Table of Contents Table of Contents
Previous Page  11 / 78 Next Page
Information
Show Menu
Previous Page 11 / 78 Next Page
Page Background

3 | 2018

Wirtschaft im Südwesten

9

Paris plant die Zeit nach der Stilllegung des Atomkraftwerks

Fessenheim als Wegweiser

E

s war ein ganz anderes Bild, das sich An-

fang des Jahres beim Besuch des franzö-

sischen Staatsministers Sébastien Lecornu in

Fessenheim bot: Das Thema Atomkraft und

speziell der alte Meiler direkt an der Grenze

waren bislang ein Streitpunkt in der deutsch-

französischen Freundschaft. Die neue Admi-

nistration schlägt nun andere

Töne an, und Regierungspräsi-

dentin Bärbel Schäfer saß Seit

an Seit mit dem Pariser Ent-

sandten sowie den regionalen

Präfekten bei der ersten Sit-

zung des Lenkungsausschus-

ses, den Lecornu ins Leben

gerufen hat. Etwa 70 Verant-

wortliche aus Verwaltung und Wirtschaft von

beiden Seiten des Rheins nahmen daran teil,

darunter auch Pascale Mollet-Piffert von der

IHK Südlicher Oberrhein.

„Neu bei diesem Treffen war vor allem, dass

die französische Seite die Schließung des

Fessenheimer Atomkraftwerks nicht mehr

nur negativ sieht, sondern als Chance für die

Region begreift“, berichtet Jürgen Oser, Lei-

ter der Stabsstelle für grenzüberschreitende

Zusammenarbeit im Regierungspräsidium

Freiburg. Lecornu sprach von einer „exem-

plarischen Konversion“ der Region um Fes-

senheim, die die französische Regierung

angehen wolle. „Das Elsass wird von Frank-

reich als Modellregion betrachtet“, erläutert

Mollet-Piffert. Neu ist auch die Entschlos-

senheit, mit der Macrons Staatssekretär

von der Schließung sprach. Er betonte, dass

die Entscheidung, das AKW abzuschalten,

definitiv sei. Es war zwar noch die Regierung

Hollande, die die Stilllegung beschlossen

hat, aber sie leitete keine Schritte in Rich-

tung Zukunftsplanung ein. Das tut die Regie-

rung Macron nun umso energischer. Dazu

gehört, dass der Kraftwerksbetreiber, der

Staatskonzern EDF, bis April einen konkre-

ten Zeitplan für die Abschaltung, die an die

Inbetriebnahme des neuen

Meilers Flamanville in der

Normandie gekoppelt ist,

vorlegen soll. Und neu ist

schließlich, dass Frank-

reich die Zukunft der Re-

gion Fessenheim gemein-

sam mit der deutschen

Seite planen will. Lecornu

nannte den Konversionsprozess ein „Projet

franco-allemand“.

Energieversorgung, Arbeitsplätze und

Finanzen sind die drei wesentlichen As-

pekte dieses deutsch-französischen Pro-

jekts. Fessenheim ist zwar das älteste und

schwächste französische AKW, aber es ist

für die elsässische Wirtschaft von großer

Bedeutung. Etwa die Hälfte der Energie im

Elsass verbraucht die Industrie, viele Fir-

men mit hohem Verbrauch haben sich im

direkten Umkreis von Fessenheim ange-

siedelt. Ihre Energieversorgung muss nach

der Stilllegung gewährleistet sein, fordern

die Verantwortlichen aus der Region. Dafür

will man nun auch erneuerbare Energien

auf den Weg bringen und an der Energieef-

fizienz arbeiten. Solche Projekte könnten

gleichzeitig neue Arbeitsplätze schaffen.

750 Mitarbeiter beschäftigt die EDF direkt

im AKW, mitsamt Dienstleistern geht man

von insgesamt etwa 2.000 Stellen aus, die

kurz- oder längerfristig von der Stilllegung

betrofffen sind. Obwohl auch nach dem Ab-

schalten des Meilers noch viele Menschen

in Fessenheim arbeiten werden, weil der

Rückbau Jahrzehnte dauert, wird bereits

nach alternativen Beschäftigungen gesucht.

So sprach Lecornu etwa von Neuansiedlun-

gen entlang des Rheinseitenkanals nördlich

von Fessenheim. Weil die Gewerbeflächen

auf deutscher Seite knapp werden, gefällt

der badischen Wirtschaft vor allem die Idee

eines deutsch-französischen Gewerbege-

biets, für das man den Betrieben mit Nach-

lässen bei der Gewerbesteuer entgegen-

kommen könnte. (Gleichzeitig fordern die

französischen Gemeinden einen Ausgleich

für die wegfallende EDF-Gewerbesteuer.)

Um eine solche „zone franche“ (Lecornu)

anzubinden, soll die Infrastruktur ausgebaut

werden. Bei dem Treffen mit Lecornu ging

es auch um die grenzüberschreitende Bahn-

linie zwischen Colmar und Freiburg. Sie ist

die letzte, die seit dem Zweiten Weltkrieg

noch nicht wiederhergestellt wurde. Eine

„Völlig neue Perspektiven für die Region“

verspricht sich Stabsstellenchef Oser von

der Instandsetzung dieser Strecke wie von

dem Projekt Fessenheim insgesamt. „Da

werden wir uns massiv einbringen.“

Die Umsetzung läuft. Derzeit werden Poten-

zialanalysen für verschiedene Varianten der

Gewerbegebiete in Auftrag gegeben. Im März

kommt Ministerpräsident Winfried Kretsch-

mann zu Besuch, um sich über das Projekt zu

informieren. Und für April hat Staatssekretär

Lecornu sich wieder angekündigt.

kat

»Die französische

Seite begreift

die Schließung

nun als Chance«