro Quadratmeter – ein erneutes Plus von 3,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.
Wer heute Wohnraum schaffen will, muss also deutlich tiefer in die Tasche greifen. Ein Grund dafür: immer neue Anforderungen. Energieeffizienz, Schallschutz, Barrierefreiheit, Stellplatznachweise – alles sinnvolle Standards, die jedoch Projekte spürbar verteuern. Für viele Investoren rechnet sich das schlicht nicht mehr, denn wer Baukosten von fast 4500 Euro je Quadratmeter über Miete wieder reinholen will, kommt auf Kaltmieten von mehr als 20 Euro je Quadratmeter.
Auch die Finanzierungskosten erschweren die Lage. Seit der Zinswende sind Darlehen erheblich teurer geworden. Für private Bauherren wie für Investoren eine spürbar höhere Belastung. Viele Projekte gerieten durch die gestiegenen Zinsen ins Wanken. Und als wäre das nicht genug, bremst auch noch die Bürokratie. Wer in Deutschland bauen will, braucht Geduld. Genehmigungsverfahren ziehen sich, Nachforderungen sind an der Tagesordnung, rechtliche Vorgaben ändern sich in kurzen Abständen. Diese Planungsunsicherheit schreckt Bauherren ab – kleine wie große.
Impulse für den Ausweg
Höchste Zeit also, gegenzusteuern und sich auf die eigenen Stärken besinnen – „auf Zuversicht und Schaffenskraft, Optimismus und Verständnis“, führt Tobias Sennrich von Sennrich und Schneider Architekten in Breisach auf. Denn Lösungen lägen längst auf dem Tisch, und deshalb machen Branchenvertreter Druck. So fordert der Verband baden-württembergischer Wohnungs- und Immobilienunternehmen (VBW): „Bauen muss dringend wieder einfacher werden – durch weniger Baustandards, weniger Gutachtenpflichten, durch einfachere und schnellere Bauverfahren.“ In dieselbe Richtung argumentiert Ulrich Moosmann, Geschäftsführer der Offenburger Bauunternehmung
Wackerbau: „Der erste Schritt muss ganz klar aus der Politik und der Gesellschaft kommen!“ Konkret gehe es um die Entschlackung der Bauordnung – weniger Vorschriften bedeuten weniger Bauzeit und damit auch günstigere Bauprojekte. Ähnlich sieht es Philipp Merz, Prokurist bei Bernhard Merz Immobilien in Rottweil. Neben den strengen Bauvorschriften sieht er überzogen hohe (Umwelt-)Auflagen, die das Bauen verteuern.
Immerhin aber habe die Politik erste Weichen gestellt. „Es muss auch mal gelobt werden“, sagt Gabriele Renz, Pressesprecherin der Architektenkammer Baden-Württemberg. Mit dem Klimaschutzgesetz von 2023 sowie der Novelle der Landesbauordnung, gültig seit dem 29. Juni 2025, sind wichtige Erleichterungen geschaffen worden. Besonders hervorzuheben sei der neue Bestandsschutz in Paragraf 76 (1) LBO: Eine bauliche Anlage genießt seither Bestandsschutz, wenn sie legal errichtet und genehmigungskonform genutzt wird. „Das ist bedeutsam, weil viele Kommunen bislang den leichteren Weg gegangen sind – Abriss und Neubau statt Sanierung. Dieser Weg wird nun erschwert“, so Renz. Auch bei Brandschutzvorschriften gibt es Anpassungen, zumindest für Umbauten im Bestand. Erleichterungen gelten für Dachgeschossausbauten und Aufstockungen zu Wohnzwecken. Wenn sich dabei eine höhere Gebäudeklasse ergibt, griffen nicht mehr automatisch die strengeren Vorgaben dieser höheren Klasse. „Auch bleiben Aufstockungen um bis zu zwei Geschosse sowie der Einbau von Dachgauben und Zwerchgiebeln abstandsrechtlich unberücksichtigt – wenn Wohnraum geschaffen wird“, erläutert Renz.
Wohnraum durch Aufstockung
Gerade die Aufstockung von Bestandsgebäuden ist auch für Ulrich Moosmann eine wichtige Stellschraube, um neuen Wohnraum zu schaffen. Ein Blick nach Wien zeigt, wie erfolgreich dieses Modell sein kann: Dort haben sich ganze Baugesellschaften auf Dachgeschosse und Aufstockungen spezialisiert. Auch Wackerbau setzt seit Jahren mit Holzbaupartnern auf dieses Modell. „Wir sehen hier ein riesiges Potenzial, um im Bestand hochwertige Wohnqualität zu schaffen.“ Auch der Umbau und die Umnutzung bestehender Gebäude sind für Moosmann zentrale Bausteine. Die bereits vorhandene Infrastruktur kann genutzt werden, Bauzeiten verkürzen sich, die Kosten sind häufig niedriger als beim kompletten Neubau. Außerdem werden Ressourcen geschont, weil wertvolle Bausubstanz erhalten bleibt.
