Gabriele Siedle prägte fast ein Vierteljahrhundert den traditionsreichen Furtwanger Spezialisten für Türkommunikation. Sie ist erfolgreich ihren Weg gegangen – und gibt nun mit dem Siedle Haus ihrer Kunstsammlung eine Heimat wie dem Unternehmen Zukunft.

Ihrem Anfang wohnte ein Fremdeln inne. Die Geschichte mit ihrem ersten Winter hier im Hochschwarzwald, die erzählt Gabriele Siedle immer noch gerne. Wie sie damals, in den 1990ern und frisch vermählt mit dem Furtwanger Unternehmer Horst Siedle, angekommen war mit ihren eleganten Schuhen und im BMW-Cabriolet. Was das für ein Unterschied war zum mondänen Baden-Baden. Wie sie einmal in der Nähe des Wohnhauses auf 950 Metern Höhe herumirrte, vor lauter Schnee die vertrauten Wege nicht mehr fand und von ihrem Mann eingesammelt wurde. Und wie ihr die Menschen hier oben zu verstehen gegeben haben: „Wenn Du länger bleiben willst, brauchst Du andere Schuhe und ein anderes Auto“. Gabriele Siedle verstand das. Schon allein wegen ihres damaligen Berufs als Leiterin der Vermögenskundenabteilung bei der Dresdner Bank war sie eine gute Zuhörerin. Also wurden Winterschuhe angeschafft, dazu ein wintertauglicher Audi Quattro. Denn Gabriele Siedle ist geblieben, hat sich auf ihr neues Leben eingelassen. Und das über mehr als ein Vierteljahrhundert.
Auch jetzt, zwei Jahre nach ihrem Rückzug aus der operativen Führung der S. Siedle & Söhne Telefon- und Telegrafenwerke, hält sie ihrem Standort Furtwangen die Treue. Aus Verbundenheit. Und weil sie ein weiteres Projekt verfolgt: das architektonisch ambitionierte Siedle Haus, in das die Kunstsammlung der Siedles einziehen soll und das als Forum, als Treffpunkt für die Menschen in Furtwangen gedacht ist. Sie wolle damit den Menschen hier oben etwas zurückgeben, sagt sie.

Siedle wächst weiter
Wir treffen Gabriele Siedle, die 1951 in Gaggenau geboren wurde, ehe es zur Bank nach Baden-Baden ging, in der Siedle-Villa,
dem letzten historischen Gebäude auf dem Firmenareal. An den Wänden prangen Etappen der Unternehmensgeschichte und eine Ahnengalerie. An einer Wand hängt ein Foto von Horst Siedle (1938 - 2019), dem Patriarchen, Philanthropen, dem Macher. Gabriele Siedle, elegant, selbstsicher, dabei alles andere als unnahbar, sitzt unter diesem Foto. Was macht sie nun, nachdem Jochen Cura, Peter Strobel und Christoph Weber die Geschäftsführung des 1750 gegründeten Familienunternehmens übernommen haben?
„Ich freue mich fast jeden Tag“, sagt sie, lacht und schenkt dem Gast Kaffee ein. Zuerst der Blick auf die Umsätze des Unternehmens, das sie seit der schweren Erkrankung ihres Mannes 2005 ohne ihn leitete. Die Zahlen stimmen: 2024 haben bei Siedle in Furtwangen (Teil der Siedle-Gruppe) 420 Mitarbeiter für einen Umsatz von 77 Millionen Euro gesorgt, sechs Prozent mehr als im Vorjahr. Ein starkes Zeichen in Zeiten schwächelnder Baukonjunktur. Bald kommt eine neue Produktlinie auf den Markt, ein weiterer Schritt bei der Digitalisierung der Türkommunikation, eine weitere Innovation aus Furtwangen.

