Wasserstoff ist der Hoffnungsträger für eine nachhaltige Zukunft – doch der Südwesten geht im bundesdeutschen Wasserstoff-Kernnetz quasi leer aus. Warum das so ist, welche großen Chancen die Region dennoch hat und wie dezentrale Projekte den Anschluss sichern wollen.

Wasserstoff ist ein zentraler Baustein der Energiewende. Er ist vielfältig einsetzbar und kann klimafreundlich hergestellt werden. Mit einem 9.000 Kilometer langen und 20 Milliarden Euro teuren Wasserstoff-Kernnetz soll in Deutschland bis 2032 der Weg in eine nachhaltige Energiezukunft geebnet werden. Schon im Laufe dieses Jahres werden die ersten Anschlüsse deutschlandweit verfügbar sein. Doch eine Region bleibt vorerst fast komplett außen vor: der Südwesten. Dabei sind gerade hier bei uns energieintensive Branchen wie Stahl-, Chemie-, Zement- und Glasindustrie beheimatet, die schon bald dringend auf alternative Energieträger wie Wasserstoff angewiesen sein werden.
„Dass das südwestliche Baden-Württemberg im Wasserstoff-Kernnetz nicht berücksichtigt wird, ist eine Fehlentscheidung der Bundesregierung“, so die deutlichen Worte von Birgit Hakenjos, Präsidentin der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg, unmittelbar nach der Entscheidung der Bundesnetzagentur im vergangenen Oktober. Ihre Kritik spiegelt die Reaktionen in der gesamten Region wider: Enttäuschung und Unverständnis.
Ein Blick zurück zeigt, dass der Südwesten bei den vorangegangenen Bedarfsabfragen vielleicht nicht laut und deutlich genug auf sich aufmerksam gemacht hat – ein Fehler, den andere Regionen offenbar nicht begangen haben. Doch spätestens bei der Erarbeitung des Wasserstoff-Kernnetzes hätte hinterfragt werden müssen, warum der Südwesten Deutschlands auf der Karte als großer weißer Fleck hervorsticht. Wurde es aber nicht, sagt Fabian Burggraf, Geschäftsführer von Klimapartner Südbaden und Koordinator der Trinationalen Wasserstoffinitiative 3H2: „Selbst in Stuttgart ist man sich nicht bewusst, dass wir im Südwesten bedeutende Stahlproduktion, großtechnische Chemieindustrie und vieles mehr haben – wir sind eben nicht nur Wein, Black Forest und Kirschtorte.“
Wasserstoffforum der IHK
Die IHK Hochrhein-Bodensee lädt am Donnerstag, 8. Mai, interessierte Unternehmen und regionale Akteure zum 5. IHK-Wasserstoff-Forum ins Konzil in Konstanz ein. Spannende Impulsvorträge und der Blick in die Region ermöglichen einen intensiven Austausch.
Trinationale Wasserstoff-Initiative
Genau um diese Stärken sichtbar zu machen, entstand 2022 die trinationale Wasserstoff-Initiative. Dieses grenzüberschreitende deutsch-französisch-schweizerische Netzwerk vereint mittlerweile über 80 Partner – Industrieunternehmen, Kammern, Landkreise und Kommunen – und verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: Den Aufbau einer zukunftsfähigen Wasserstoffinfrastruktur in ganz Südbaden. Die Gebietskulisse auf deutscher Seite reicht von Rastatt über Freiburg und den Hochrhein bis an den Bodensee und in die Region Schwarzwald-Baar-Heuberg.
Mit der „Regionalen Wasserstoffstrategie SüdwestBW“ hat das Netzwerk jüngst einen konkreten Fahrplan entwickelt, um dem weißen Fleck auf der Landkarte den Kampf anzusagen. Und das Strategiepapier lässt keinen Zweifel: Auch wenn die Anbindung an das bundesdeutsche Kernnetz erst einmal in weite Ferne gerückt ist – ein weiterer Ausbau ist erst für 2040 geplant -, bleibt die Region nicht untätig und bündelt ihre Stärken. Dezentrale Versorgungkonzepte, sogenannte Wasserstoff-Hubs, rücken jetzt in den Fokus, um den ab 2030 erwarteten Bedarf für Südbaden von rund 500.000 Tonnen Wasserstoff zu decken.