Die Zahlen im Ländle zeigen laut Architektenkammer, dass sich dieser Trend verstärkt: Aktuell entfallen mehr als 70 Prozent der Bautätigkeit auf den Bestand, nur 30 Prozent auf Neubauten. In 15 Jahren könnte der Anteil von Neubauten sogar nur noch bei acht Prozent liegen. Investoren würden sich zunehmend Bestandsobjekten zuwenden, sei es in innerstädtischen Lagen oder auf kleineren Rest- oder Lückengrundstücken. „Viele Kommunen sind froh, wenn Bauherrschaften solche Flächen übernehmen“, weiß Renz.
Doch ein Hindernis bleibt: veraltete Bebauungspläne. „Viele stammen noch aus Zeiten, als Pferdefuhrwerke unterwegs waren“, so die überspitzte Kritik von Renz. Schon lange setze sich die Architektenkammer dafür ein, Bebauungspläne mit einem Verfallsdatum zu versehen. Auch Markus Huber, geschäftsführender Gesellschafter bei Rendler Bau aus Oberkirch, fordert Änderungen. „Derzeit werden Pläne erst überarbeitet, wenn ein konkretes Projekt ansteht.“ Und das kostet Zeit. Besonders Pläne aus den 1960er- und 1970er-Jahren sollten proaktiv angepasst werden. „So wäre auch der Gegenwind der Anwohner deutlich geringer, wenn ein konkretes Projekt ansteht“, so Huber.
Hamburger Standard
Kosten im Wohnungsneubau drastisch senken, ist das Ziel des sogenannten Hamburger Standards. Durch bedarfs-gerechtere Standards, effizientere Planungs- und Managementprozesse sowie schnellere Genehmigungen sollen bis zu 2000 Euro brutto pro Quadratmeter Wohnfläche eingespart werden. In Pilotprojekten werden innovative Maßnahmen erprobt, um die Kosten um mehr als ein Drittel zu senken. Mehr Infos hier.
Kostengünstig bauen
Bleibt die Frage: Wo lassen sich Kosten konkret einsparen? „Man kann auf Komfortstandard verzichten. Etwa indem man Leitungen auch Aufputz verlegt, was durchaus stylish sein kann“, sagt Renz. Auch sei es oft ausreichend, einen Estrichboden zu nutzen oder Wände nicht zu verputzen. Ebenso kann der Verzicht auf komplexe technische Lösungen, die wartungs- und kostenintensiv sind, Projekte günstiger machen. „Für 3000 Euro pro Quadratmeter können wir mit einfachen Grundrissen bauen – wenn der Vorfertigungsgrad passt“, sagt Huber. Auch bei der Ausstattung ist Sparen möglich: Balkone sollten nach außen ragen und nicht zurückgesetzt werden, auf Gästetoiletten oder Tiefgaragen könne man verzichten. „Außerdem sollte man über die Änderung der Stellplatzschlüssel nachdenken“, ergänzt Philipp Merz. Günstige Baustoffe wie Betonfertigteile, Mauerwerk oder einfache Holzrahmenkonstruktionen senken die Baukosten ebenso wie Flachdächer oder Satteldächer mit preiswerten Materialien. „Auch weniger aufwendige Fassadengestaltung, Putzfassaden oder einfache Fassadenpaneele, standardisierte Fenster und Türen, Gipskartonwände, Linoleum oder PVC und Standard-Sanitäranlagen senken die Kosten“, ergänzt Ulrich Moosmann, „Um für unter 2000 Euro pro Quadratmeter zu bauen, müssen vor allem vorgefertigte, schnell montierbare Elemente eingesetzt werden – Sonderlösungen sind dann nicht machbar.“
Auch die Wohnungswirtschaft setzt bereits auf solche Konzepte: modulares und serielles Bauen und Kostenvorteile durch Kooperationen. „Doch solange Standards und Vorgaben, Baukosten und Baulandpreise hoch bleiben und die Verfahren aufwendig und langwierig sind, wird nicht wesentlich günstiger gebaut werden können“, sagt Marion Schubert vom VBW, dem Verband der Wohnungs- und Immobilienunternehmen im Land. Daniela Santo
Wohnungsbau in Deutschland 2025
Quo vadis? Dieser Frage geht eine Studie der Arge Kiel und des Forschungsinstituts Regiokontext nach.