Stephan Thoma und das Sanitätshaus Schaub haben beide mal klein angefangen. 35 Jahre später ist die ehemalige Aushilfe dort Geschäftsführer und das Sanitätshaus eines der größten in Deutschland. Über ein Unternehmen mit vielen Erfolgsgeschichten.

Wer weiß als Auszubildender oder Student schon so genau, an welchem Arbeitsplatz er später mal landen wird. Solche „Wer hätt’s gedacht“-Geschichten könnte man millionenfach erzählen. Doch als Aushilfe anzufangen und den gleichen Laden, eines der größten Sanitätshäuser Deutschlands mit rund 400 Mitarbeitern, Jahrzehnte später zu schmeißen, das sticht heraus. Dabei möchte Stephan Thoma gar nicht viel erzählen, sagt er. Nicht von sich, lieber von der Geschichte seines „dritten Kindes“, wie er es nennt, also der Firma. Und von seinem Chef und Mentor Peter Wien, der für ihn wie ein Vater wurde und den er nach dessen Tod schmerzlich vermisst. Also erzählt er los, schnell, rundheraus und ohne zu unterbrechen, so wie er wohl auch arbeitet. Nur einmal gerät er ins Stocken. Er bittet um eine Pause, als die Rede auf Peter Wien kommt und der große, kräftige Mann mit den Tränen kämpft.
Denn Wien war es, der Schaub groß machte. Und Stephan Thoma mit.
Zwei Brüder im Streit
Ganz am Anfang standen Hans Georg und Franz Schaub, Brüder und Orthopädietechnikermeister, die 1932 gemeinsam das Sanitätshaus Schaub gründeten. Die Gemeinschaft währte nicht, in den 50er-Jahren kam es zum Streit und zur Trennung. An der Freiburger Bertoldstraße, an der sich noch heute das Sanitätshaus befindet, befand sich danach links der Laden von Franz und rechts der von Hans Georg. Lymphologie und Orthopädietechnik. Und wehe, jemand verwechselte die Eingänge. In den 70ern zogen die Brüder sich aus dem Geschäft zurück, Tochter Angela übernahm die Firma Franz Schaub, bei HG Schaub stieg Hans Georgs Schwiegersohn, der Ingenieur Peter Wien, ein. Beide Übernehmer brachten ihre Firmen voran, jeder auf seine Weise.
Angela Vollmer, geborene Schaub, war und ist nicht nur gelernte Fremdsprachensekretärin, sondern auch Bandagistenmeisterin. Kompressionsstrümpfe für das lymphatische System wurden ihr Steckenpferd und sie eine Koryphäe bei der Behandlung von Lymphödemen.

Einer für alle: die Vision von Peter Wien
„Peter Wien hatte ein unglaubliches Gespür für Notwendigkeiten und Verbesserungen, war Zeit seines Lebens ein Visionär“, erinnert sich Stephan Thoma. Unter Wiens Führung gab es mehr und mehr Filialen mit jeder Menge Ausstellungsware zum Anschauen, Anfassen, Fühlen. Und das Portfolio der Firma wuchs. Auf der grünen Wiese, im Gewerbegebiet Haid, entstand die erste Zentrale mit Verwaltung, Werkstätten und Logistik. „Das war damals bahnbrechend.“
Und: Wien und Vollmer taten sich zusammen. Anfang der 90er kaufte Wien die Firma Franz Schaub, 2017 schmolzen die beiden Firmen zusammen. 62 Jahre nach der Trennung.
Eine fremde Welt…
In den 2000er-Jahren war Stephan Thoma schon längst Teil von Schaub. Er hatte in den 90ern in Freiburg Volkswirtschaft studiert und brauchte einen Job. Kellnern kam nicht in Frage: „Zu hibbelig.“ Stattdessen hatte er bei Schaub als Aushilfe angeheuert, saß am (Tasten-)Telefon, erledigte Botengänge, fegte das Lager, half in den Werkstätten. „Es hat mir unwahrscheinlich gefallen. Ich bekam Eindrücke von einer Welt, die mir als gesunder, junger Mensch fremd war.“ Er bekam mit, wie Schaub-Hilfsmittel Menschen helfen, wieder am täglichen Leben teilzunehmen. Wie etwa der über 70-Jährigen in Freiburg Weingarten, der es ein Rollator nach vier Jahren endlich wieder ermöglichte, vor die Tür zu gehen. Für Thoma ein Schlüsselerlebnis.

