Die Familie Honer, Inhaber der Hirsch-Brauerei, setzt auf enge Beziehungen mit Kunden und Lieferanten sowie regionale Rohstoffe. Das Traditionsunternehmen feiert in diesem Jahr sein 240-jähriges Bestehen.

Wurmlingen. „Für den Umgang mit Hefe benötigt man Gespür“, erklärt Rainer Honer beim Rundgang durch die Hirsch-Brauerei in Wurmlingen, deren Geschäftsführer der 84-Jährige seit 62 Jahren ist. Aus seinem Studium im bayerischen Weihenstephan bringt Honer 1960 den Grad eines Diplombraumeisters mit – und seine Frau Waldraud. Sie verfügt über genau jenes Gespür für den Hefepilz, der für die alkoholische Gärung feiner Biere benötigt wird, und leitet jahrelang das mikrobiologische Labor des Traditionsbetriebs.

Dass in Wurmlingen in diesem Jahr 240-riges Bestehen gefeiert werden kann, zeigt, dass über die Jahrhunderte viele Menschen ein Händchen für Bier und Unternehmertum hatten. Die Brauerei wurde 1782 von Ludwig Aeble gegründet, um den Bierbedarf der Wirtschaft „Zum Hirschen“ zu decken. Das Gebälk des Originalgebäudes ist zum Teil noch in der heute modern eingerichteten Gaststätte zu sehen. Mit der Übernahme der Brauerei durch Josef Zepf im Jahr 1861 kam die Hirsch-Brauerei in den Besitz der Familienlinie Zepf-Honer. Sein Sohn Heinrich begann 1865 mit der Belieferung auch auswärtiger Wirtshäuser. Im Jahr 1897 heiratet der Braumeister Heinrich Honer in die Familie Zepf ein und übernimmt die Brauerei von seinem Schwiegervater. Als zur Jahrhundertwende August Honer, Rainers Vater, geboren wird, gibt es in Tuttlingen noch 35 Brauereien und fünf in Wurmlingen. Behauptet hat sich über die Jahrzehnte nur die Hirsch Brauerei.
Dass Rainer Honer mit Anfang 20, direkt nach Studienende, den Betrieb übernehmen muss, ist einer Erkrankung des Vaters geschuldet. In dieser schweren Zeit muss der junge Brauer viele wichtige Entscheidungen treffen, von denen er heute bescheiden sagt: „Da habe ich auch viel Glück gehabt“. Erste Aufgabe: Honer überwacht die Fertigstellung des Brunnens direkt unter der neuen Flaschenabfüllanlage. Denn wenige Tage später wird das Wasserrecht geändert. Bis heute hat die Brauerei ein unwiderrufliches Entnahmerecht für die wichtige Ressource, mit der natürlich dennoch höchst bedacht umgegangen wird. Die Quelle mit kristallklarem Wasser wurde übrigens von einem Mönch mit seiner Wünschelrute entdeckt.
Meilensteine
Nur Glück sei das alles sicher nicht gewesen, korrigiert Geschäftsführer Hubert Hepfer, der zwar kein Familienmitglied, aber auch bereits seit 25 Jahren Teil des Betriebs ist. „Die Familie Honer hat über die Jahre immer wieder unternehmerischen Weitblick bewiesen.“ In den 1930er Jahren gab es Bier nur vom Fass. Supermärkte mit vollen Getränkeregalen waren Zukunftsmusik. August Honer, Rainers Vater, erkannte, dass die Flaschenabfüllung und direkte Lieferung an Haushalte eine Marktlücke war. Damit nahm der künftig als „Flaschenbierkönig von Wurmlingen“ bekannte Brauer den Trend zum Flaschenbier 20 Jahre vorweg. ainer Honer traf ähnlich kluge Entscheidungen. Darunter den Aufbau einer großen Lkw-Flotte, um den direkten Vertrieb zu stärken. Als eine der ersten deutschen Brauereien setzt die Hirsch-Brauerei ab 1998 einen Roboterarm in der Fassabfüllung ein.
Um sich bewusst von nationalen Großmarken abzugrenzen, werden sowohl der Goldstoff, ein helles Vollbier, als auch die naturtrüben Biere „Zwickl“ und „Zwuckl“ in einer markanten Bügelflasche produziert. Dazu finden sich im stetig wachsenden Sortiment das Hirsch Pils und Gold, Helles, diverse Weißbiere, Bock und Radler sowie neben alkoholfreien Varianten auch Fruchtsaftschorlen unter dem Namen „Kitz“ – eine Anspielung auf den Hirsch-Nachwuchs. Eine ganze Galerie von Auszeichnungen ist Indiz dafür, dass die Honers nicht nur den Trend der Getränkediversifizierung gut bewältigen, sondern auch bei der Wahl ihrer Braumeister ein gutes Händchen beweisen.
Regionalität und Kreislaufwirtschaft
Als erste Brauerei Baden-Württembergs bezieht das Unternehmen seine Braugerste ab 1991 aus kontrolliert biologischem Anbau, auch weil in der Region Gewässerschutz von großer Bedeutung ist. „Das war ein langer Weg“, sagt Honer, denn der Anbau von Braugerste sei eine Wissenschaft für sich. Damit sich der Mehraufwand für die Landwirte lohnt und sie Planungssicherheit haben, erhalten sie für die Braugerste aus den abgeschlossenen Anbauverträgen einen höheren Betrag als für konventionell angebautes Getreide. Regionale Produkte werden erst seit einigen Jahren wieder verstärkt von Kunden nachgefragt, auch hier waren Honers ihrer Zeit voraus. Ein großer Teil der Braugerste wird von neun Landwirten in der direkten Nachbarschaft, der Rest aus Baden-Württemberg bezogen und in regionalen Mälzereien weiterverarbeitet. Lediglich der Hopfen hat eine etwas längere Anfahrt aus dem 80 Kilometer entfernten Tettnang.
Bierbrauen habe durch den Craftbeer-Boom einen erheblichen Imagegewinn erfahren. „Bier ist jetzt ein hippes Getränk“, sagt Hepfer. Aktuell beschäftigt die Hirsch-Brauerei rund hundert Mitarbeiter und produziert pro Jahr im Schnitt 110.000 Hektoliter Bier, in diesem Jahr vermutlich deutlich mehr. Die Coronazeit war schwer, aber nun sei die Nachfrage bestens: Man merke, dass die Leute wieder gesellig sein wollen und Feste feiern. Gleichzeitig blicke er wegen der steigenden Energie- und Kraftstoffpreise mit Sorgen in den Herbst, so Hepfer. Zudem ziehen die Getreidepreise an und die Lieferkettenproblematik zeigt sich auch in Wurmlingen: Angefangen von knappen Flaschen, Gläsern, Kisten bis hin zu den Bierdeckeln. Der Betrieb nutzt eine CO2-Rückgewinnungsanlage, wodurch verhindert wird, dass jährlich etwa 230 Tonnen Gärungskohlensäure in die Atmosphäre entlassen werden. Die abgefangene Kohlensäure wird für die Limonaden und die Abfüllung der Getränke verwendet. Kreislaufwirtschaft im besten Sinne. Die Biere und Fruchtschorlen gibt es ausschließlich in Mehrweggebinden, die sich mehr als 50 Mal wieder befüllen lassen. Oder im Fass. In diesem Jahr soll zum ersten Mal eine Klimabilanz erstellt werden, Ziel ist mittelfristige Klimaneutralität. Einfach wird das nicht. Zwar bezieht die Brauerei Ökostrom und betreibt zudem eine hauseigene Photovoltaikanlage. Aber Bierbrauen ist energieintensiv; die Kältetechnik benötigt sehr viel Strom, das Sieden verlangt hohe Temperaturen. Aktuell ist ein neues Kesselhaus geplant – mit Gas. „Ideal ist das noch nicht. Wir hoffen auf Fortschritte bei der Wasserstofftechnologie“, sagt Hepfer.

