Viele Herausforderungen, aber keine Krise: Der Schwarzwald hat als Urlaubsziel nach wie vor Konjunktur – weil man sich gleichzeitig neu erfunden und alter Stärken erinnert hat. Wenn jetzt noch die Bürokratie nachlässt …

Fast 25 Millionen Übernachtungen und mehr als neun Millionen Ankünfte: Die rund 2.700 Beherbungsbetriebe im Schwarzwald haben 2024 ein gutes Jahr erlebt. Vor allem im nördlichen und mittleren Schwarzwald wächst der Tourismus – und doch sieht Hansjörg Mair noch Luft nach oben. Der Chef von Schwarzwald Tourismus setzt daher auf digitale Markenbotschafter wie die Schwarzwald Marie, auf die Wiederentdeckung der Sommerfrische mit angenehm kühlen Temperaturen und darauf, dass der Schwarzwald als nachhaltiges Genießerziel eigentlich immer Saison habe…
Herr Mair, in Stuttgart läuft mit der CMT die größte Reisemesse Deutschlands – da will man wissen: Wie geht es der Tourismusbranche im Schwarzwald – und welche Entwicklungen erwarten Sie?
Hansjörg Mair: Der Schwarzwald ist zu heterogen im touristischen Angebot und zu groß, als dass man diese Frage einfach so beantworten könnte. Wenn wir allein auf die klassischen Kennzahlen schauen, also auf Ankünfte, Übernachtungen, Aufenthaltsdauer und Wertschöpfung, dann ist 2024 im Großen und Ganzen gut gelaufen. Wir knüpfen nahtlos an das Erfolgsjahr 2023 an. Aber ich sage bewusst, dass sich diese Aussage auf die Gesamtwertschöpfungszahlen bezieht – und diese weichen naturgemäß von einzelnen betrieblichen Kennzahlen ab.
Das klingt, als gibt es individuell schon größere Herausforderungen.
Der Tourismus hat gezeigt, dass er ein sehr resilienter Wirtschaftszweig ist und trotz multipler Krisen und großer Herausforderungen nach wie vor ein Erfolgsgarant ist – übrigens im Gegensatz zu vielen anderen Wirtschaftszweigen. Die größte Herausforderung sehen wir in der allgemeinen Unsicherheit und der damit verbundenen Zurückhaltung bei notwendigen Investitionen in touristische Infrastruktur. Die Wirtschaftskrise lässt grüßen, aber es gibt noch viele weitere Herausforderungen: die instabile geopolitische Lage, der demografische Wandel in unseren Quellmärkten, die Anpassung des Tourismus im Schwarzwald an den Klimawandel sowie der anhaltende Regulierungswahn in Deutschland, der sich sehr hemmend auf erforderliche Innovationen auswirkt.
Wirkt sich die Wirtschaftskrise auch schon auf die Nachfrage nach Urlaub aus? Spürt man das?
Ich bin als Touristiker ein unverbesserlicher Optimist und das nicht ohne Grund. Urlaub ist in der westlichen Welt ein so stark verankertes Gut, dass man darauf nicht verzichtet. Gespart wird – bis jetzt – nicht am Urlaub, sondern wenn überhaupt, dann im Urlaub. Wir sollten uns aber darauf einstellen, dass eine länger andauernde Wirtschaftskrise in Deutschland über kurz oder lang auch im Tourismus seinen Niederschlag findet.
Dennoch bleiben Sie „unerschütterlich optimistisch“ – warum?
Ich bin sehr zuversichtlich, dass der Schwarzwald gerade in unsicheren Zeiten ein Gewinner im Tourismussektor sein kann. Dafür aber müssen wir unsere Hausaufgaben machen. Ein Beispiel: Wir sind die größte Destination Deutschlands, die für Gäste einen kostenlosen ÖPNV zur Verfügung stellt. In dieser Dimension gibt es das in ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz nicht. Wir arbeiten daran, dieses Konus-Angebot zu digitalisieren und das deutschlandweit größte kostenlose Ökosystem für nachhaltige Mobilität auszubauen. Der Schwarzwald belegt dadurch seine außergewöhnliche Stellung in Sachen Nachhaltigkeit.
