Europas große Automobilkrise ist bei den Zulieferern im Südwesten angekommen. Viele reagieren mit Kurzarbeit auf deutlich spürbare Auftragsrückgänge. Gleichzeitig aber entwickeln sie (zusätzlich zur Forderung nach weniger Bürokratie und geringeren Energiekosten) neue Ideen für die Zukunft …

Leere Auftragsbücher, Kurzarbeit, Stellenabbau: Die Verschiebung wichtiger Teile der Automobilindustrie Richtung Asien führt in Deutschland zu Produktionsverlusten und zuletzt auch zu schrumpfenden Belegschaften. Hersteller und große Zulieferer kündigten 2024 fast im Gleichklang an, Personal in jeweils fünfstelliger Größenordnung zu streichen. „Fast sechs von zehn Firmen planen in den kommenden fünf Jahren eine moderate Reduktion“ ihrer Arbeitnehmerschaft, stellte das Beratungsunternehmen Horváth im Sommer 2024 fest. Bis 2035 könnte die deutsche Automobilbranche bis zu 190.000 Stellen verlieren, heißt es in einer aktuellen Studie des Verbands der Automobilindustrie (VDA). „Ihre Rolle als industrielle Wachstumslokomotive“ werde die Autoindustrie „kaum mehr wahrnehmen können“, fürchtet das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) mit Blick auf das deutsche Geschäftsmodell mit Fokus auf Verbrennermotoren und Premiumsegment, auf günstigen Energiepreisen und China als wichtigem Absatzmarkt.
Wie dünn wird die Luft für die deutsche Schlüsselindustrie? Wie sieht es im Südwesten aus? „Um es ganz klar zu sagen: Es geht jetzt um alles!“, sagt Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut. „Es geht um den Wirtschaftsstandort Baden-Württemberg, um Wertschöpfung, um Reformfähigkeit und um unseren Wohlstand.“
Im Fokus stehen neben vielen kleinen und mittelständisch geprägten Zulieferbetrieben vor allen Dingen Unternehmen, „die dem erweiterten Wertschöpfungskern der Automobil-
industrie zuzuordnen sind“, ergänzt Professor Benedikt Maier, stellvertretender Direktor beim in Geislingen/Steige ansässigen Institut für Automobilwirtschaft (IfA), das die Entwicklung der Branche derzeit so sorgfältig wie sorgenvoll verfolgt.
Allein im Schwarzwald: 500 Betriebe
Dazu muss man wissen: Rund jeder dritte Beschäftigte in der Automobilindustrie arbeitet in Deutschland bei einem Zulieferer und in der Region Schwarzwald Baar Heuberg gibt es ein regelrechtes Cluster. Allein hier geht es um einen Umsatz von rund
15 Milliarden Euro, um die Zukunft von 62.000 Beschäftigten sowie die Aussichten für (noch) 493 Betriebe.

Einer dieser vielen Zulieferer im Schwarzwald ist die Schramberger Firmengruppe Kern-Liebers, weltweiter Anbieter von komplexen Bauteilen mit Federn und Stanzteilen. Die Krise habe man in Deutschland „bisher gut verkraftet“, erklärt CEO Erek Speckert. „Im Moment liegen die Auftragseingänge im niedrigen einstelligen Prozentbereich unter Vorjahr.“ Grund dafür: Man verfüge über ein sehr diversifiziertes Produktportfolio. So beliefert das Familienunternehmen (weltweit gut 6.500 Mitarbeiter, Jahresumsatz über 700 Millionen Euro) neben der Automobil- auch die Textil- und Konsumgüterindustrie. Die Abhängigkeit vom Verbrennermotor ist damit limitiert. „Wenn nötig, steuern wir an unseren deutschen Standorten individuell dagegen – in der Regel mit Kurzarbeit“, so Speckert. Zudem verschlankt sich Kern-Liebers, hat im November den Hardter Standort der Tochtergesellschaft Bruker-Spaleck verkauft.

Seit dem Sommer eskaliert die Lage
Deutlich stärker betroffen ist die Stockacher ETO-Gruppe, die für das Stammgeschäft Anfang Dezember Kurzarbeit anmelden musste. „Innerhalb weniger Tage haben Kunden zur Jahresmitte 2024 die bis Ende des Jahres eingeteilten Aufträge im zweistelligen Millionenbereich reduziert“, erklärt Konzernchef Michael Schwabe.
Anfang des Jahres hat ETO die Kurzarbeit auf alle deutschen Standorte ausgeweitet – mit dem Ziel, die Kapazitäten flexibler an die schwankende Nachfrage anzupassen, Finanzmittel zu schonen und Arbeitsplätze zu sichern.
Angesichts der umfassenden Transformation in der Automobilindustrie setzt auch ETO auf neue Produkte und Dienstleistungen, stellt sich auf für ganz neue Märkte. „Die Elektromobilität haben wir seit Jahren fest im Blick und wachsen auch in diesem Bereich“, so Schwabe. Erste Großaufträge im Bereich des Thermomanagements stehen kurz vor der Serie. „Für den südostasiatischen Markt sind wir mit zwei Werken in China gut aufgestellt – erst letztes Jahr haben wir unser Werk in Lu’an eröffnet.“ So erwarte man für das Jahr 2025 in Verbindung mit dem geplanten Anlauf neuer Produkte eine Stabilisierung der Umsätze.