Thoma durchlief bei Schaub als Aushilfe verschiedene Abteilungen und weckte die Aufmerksamkeit des Chefs – nicht nur mit seinen Fähigkeiten. Er könne sehr direkt sein, sagt Thoma. Egal wem gegenüber. Vor allem, wenn er sich ungerecht behandelt fühlt. So kam es 1992 zu einer heftigen Meinungsverschiedenheit zwischen den beiden – doch der Schaub-Chef kündigte ihm nicht, er bot ihm eine Festanstellung an. So stieg Thoma als Sachbearbeiter im Zentraleinkauf ein, den er später als Prokurist ganz übernahm. 2002, Thoma war gerade 34, bot Wien ihm dann den Geschäftsführer-Posten an. Und machte seinen Zögling damit sprachlos …
An diesem sonnigen Dienstag, in seinem Büro in der 2016 bezogenen neuen Schaub-Zentrale im jungen Teil des Gewerbegebiets Haid, blickt Stephan Thoma mit Stolz auf die vergangenen 20 Jahre. Wie er und Wien die Technologisierung vorantrieben. Wie sie das altbackene Image der Sanitätsbranche veränderten. Wie sie das angestaubte Bild von den drei toten Mücken und einem Stützstrumpf im Sanitätshaus-Schaufenster aus den Köpfen bekamen – und jungen Leuten erklärten, dass Sanität und Sanitär nicht das gleiche bedeuten. Wie sie neue Märkte erschlossen und Schaub zum Komplettanbieter in Sachen Gesundheitversorgung machten, der Hilfsmittel anbietet und die Dienstleistung gleich mit dazu. Das Pflegebett und den Rollstuhl für zu Hause nach dem Krankenhausaufenthalt gibt es genauso bei Schaub, wie die Tracheostoma-Versorgung vom Fachpersonal.

Marktführer in Deutschland
Heute versorgt der Gesundheitsdienstleister mehr als 35 000 Patienten monatlich. Was mit einem einzelnen Geschäft anfing, ist heute das größte Sanitätshaus Baden-Württembergs und das fünftgrößte bundesweit – mit zwei Dutzend Niederlassungen, bis nach Berlin. „Das macht mich stolz“, sagt Thoma. Schaub hat Rollstühle, Sauerstoffkonzentratoren, Prothesen, Orthesen, Einlagen, Maßschuhe,
Verbrennungsbandagen – und im Bereich lymphatischer Kompression ist man sogar Marktführer in Deutschland. Das Unternehmen ist ein Allrounder – ein Wettbewerbsvorteil gegenüber den anderen, meist spezialisierten Sanitätshäusern in Deutschland. Die neue Zentrale auf einem 11 000 Quadratmeter großen Areal ist bereits zu klein geworden und wird derzeit um weitere 4000 Quadratmeter sowie ein Logistikzentrum erweitert.
Dank der guten Arbeit und gesunden Finanzpolitik steht das Unternehmen gut da, sagt Thoma. Der neue Hauptsitz mit Verwaltung, Werkstätten und Ladenlokal konnte ohne Darlehen von der Bank gebaut werden, die Erweiterung ebenfalls. Investitionsvolumen: achtstellig. Das Gebäude wird mit Erdwärme beheizt und gekühlt, derzeit kommt eine Photovoltaikanlage aufs Dach. Autonomiegrad: 85 Prozent. Die Schaub-Flotte wird nach und nach auf Strom umgestellt. Umsatzzahlen will Thoma nicht verraten, nur so viel, Schaub gehe es gut. „Aber das ist eine absolute Ausnahme in der Branche.“

Der Druck der Kassen
Denn die fetten Jahre sind lange vorbei, der Kostendruck hoch. Schaub erwirtschaftet
98 Prozent seines Umsatzes durch Rezepte. Die Höhe des Honorars geben aber die Krankenkassen vor. Und das decke sehr oft die tatsächlichen Kosten nicht ab, sagt Thoma, Zusatzleistungen würden nicht bezahlt. Ein Beispiel: Je nach Vertrag mit den Krankenkassen stellen Sanitätshäuser Rollatoren für bis zu vier Jahre leihweise zur Verfügung. In dieser Zeit müssen sie jedoch eine umfassende Garantie übernehmen. Sie tragen die Kosten für Lieferung, Beratung, Reparaturen, Ersatzteile oder sogar den Austausch des Rollators. Dabei entstehen oft so hohe Kosten, dass die Erstattungen der Krankenkassen bei Weitem nicht ausreichen.
„Das ist nicht wirtschaftlich“ – doch es fehle die Lobby, sagt Thoma. Und dass sich die Wertschätzung der einfühlsamen Arbeit am Patienten auch im Preis widerspiegeln müsse. Weil viele Sanitätshäuser unter diesem Kostendruck schließen oder weil der Nachwuchs fehlt, seien die großen wie Schaub zum Wachstum quasi gezwungen. Denn die immer älter werdende Bevölkerung braucht immer mehr Hilfsmittel.
Apropos älter werden. Thoma ist 57. Er wird es eher nicht so halten wie Peter Wien, der im Oktober 2023 mit 81 Jahren gestorben ist, aber bis zuletzt noch fast täglich in der Firma präsent war, mit Rat und einem Schwätzchen. „Er fehlt bis zum heutigen Tag“, sagt Thoma. Ein „Herzensanliegen“ sei es ihm, dass es mit Schaub gut weitergeht, sagt er dann und zeigt sich froh darüber, dass die Weichen für seine Nachfolge schon gestellt werden. Zehn Jahre geht das sicher noch, keine Frage, aber man muss ja rechtzeitig an später denken. Wo weiß man das besser als in der Sanitätsbranche?
In ein paar Jahren ist Thoma an der Reihe, die Firma zu übergeben. Von der Aushilfe zum Vorgesetzten zum Geschäftsführer – es ist eine echte Erfolgsgeschichte. Auch seine Kollegen hätten seinen Aufstieg stets akzeptiert, weil er immer einer von ihnen geblieben sei – ein Familienmitglied im Familienbetrieb. Susanne Ehmann