Zwischen modern und traditionell
Zum Brauereigelände gehört auch die 2006 eröffnete „Hirsch-Bierwelt“, die ein Museum zur Geschichte des Bieres mit einer kleinen Kreativbrauerei verbindet, in der Gästegruppen eigenes Bier brauen können. Einen hauseigenen Kletterseilgarten gibt es zudem. Alle zwei Jahre veranstaltet die Brauerei das „Brauereihoffest“, zu dem mehrere tausend Besucher strömen. Dabei werden üblicherweise auch neue Produkte oder Erweiterungen der Brauerei vorgestellt. Beim Marketing geht die Hirsch-Brauerei aber auch mal ganz moderne Wege: So hat in der Unterhaltungsshow „Bauer sucht Frau“ einer der Teilnehmer mal ein T-Shirt vom Hirschen getragen.
Aber viel lieber setzen Hepfer und Honer auf das Konzept, das die Brauerei schon durch 240 Jahre gebracht hat: Regionalität, der enge Kontakt mit den Kunden, anderen Brauern, Landwirten und anderweitigen Zulieferern – und ein Brauereiteam, das auch in herausfordernden Zeiten eng zusammensteht.
db
Bilder:
Rechts das Braugebäude, links die Brauerei-Gaststätte (oben)
Das Geschäftsführer-Trio von links: Hubert Hepfer, Rainer Honer und Gabi Lemke, geborene Honer. (Mitte)