
Spaichingen. Einkauf in der Buchhandlung. Der Kunde zahlt, dankt und als er sich zum Ausgang wendet, fällt ihm – Klack! – sein Gehstock zu Boden. Dass Lena Grimm und ihre Mitarbeiterin Ursula Schmid dem etwas älteren Bücherfreund zu Hilfe eilen, ist eine Selbstverständlichkeit. Unbewusst demonstrieren die beiden Buchhändlerinnen aber, was Lena Grimm als ihren Schlüssel zum Erfolg beschreibt: „Dass man sich kennt. Viel zwischenmenschliche Kontakte, viel Netzwerk.“ Offensichtlich hat der Kunde, den sie mit Namen anspricht, ihre Buchhandlung in Spaichingen schon öfter besucht – und sicher auch nicht zum letzten Mal.
Lena Grimm ist in der 13.000-Einwohner-Gemeinde aufgewachsen, machte hier ihr Abitur. Für die Ausbildung zur Buchhändlerin ging sie nach Stuttgart, zum Bachelor-Studium – Kultur & Wirtschaft – nach Mannheim. 2015, nach einem Praktikum beim Hamburger Verlag Hoffmann & Campe, entschloss sie sich für die Rückkehr in ihre Heimat und für die Selbstständigkeit. „Mit 1.000 Euro monatlich in einer Großstadt zu leben, das kam nicht in Frage“, erinnert sie sich. Auf eine solche Größenordnung wäre ein Volontariat im Verlagswesen hinausgelaufen.
Mit „Grimms lesen & genießen“ kam sie zunächst in einem Schreibwarenladen unter. Zwei Jahre später zog sie in den schnörkellosen, funktionalen Betonbau am Marktplatz – wegen der Lage ein Filetstück im Zentrum von Spaichingen. „Als ich davon hörte, dass dieser Laden – damals ein Kerzengeschäft – frei wird, habe ich sofort gesagt: ‚Den will ich haben.‘“
Sie wusste auch: Einfach die Pforten eines Buchladens zu öffnen und zu warten, dass die Leute kommen, das würde nicht funktionieren. „Mir war von Anfang an klar, dass ich ein Café dabeihaben wollte“, erinnert sich die 35-Jährige. So schuf sie einen Ort zum Verweilen, an dem man auch einmal ein Schwätzchen halten kann. Wenn das Wetter passt, sitzen ihre Gäste vor dem Schaufenster und genießen bei fair gehandeltem Kaffee oder Tee die Sonne. Das, so erzählt sie, musste sich erst durchsetzen, aber es kam Leben in die Ladenzeile im Spaichinger Zentrum.
Für Lena Grimm war dies erst der Anfang. Die Coronapandemie, in der das Geschäft trotz Kontaktbeschränkungen weiterlief, bescherte ihr Zeit, sich mit dem Thema Poesietherapie zu beschäftigen. „Das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt zu lesen, das kann durchaus etwas in einem auslösen“, erklärt sie den Grundgedanken. Grimm besuchte Seminare der Europäischen Akademie für bio-psycho-soziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung (EAG-FPI). Wertvoller Input, nicht nur für die Beratung lesehungriger Kunden. Die Ausbildung befähigte sie zudem, eine Schreibwerkstatt anzubieten – bei der VHS und bei sich im Laden. Selbst ein Buch zu schreiben, das mache man nicht nebenher. „Es braucht eine gute Idee, eine Struktur, Zeit für Recherche – mit einem Wort: Es ist Arbeit.“ Und es erfordert eine kreative Form der Selbstreflexion. „Ich fand es sehr spannend zu sehen, was Schreiben für die Persönlichkeitsentwicklung bedeuten kann.“ Sie sei aber keine Therapeutin, betont Lena Grimm ausdrücklich. „Das maße ich mir nicht an.“
Eher Frauen als Männer kommen zu ihr in die Schreibwerkstatt. „Unterschiedliche Altersklassen, mit und ohne Schreiberfahrung“, sagt sie. Viele möchten sich ausprobieren, Dinge für sich klären – oder sogar den Versuch starten, eine Autobiografie zu verfassen. Den meisten geht es darum, Geschichten zu erzählen. So, wie sie es aus ihrer Kindheit kennt. „Viele sagen ja, sie hätten keine Zeit fürs Lesen“, erklärt Lena Grimm. Dabei liegt es auf der Hand, wie wertvoll – gerade in der digitalen, schnellen Welt – das gemeinsame Lesen und Vorlesen sein kann: „Man kommt zur Ruhe, nimmt sich Zeit füreinander, teilt Geschichten miteinander.“
Dass Lesen grandiose Welten erschließen kann, hat sie früh gelernt. Die Klassenbibliothek war für sie eine große Schatzkiste: „Ich hatte die Freiheit, alles zu lesen, was ich will.“ Fünf Freunde von Enid Blyton standen ganz hoch im Kurs, ebenso J.K. Rowlings Harry Potter: „Da habe ich jedem neuen Buch entgegengefiebert.“ Heute sind es Autorinnen wie etwa Margaret Atwood, Alexa Hennig von Lange oder Jasmin Schreiber, auf deren Bücher sie sich freut.
In der verbleibenden knappen Zeit engagiert sie sich als zweite Vorsitzende im Gewerbe- und Handelsverein Spaichingen. Auch da nutzt sie Möglichkeiten, Kontakte zu knüpfen und zu vertiefen, etwa beim regelmäßigen Händlerfrühstück in Zusammenarbeit mit der IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Auch wenn der Verein mit seinen Aktionen natürlich den Konsum im Einzelhandel vor Ort stützt, betont Lena Grimm: „Es geht nicht nur darum. Die soziale Komponente liegt mir sehr am Herzen.“ In ihrem Buchladen – und darüber hinaus.
Benedikt Brüne