Der Fachkräftemangel wird zum immer drängenderen Problem für die deutsche Wirtschaft: Im jüngsten DIHK-Fachkräftereport gaben mehr als die Hälfte von fast 22.000 Unternehmen an, nicht alle offenen Stellen besetzen zu können – ein Rekordwert. Und das, obwohl die Betriebe vielfach ein wirtschaftlich schwieriges Jahr erwarten und ihre Personalplanung bereits heruntergeschraubt haben.
„Wir gehen davon aus, dass in Deutschland rund zwei Millionen Arbeitsplätze vakant bleiben“, berichtete Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), bei der Vorstellung des DIHK-Fachkräftereports Mitte Januar. „Das entspricht einem entgangenen Wertschöpfungspotenzial von fast 100 Milliarden Euro.“
Er warnte: „Die derzeit noch stabile Arbeitsmarktentwicklung und die vielen offenen Stellen dürfen nicht zu dem Fehlschluss verleiten, alles laufe relativ rund und den meisten Unternehmen gehe es gut. Unter der Oberfläche braut sich seit geraumer Zeit eine gefährliche Mischung zusammen.“ Der Fachkräftemangel koste Wertschöpfung und erhöhe beispielsweise die Herausforderungen zur Finanzierung der öffentlichen Haushalte. In Kombination mit hohen Energiepreisen und den Herausforderungen der Transformation in Richtung Klimaneutralität könnten die immer größeren Personalengpässe bis hin zur Verlagerung von Produktion und Dienstleistungen ins Ausland führen. „Das Fehlen von Fachkräften belastet nicht nur die Betriebe, sondern gefährdet auch den Erfolg bei wichtigen Zukunftsaufgaben: Energiewende, Digitalisierung und Infrastrukturausbau – für diese Aufgaben brauchen wir vor allem Menschen mit praktischer Expertise.“ Und die sind rar wie nie zuvor.
Zukunftsbranchen suchen oft vergeblich
Über alle Branchen hinweg sehen sich den Umfrageergebnissen zufolge 53 Prozent der Betriebe von Personalengpässen betroffen, in der Industrie und in der Bauwirtschaft sind es jeweils 58 Prozent (siehe nebenstehende Grafiken). Während die Fachkräftelücke in den Industrieunternehmen gegenüber Herbst 2021 (53 Prozent) nochmals größer geworden ist, hat sie sich beim Bau etwas abgeschwächt (Vorjahr: 66 Prozent).
Bedenklich mit Blick auf die Zukunft: Stellenbesetzungsprobleme treffen besonders stark die für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie bedeutsamen Investitionsgüterproduzenten (65 Prozent) sowie Hersteller von Spitzen- und Hochtechnologie (jeweils 63 Prozent). So können beispielsweise 67 Prozent der Hersteller elektrischer Ausrüstungen Stellen nicht besetzen; bei den Produzenten von Datenverarbeitungsgeräten, elektronischen und optischen Erzeugnissen gilt dies für 63 Prozent, im Maschinenbau für 67 Prozent und im Fahrzeugbau für 65 Prozent der Betriebe.
Das beeinträchtigt wichtige Transformationsaufgaben wie Elektromobilität oder erneuerbare Energien. Auch die Engpässe in baurelevanten Bereichen wie den Architektur- und Ingenieurbüros (58 Prozent) dürften die Zielerreichung etwa bei klimagerechter Sanierung, der Installation von Windkraftanlagen, beim Wohnungsbau sowie bei Erhalt und Ausbau von Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur erschweren.
Engpässe in Gesundheit und Logistik
Mit an der Spitze der von Engpässen besonders betroffenen Branchen stehen zudem weiterhin die Gesundheits- und Sozialdienstleister: 71 Prozent von ihnen melden Stellenbesetzungsprobleme. Im Bereich Verkehr und Lagerei suchen 65 Prozent der Unternehmen vergeblich nach Personal – mit weitreichenden Folgen, wie Achim Dercks erläutert: „Das Fehlen von Fahrern bei den Logistikbetrieben erschwert zunehmend die pünktliche Belieferung mit Endprodukten im Handel, aber auch mit Rohstoffen und Vorleistungen in der Industrie.“ Im Gastgewerbe berichten 60 Prozent der Betriebe von Personalengpässen. Das bedeutet zwar eine leichte Entspannung gegenüber dem Vorjahr (66 Prozent), geht vielfach aber auch einher mit eingeschränkten Angeboten und reduzierten Öffnungszeiten.