Unser Schwarzwald ist zudem eine bärenstarke und international hervorragend positionierte Marke, hat aber in den Nebensaisons – also im Frühling und Herbst – noch großes Potential. Seit einigen Jahren haben wir daher unsere Marketinganstrengungen auf diese Zeiträume verschoben und gute Erfahrungen damit gemacht.
Ein weiterer Ansatz läuft unter dem Schlagwort „Coolcation“ – die Sommerfrische reloaded. Immer mehr Menschen aus Spanien oder Italien genießen ganz bewusst unseren Sommer: die Höhenlagen, den Wald, das Wasser, die Frische, die Weite. Auch hier fahren wir Kampagnen in Spanien und Großbritannien, die nämlich auch nicht mehr nur in südeuropäischen Ländern und mit Sommertemperaturen um 40 Grad urlauben wollen.
Aber wenn Urlaub vor der Haustür deutlich teurer ist als eine Flugreise – dann wird es vermutlich schwer, preissensible Kunden zu gewinnen, oder?
Absolut, aber ich denke, der Urlaub im Schwarzwald darf niemals über den Preis verkauft werden. Wenn wir uns erstmal in den Wühltisch der Schnäppchen einordnen, haben wir schon verloren. Es wird immer und überall Angebote geben, die billiger sind als der Schwarzwald. Wir müssen mit Qualität und Dienstleistung überzeugen, daneben haben wir auch noch eine Reihe von weiteren Faktoren, die für einen Schwarzwald-Urlaub sprechen.
Seit 2019 sind in Baden-Württemberg 5.000 gastronomische Betriebe verschwunden – ein Siebtel der gesamten Branche. Ist das ein gesunder Strukturwandel oder eine Entwicklung, die Ihnen Sorgen macht?
Das ist alles andere als ein gesunder Strukturwandel, zumal die Ursachen ja bekannt sind: Kostendruck, Energiepreise, Personalmangel, Nachfolgeproblematik, mangelnde Wertschätzung für Dienstleistung und die Streichung der Mehrwertsteuer-Regelung. Diese Entwicklung macht uns Sorgen, weil der Schwarzwald die Genießerecke Deutschlands ist und bleiben soll. Aber auch hier bin ich ein unverbesserlicher Optimist. Es haben auch eine Reihe neuer Betriebe eröffnet und ich höre, dass die Personalproblematik nicht mehr so akut ist wie noch vor zwei Jahren.
Braucht es andere gesetzliche Rahmenbedingungen? Ich könnte mir vorstellen, dass Saisonbetriebe ein liberaleres Arbeitszeitgesetz befürworten und eher keine Anhebung des Mindestlohns.
Es braucht vor allem einen massiven Abbau der Regulatorien, Verordnungen, Gesetze und Regulierungen. Es ist unfassbar, mit welchen Auflagen und Anforderungen tagtäglich in der Tourismus-Branche gekämpft werden muss. Das macht mich wirklich sprachlos. Dadurch werden Innovationen und Investitionen verhindert. Ich möchte Hoffnungsträger im Tourismus sehen und nicht ständig Bedenkenträger, die mit einer neuen Verordnung um die Ecke kommen und es Unternehmern schwermachen. Diese 100-prozentige Vollkaskomentalität kenne ich nur von Deutschland.
Auf einer Skala von 1 bis 10 würden Sie die politische Unterstützung der Touristiker durch das Land wie bewerten?
