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14

Wirtschaft im Südwesten

3 | 2018

KOPF

DES

MONATS

Leute

Landfrau 4.0

Jutta Zeisset | „MuseumsCafé & Hofladen Zeisset“

WEISWEIL.

Bis auf ein Dreivierteljahr hat Jutta Zeisset

alle ihre 37 Lebensjahre in ihrem Heimatdorf Weisweil

am Kaiserstuhl verbracht, wo sie 2002 den Hühnerhof

ihrer Eltern übernahm und daraus ein florierendes Café

mit Hofladen und 30 Mitarbeitern machte. In die USA

ist Zeisset noch nie gereist, und doch hat sie einen

prominenten amerikanischen Fan: Facebookchefin

Sheryl Sandberg erwähnte Jutta Zeisset namentlich in

einem ihrer Posts und schwärmte vergangenen Herbst

vor großem Publikum auf der Messe „Digital Marke-

ting“ (dmexco) in Köln von der Leistung der Badenerin,

die den Erfolg ihres Unternehmens vor allem mit der

Nutzung sozialer Medien bewerkstellige. Seit ein paar

Monaten sitzt die Landfrau 4.0 deshalb im ersten Face­

book KMU Beirat Deutschlands.

„Das war die Megareputation“, sagt Jutta Zeisset ein

paar Monate nach der dmexco beim Gespräch in ihrem

Weisweiler Café. Es ist ein Freitagvormittag, die Kuchen

und Torten stehen in der Theke bereit, der Holzofen knis-

tert schon, bald werden die ersten Gäste kommen. Das

Café ist mittwochs bis sonntags geöffnet, montags und

dienstags tourt Jutta Zeisset als Beraterin durch die Re-

publik und erklärt Landwirten, Verbänden, Unternehmen

wie das funktioniert mit dem Multimediamarketing. Ihre

Kontakte reichen bis in die Ministerien. „Da kommt’s

Mädle vom Land und erklärt denen in Berlin, was los

ist“, sagt Jutta Zeisset in ihrer unverstellten Art. Sie

nimmt kein Blatt vor den Mund, spricht Klartext mit

den Leuten – das kommt gut an, vielleicht auch wegen

ihres Original Weisweiler Alemannisch („ich kann kein

Hochdeutsch, das wär’ wie wenn ich Englisch schwätzen

tät“). Ihre Natürlichkeit bleibt erhalten, auch wenn sie T-

Shirt und Fleece gegen Bluse und Blazer tauscht und ein

bisschen Make-up aufträgt. Ihre Expertise ist gefragt,

ihr Terminkalender bis zum Sommer voll.

Das prominente Lob von Sheryl Sandberg hat Jutta

Zeisset Aufmerksamkeit weit über die Region hinaus

beschert. Die „Wirtschaftswoche“ porträtierte sie in der

Folge, ebenso das Branchenmagazin W&V, und bei N-TV

liefen Facebook-Werbespots mit ihrem Beispiel. Den Ef-

fekt spürte man im Café. „Ich wusste gar nicht, dass so

viele Menschen N-TV gucken“, sagt Jutta Zeisset. Bild-

schirmpräsenz kennt sie schon, das Südwestfernsehen

hat bereits mehrfach bei ihr gedreht. „Zu jemandem, der

recht schwätzen und sich vor der Kamera halten kann,

kommen sie immer wieder.“ Wenn abends ein Beitrag

lief, stehen am nächsten Morgen die Leute da. Sie kom-

men aus Freiburg, Offenburg und weit darüber hinaus.

Die Bilder vom Café und den neuesten Leckereien, die

Jutta Zeisset in den sozialen Medien und ihrer eigenen

App „Zeissetlive“ postet, locken auch Düsseldorfer oder

Hamburger nach Weisweil

Der Hof liegt an der Hauptstraße am Ortsausgang. Hier

hielten die Zeissets früher bis zu 4.000 Hühner und be-

lieferten Kunden in der Region mit Eiern. Als die Eltern,

heute 82 und 70 Jahre alt, Anfang der Nullerjahre den

Betrieb aufgeben wollten, brach die jüngste Tochter

ihren Ausflug ins Schwäbische ab und kehrte heim.

21 Jahre war Jutta Zeisset damals jung. Sie hatte ihre

Ausbildung als Gärtnerin gerade abgeschlossen und

wollte in Pforzheim Berufserfahrung sammeln. Doch

weil keiner ihrer fünf Geschwister bereit war, den elter-

lichen Hof zu übernehmen, stieg sie ein und baute

den Betrieb peu à peu um und aus. Sie erweiterte

den Hofladen, richtete eine eigene Bäckerei mit

Holzofen ein, in der Brot, Kuchen sowie Torten

entstehen, und baute die Garage zum Café um. 80

Sitzplätze gibt es drinnen, wenn die Sonne scheint

nochmal so viele draußen. Wo früher die Hühner

hausten, hat ihr Vater ein Museum für nostalgi-

sche Raritäten aus Landwirtschaft und Haushalt

eingerichtet. Im ersten Stock des Wohnhauses,

mit Blick auf Laden und Café, sitzt Jutta Zeisset in

ihrem Büro und gestaltet Internetauftritte. Webdesign ist

ihr drittes Standbein. Vor zwei Jahren hat sie nebenher

einen Abschluss als „Social Media und Online Marketing

Manager“ an der TU Graz gemacht.

Den Hof sieht sie als Basis und das Schönste am Un-

terwegssein. „Es ist geil sagen zu können: Wenn sie

mich nicht brauchen, geh ich heim und schaff dort.“

Jutta Zeisset ist bodenständig geblieben, kann rich-

tig anpacken. Die letzten Hühner hat sie vor einigen

Jahren selbst geschlachtet. So selbstverständlich wie

sie sich in der digitalen Welt bewegt, so analog ist das

eigentliche Geschäft, die Arbeit in Café und Hofladen.

Zum Abheben fehlt Jutta Zeisset ohnehin die Zeit. Freie

Tage kennt sie nicht, gerade hat sie auch noch ein Buch

über „Social Media für Landwirte“ geschrieben, das

im Herbst im Ulmer Verlag erscheint. Zum Entspan-

nen schaut sie abends Netflix - im Originalton, um ihr

Englisch zu verbessern. Denn wenn sie das nächste

Mal Sheryl Sandberg trifft, will Jutta Zeisset unbedingt

richtig mit ihr reden können.

kat

 »Das Mädle vom Land

erklärt denen

in Berlin, was los ist«