15 Standorte für regionale Wasserstofferzeugung wurden in den drei Kammerbezirken Südlicher Oberrhein, Schwarzwald-Baar-Heuberg und Hochrhein-Bodensee und deren Randbezirken identifiziert – angefangen vom Norden mit Gernsbach im Landkreis Rastatt bis runter in den Süden mit Friedrichshafen am Bodensee. Dabei flossen Faktoren wie Standortlage, infrastrukturelle Anbindung, etwa an Autobahnen, und lokaler Bedarf in die Analyse ein. „Bis die Standorte konkret angegangen werden können, müssen wir jetzt erst alle Akteure an einen Tisch bekommen, von Unternehmen über Kommunen bis hin zu Energiedienstleistern“, sagt Laura Csulits, Referentin für Raumentwicklung, Mobilität und Infrastruktur bei der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Auch die jeweiligen Flächenbedarfe und -verfügbarkeiten müssten zügig geprüft werden. Csulits fordert von der Landesregierung mehr Flexibilität, insbesondere durch verkürzte Fristen und parallele Verfahrensschritte bei der Planung und dem Bau von Elektrolyseuren und Hubs.
Eine zentrale Voraussetzung für den Wasserstoffhochlauf ist ausreichend erneuerbare Energie, heißt es in der Regionalen Wasserstoffstrategie SüdwestBW. „Ohne den Ausbau von Wind- und Solarenergie wird das gesamte Vorhaben nicht funktionieren“, mahnt Fabian Burggraf von Klimapartner Südbaden. Der Betrieb der Elektrolyseure hänge direkt von der Verfügbarkeit regenerativer Stromquellen ab – ein Punkt, den die Region und vor allem die Landesregierung nicht aus den Augen verlieren dürfe .

Investor aus der Schweiz
Wie dezentrale Wasserstoffversorgung Realität werden kann, zeigt der Schweizer Investor Infener in Villingen-Schwenningen. Dort soll bereits ab 2026 ein Wasserstoff-Hub mit einer Elektrolysekapazität von bis zu 20 Megawatt jährlich etwa 2.000 Tonnen grünen Wasserstoff produzieren. Mit 45 Millionen Euro Investitionsvolumen setzt Infener auf die Versorgung von regionalen Logistik-, Verkehrs- und Industrieunternehmen. Potentielle Abnehmer vor Ort hat der Schweizer schon gefunden: Ein Logistiker plant beispielsweise, seine Hydrogen-Truck- und -Busflotten damit zu betreiben.
Für Infener-CEO Joel Vogl ist Deutschland ein strategisch wichtiger Markt: „Deutschland hat nicht nur einen hohen Energiebedarf, sondern auch einen enorm hohen Bedarf an Energiespeichern für ein flexibleres und dekarbonisiertes Energiesystem.“ Ambitionierte Klimaziele und ein starkes Netz aus Partnern und Förderprogrammen seien weitere Gründe, warum er in Deutschland investiert. „Zudem ist die regionale Bereitschaft, innovative Projekte wie unsere Hydrogen-
Hubs zu unterstützen, enorm hoch.“
Auch in Gengenbach steht Infener mit einem 20-Megawatt-Hub in den Startlöchern. Einen konkreten Zeitplan gibt es dort allerdings noch nicht, da sich das Gewerbegebiet, wo die Anlage entstehen soll, noch in der Konzeptionsphase befindet.