Tourismus ist in Deutschland eine freiwillige Aufgabe – im Gegensatz zu Ländern wie Österreich, der Schweiz und Italien – und das spiegelt sich nicht nur in der Unterstützung, sondern auf Bundesebene auch in der Wertschätzung wieder. Wir in Baden-Württemberg dürfen gar nicht mal zu sehr jammern, denn wir werden als Destination Management Organisation von unserem Ministerium gut unterstützt. Gleichzeitig aber verlangt man von uns nun eine neue Rolle: Neben dem Marketing ist auch das Management der Destination erforderlich. Dabei geht es um Marktforschung, Wissenstransfer, Content Management, Innovationsförderung, Produktentwicklung, Datenmanagement, strategische Fortentwicklung und Beratung. Und für all das braucht es auch in Zukunft die Unterstützung der öffentlichen Hand.
Wird auch außerhalb von Rust genug in die touristische Infrastruktur investiert, um die Attraktivität der Region nicht nur zu erhalten, sondern sogar auszubauen?
Es muss auch unabhängig vom Europa-Park Investitionen in touristische Strukturen geben – aber wir haben zweifelsohne inzwischen auch touristische Leistungsträger wie etwa Hotels, Pensionen oder auch Vermieter von Ferienwohnungen, die kein marktgerechtes Angebot mehr haben, weil Investitionen nicht getätigt wurden oder werden. Aber auch dem versuchen wir entgegenzuwirken.
Mit welchen neuen Ideen wollen Sie den Schwarzwald als Reiseziel 2025 noch attraktiver machen?
Dafür setzen wir zunächst auf unsere Schwarzwald Marie, die als ikonische Figur des Schwarzwalds weit über die Grenzen unserer Ferienregion hinaus bekannt ist. Im Februar werden wir diese Kultfigur als KI-generierte Markenbotschafterin in Berlin offiziell vorstellen. Sie spricht 26 Sprachen – auch badisch-alemannisch –, wirbt in den sozialen Netzwerken für den Schwarzwald, gibt 24/7 auf unserer Website Auskunft als Chatbot und ist als App der ideale Urlaubsbegleiter unserer Gäste. Zudem bauen wir ein Kompetenzteam Weintourismus Baden auf, um den Strukturwandel der Weinbranche aktiv zu begleiten und neue wirtschaftliche Perspektiven zu eröffnen. Touristische Angebote generieren Zusatzerlöse für die Betriebe und sichern so langfristig ihre wirtschaftliche Stabilität.
Die STG vergibt alle zwei Jahre einen Kuckuck als Genussaward – was hat es damit auf sich?
Es geht darum, großartige Gastgeber und tolle Adressen wertzuschätzen und bekannter zu machen. Keine Fachjury, sondern die Gäste schlagen Betriebe und Menschen vor und geben diesen via Internet-Abstimmung ihre Stimme. Jeder und jede kann bei diesem Award mitmachen und es gelingt uns mit dem Kuckuck, dass wir Genuss zum Thema machen. Es wird wiederum sechs Kategorien geben, darunter auch ein paar neue und die neue Website zum Award ist pünktlich zur CMT auch online.
Und wie gehen Sie mit dem Spannungsfeld zwischen Tourismus und Nachhaltigkeit im Schwarzwald um?
Der Schwarzwald ist bei einer Umfrage zu den nachhaltigsten Destinationen unter 172 Reiseregionen Deutschlands ungestützt auf Platz zwei gelandet. Es gibt unzählige Möglichkeiten, um im Schwarzwald nachhaltig zu übernachten – von zertifizierten Hotels, über Dorfurlaub, Eco-Campingplätzen bis hin zu One-Night-Camps. Wer nachhaltig essen und einkaufen will, freut sich über unsere Naturparkwirte und die Naturparkmärkte. Durch die Konus-Gästekarte und kostenlosen ÖPNV für Urlauber haben wir in den vergangenen Jahren einige Millionen Tonnen CO2 eingespart und es gibt viele, viele weitere Aktionen und Projekte.
Ich bin der Auffassung, dass gerade in diesem Bereich noch viel Potenzial liegt, wir uns aber nicht ausschließlich darauf verkrampfen müssen. Nachhaltigkeit darf nicht als Selbstzweck gesehen werden – sie muss sich mit wirtschaftlichem Erfolg und sozialem Nutzen verbinden. Ulf Tietge