Gesucht werden neue Märkte
Auftragsrückgänge zwischen 15 und 20 Prozent führten auch bei der Firma Oskar Ketterer Druckguss, Hersteller von Aluminium- und Zinkdruckgießteilen in Furtwangen, temporär zu Kurzarbeit. Das Zeitarbeitspersonal wurde um fast ein Drittel reduziert, aber Sparen allein ist kein Konzept. Wie also reagiert das Unternehmen strategisch? Vertriebsleiter Holger Knobloch sagt: „Wir diversifizieren in andere Branchen, erschließen neue Abnehmermärkte in der EU und den USA, und wir entwickeln innovative Produkte. Zum Beispiel ersetzen wir Kupferspulen in Elektromotoren durch gegossene Spulen aus Aluminium.“ Mit den erzielten Gewichts- und Preisvorteilen hatte Ketterer Druckguss zuletzt einen zweiten Platz beim europäischen Druckgusswettbewerb belegt.
Gleichzeitig hofft man auf die Politik und einen neuen wirtschaftspolitischen Kurs mit niedrigeren Energiekosten und Bürokratieabbau. „Wir als KMU haben über 25 umfangreiche Berichtspflichten im Jahr zu erfüllen“, skizziert Knobloch die Belastung. Ein weiterer wunder Punkt: Planungssicherheit. Bereits zugesagte Förderprojekte aus dem Klima- und Transformationsfonds hatte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach Gelder zur Bewältigung der Corona-Krise nicht in den Klimafonds hätten verschoben werden dürfen, im November 2023 zu Fall gebracht. Schwierig für Unternehmen, die investieren und dafür verlässlich kalkulieren müssen.

Auch bei Hella wird es dunkler
Niedrige Kundenabrufe verzeichnet auch das Unternehmen Hella Innenleuchten-Systeme mit seinen Standorten Wembach (bei Lörrach) und Atzenbach im Wiesental. Dort werden Smart Lights für die europäische Automobilindustrie entwickelt und produziert. Dazu gehören türkis aufleuchtende Lichtleisten für eingehende Anrufe oder rot leuchtende Lichtleisten, die bei zu dichtem Auffahren oder bei Objekten im toten Winkel warnen. Der derzeitigen Schwäche des europäischen Automobilmarktes habe man sich nicht entziehen können, teilt der Mutterkonzern Forvia Hella in Lippstadt mit. Um die deutlich geringeren Abrufzahlen abzufedern, hat sich auch hier die Geschäftsleitung für vorübergehende Kurzarbeit und reduzierte Leiharbeit entschieden.
Hilfestellung von der Kammer
In Kooperation unter anderem mit der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg hat das Institut für Automobilwirtschaft (IfA) 2024 die Situation der hiesigen Automotive-Branche intensiv beleuchtet. Im Ergebnis empfahl das Autorenteam um Benedikt Maier einen engen Schulterschluss von Unternehmen, Politik und Verbänden. „Dies gilt natürlich auch weiterhin“, ist Maier überzeugt.
Strategisch wichtig sei besonders für die Unternehmer, ihre Geschäftsmodelle auf das postfossile Zeitalter auszurichten und zugleich die Beschäftigung abzusichern (Transformationsmanagement). Zudem könnten Automobilzulieferer im Technologiewettlauf nur Schritt halten, wenn sie Informationen, Daten und Wissen nicht mehr abschotten, sondern teilen (Offenheit für Kooperationen). Ein weiterer Punkt zielt darauf ab, Kompetenzen zu sichern und, wo nötig, anzupassen. Dies sei notwendig, um das Know-how in den Betrieben zu halten, auch unter dem Druck des Fachkräftemangels (Mitarbeiterqualifizierung).
Nicht zuletzt müssten die Firmenchefs, so das Institut, dem medialen Negativtrend – hervorgerufen unter anderem durch schlechte Wirtschaftsnachrichten – eine Kultur entgegensetzen, die Anpassungswillen, Neugierde und Gestaltungsraum fördert. Maier: „Damit sehen wir gute Chancen für die Aufrechterhaltung und Verbesserung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit des Automobil- und Technologiestandortes im Südwesten.“ Benedikt Brüne
Bilder: Illustration: adobe.com/GoodStudio; Kern-Liebers; ETO