Stahl oder Kunststoff?
Siedle hat sich schon immer neu erfunden, neu erfinden müssen. Aus der Glockengießerei wurde ein Hersteller von Telefon-
apparaten, in den 1930ern spezialisierte man sich auf Türkommunikationstechnik. Das Unternehmen steht für anspruchsvolles Design und Technik. Keine Massenware für den Baumarkt. Am Eingang zum Deutschen Bundestag steht eine Siedle-Anlage aus edlem Stahl, ebenso an der Oper von Oslo oder an der Tür des Polizeipräsidiums Hamburg, ganze Krankenhäuser bestreiten ihre interne Kommunikation mit Siedle, und an Millionen deutschen Haustüren erfolgt seit Jahrzehnten die Türkommunikation über Gegensprechanlagen aus Furtwangen. Produziert und entwickelt wird ausschließlich im Hochschwarzwald. Schon immer.
Gabriele Siedle hat in der Firmengeschichte Spuren hinterlassen. Sie, die schon immer ihr eigenes Geld verdient hat, fing an in der Unternehmenskommunikation und im Finanzbereich, setzte mit Siedle Steel gegen den anfänglichen Widerstand ihres Mannes eine neue, ästhetisch anspruchsvolle und hochwertige Edelstahl-Designlinie durch. „Mein Mann war skeptisch, schließlich war die Umstellung auf Kunststoff wenige Jahrzehnte zuvor ein Krafttakt gewesen. Doch ich habe nicht lockergelassen, habe ihn lange damit genervt. Von den Außenstationen machen Produktlinien aus Metall heute 30 Prozent des Umsatzes aus“, sagt sie. Eine Bestätigung – auch für ihren Führungsstil: Statt durchregieren die Menschen überzeugen und mitnehmen.
Ab 2005 war sie in der Pflicht, viele fragen sich damals: „Kann sie das? Eine Frau?“ Zumal die Rahmenbedingungen nicht besonders gut waren: Der Aufschwung Ost war vorbei, der Markt in den neuen Bundesländern gesättigt, dazu die Herausforderungen von Globalisierung und Digitalisierung. Die Umsätze gingen zurück, Siedle stand unter Druck. Heute kann sie über ihre Zeit als Firmenchefin sagen: „Ich habe in vielen Dingen richtig gehandelt. Ich bin stolz, dass es uns als Familienunternehmen so noch gibt, das ist keine Selbstverständlichkeit.“
Die Leitplanken der Chefin
Sie hat das Unternehmen in eine Familienstiftung überführt und dadurch als Ganzes erhalten – auch wenn das Unternehmen nach sieben Generationen nicht mehr von Familienmitgliedern geführt wird. Aber es gibt Leitplanken für die Geschäftsführung, eingerammt von der Chefin: soziale Verantwortung, Standorttreue, die Bewahrung der Eigenständigkeit und andere Werte sind festgeschrieben. Über ihre drei Nachfolger in der Geschäftsführung sagt sie: „Die Charaktere ergänzen sich. Alle drei wissen, wohin man will. Das macht mich zuversichtlich.“
Gabriele Siedle ist Geschäftsführerin der Holding-Gesellschaft geblieben, in der alle Gesellschaften der Siedle-Gruppe gehalten werden. Doch kann sie, die Patriarchin, die nie daran gemessen werden wollte, dass sie eine Frau ist, sondern an dem, was sie geleistet hat, nun auch loslassen? „Ich halte mich weitgehend aus dem Tagesgeschäft heraus, das sendet auch das Signal, dass ich anderen vertraue.“ Die kleinen Dinge im Leben machen glücklich: ein Gang über den Wochenmarkt, ein Restaurantbesuch, eine Städtereise in ihr Lieblingsland Italien. Und natürlich das Siedle Haus des Berliner Architekten Arno Brandlhuber, das unter der Regie des Freiburger Büros Hotz + Architekten täglich wächst und mit seinem imposanten, von einer Holzkonstruktion gehaltenen Dach eine architektonische Hommage an die vielen Schwarzwaldhöfe ist. Unter dem Dach ist ein in Beton gegossenes Haus im Haus, ein Abbild des alten Wohnhauses, das früher dort stand und baugleich mit der Siedle-Villa ist. Ziemlich wow für eine Kleinstadt, aber Gabriele Siedle sagt einfach bescheiden: „Ein Herzensprojekt von mir und meinem Mann.“ Dominik Bloedner