Wasserstoff statt Erdgas
Wasserstoff wird ab 2032 in bestehenden Erdgasleitungen transportiert, die nahezu in allen Kommunen Deutschlands verlegt sind. Weil aber Wasserstoff andere physikalische und chemische Eigenschaften als Erdgas aufweist, können nur 56 Prozent der bestehenden Leitungen genutzt werden, 44 Prozent müssen laut Bundesnetzagentur neu gebaut werden. Die Investitionskosten hierfür werden auf rund neun Milliarden Euro geschätzt. Auch nur schätzen kann man derzeit den Preis für grünen Wasserstoff, den Abnehmer ab 2032 zahlen müssen. Voraussichtlich werden dafür zwischen vier und acht Euro pro Kilo aufgerufen werden. Derzeit liegt der Kilopreis für grünen Wasserstoff laut Preisindex Hydex bei rund zwölf Euro.
Albbruck: Wasserstoff aus Wasserkraft
Ein weiteres Vorzeigeobjekt für regionale Wasserstofferzeugung entsteht in Albbruck am Hochrhein. Dort will ab Ende 2027 ein Konsortium von RWE, Badenova, Evonik und Bosch jährlich rund 8.000 Tonnen Wasserstoff in direkter Nähe eines bestehenden Wasserkraftwerks erzeugen. Der Diamantierspezialist August Weckermann in Eisenbach wiederum zeigt, wie Unternehmen eigenständig die Energiewende umsetzen können: Ab Mitte dieses Jahres wird sich das Unternehmen mit einer eigenen Wasserstoff-Elektrolyse und selbst produziertem Strom nahezu autark versorgen.
Der Wasserstoffhochlauf in der Region steht noch am Anfang. Doch die ersten Erfolge zeigen, dass sich gemeinsamer und unermüdlicher Einsatz wie der der Trinationalen Wasserstoffinitiative 3H2 lohnen. Zwei kleine grüne Striche auf der Karte des deutschen Wasserstoff-Kernnetzes sind der sichtbare Beweis. Einer dieser Striche markiert das grenzüberschreitende Projekt Rhyn-Interco, an dem Badenova, der französische Netzbetreiber GRT-Gaz und der Fernleitungsnetzbetreiber Terranets BW beteiligt sind.
Über eine neue Pipeline im Raum Bad Krozingen wird Wasserstoff aus Frankreich nach Deutschland importiert. Ab Ende 2029 sollen in Freiburg die Uniklinik und der Celluloseacetat-Hersteller Cerdia, ab 2035 auch die Badischen Stahlwerke und Koehler Paper in Kehl vom regenerativen Wasserstoff profitieren.
In Freiburg wird dafür eine zehn Kilometer lange Erdgasleitung auf Wasserstoff umgerüstet. Für den Anschluss Kehls an die Leitungsinfrastruktur ist der Bau einer rund 15 Kilometer langen Neubauleitung geplant, dessen Trassenplanung bereits läuft.
Warten auf Nordsee-Wasserstoff
Der zweite grüne Strich, und damit das zweite wichtige Projekt, trägt den Namen H2@Hochrhein. Dieses Vorhaben sieht eine Wasserstoff-Pipeline von Grenzach-Wyhlen bis Waldshut-Tiengen vor und richtet sich vor allem an die energieintensive Industrie. Geplant ist, die Pipeline bis 2030 in Betrieb zu nehmen. Ein zentraler Bestandteil des Projekts ist die oben genannte großindustrielle Elektrolyse-Anlage in Albbruck. Außerdem ist eine Anbindung an das Schweizer Leitungsnetz in Zusammenarbeit mit den Industriellen Werken Basel (IWB) vorgesehen.
Diese beiden Projekte unterstreichen, dass eine nachhaltige Wasserstoffversorgung im Südwesten derzeit nur durch grenzüberschreitende Kooperationen sichergestellt werden kann. Fabian Burggraf, Geschäftsführer der Klimapartner Südbaden, erklärt: „Bevor wir Wasserstoff aus deutscher Produktion aus den Windparks in der Nordsee bekommen und damit an das deutsche Kernnetz angeschlossen werden, wird es noch dauern. Bis dahin werden wir über Spanien, Frankreich, Italien und die Schweiz beliefert und so an das europäische Wasserstoffnetz angeschlossen, den European Hydrogen Backbone.“ Daniela Santo
Bilder: Illustration: Hadi Teherani Architects; Infener; Grafik: Bundesnetzagentur