Mangelware: Beruflich Qualifizierte
Am häufigsten scheitern die Unternehmen mit Stellenbesetzungsschwierigkeiten bei der Einstellung von Fachkräften mit dualer Berufsausbildung (48 Prozent) und von Auszubildenden (39 Prozent). Personal mit Weiterbildungsabschluss suchen 37 Prozent der Unternehmen mit Besetzungsproblemen erfolglos. Bei den Hochschulabsolventen ist es jedes dritte dieser Unternehmen. Auch für Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung bestehen Beschäftigungschancen – 31 Prozent der Betriebe mit Stellenbesetzungsproblemen können entsprechende Vakanzen nicht besetzen.
Hier sieht Achim Dercks noch ein enormes Potenzial: „Menschen ohne Berufsabschluss sind in Branchen wie Verkehr, Sicherheitswirtschaft, Reinigungsdiensten et cetera durchaus gefragt. Erstrebenswert ist im Interesse einer nachhaltigen Vermittlung natürlich auch eine arbeitsmarktnahe Weiterbildung beziehungsweise Umschulung. Gerade für mittelständische Unternehmen müssen entsprechende Angebote der Arbeitsagenturen einfacher zugänglich werden.“
Bürokratie stört am meisten
Auf die Frage, welche Rahmenbedingungen bei der Fachkräftesicherung helfen würden, nannte mehr als jeder zweite Umfrageteilnehmer (52 Prozent) den Bürokratieabbau: Bei einer Entlastung etwa von Berichts-, Dokumentations- oder Meldepflichten könnten sich Personaler intensiver um die eigentlichen betrieblichen Aufgaben kümmern. Auf Platz zwei rangiert die Stärkung der Beruflichen Bildung – das gaben 46 Prozent der Betriebe an. Von einer erleichterten Einstellung ausländischer Fach- und Arbeitskräfte erhofft sich mehr als jedes dritte Unternehmen (35 Prozent) eine Verbesserung seiner Fachkräftesituation, und 31 Prozent nannten die bessere Qualifizierung und Vermittlung von Arbeitslosen.
Aus Sicht von 24 Prozent der Betriebe wäre eine gesteigerte Attraktivität der Region zum Leben und Arbeiten hilfreich, um Fachkräfte zu gewinnen und zu halten; jeweils 22 Prozent plädieren für einen Ausbau der digitalen Infrastruktur, für eine bedarfsgerechte Erweiterung der Betreuungsangebote beziehungsweise für eine flexiblere Beschäftigung Älterer.
„Wir müssen die Betreuungsinfrastruktur und -angebote weiter ausbauen und flexibilisieren“, so Achim Dercks. „Die Betreuungslücke für unter Dreijährige liegt immer noch bei fast 270.000. Würden die aktuell in Teilzeit beschäftigten Frauen ihre Arbeitszeit um durchschnittlich zwei Stunden pro Woche erhöhen, entspräche das rechnerisch etwa 500.000 zusätzlichen Ganztagsstellen.“
Die Erwerbsbeteiligung Älterer sei zwar in den vergangenen zehn Jahren deutlich gestiegen, doch gebe es hier noch Luft nach oben. Positiv bewertet er, dass die Hinzuverdienstgrenze bei vorzeitigem Rentenbezug abgeschafft wurde: „Das stärkt Anreize“, stellt Dercks fest. „Die entsprechenden Möglichkeiten sollten bekannter gemacht werden.“
Text: DIHK
Bild (oben): Adobe Stock/Studio Romantic
Grafiken, Quelle: DIHK-Fachkäftereport 2022, bundesweite Umfrage unter rund 22.000 Unternehmen
Die IHK-Experten zum Thema Standort- und Fachkräftesicherung in der Region:
IHK Hochrhein-Bodensee:
Alexander Graf,
Telefon: 076223 907213
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IHK Schwarzwald-Baar-Heuberg:
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IHK Südlicher Oberrhein:
Alwin Wagner
Telefon: 0761 3858-107
Mail: alwin.wagner@freiburg.ihk.de
Den ausführlichen DIHK-Fachkräftereport mit weiteren Details aus der Umfrage als PDF zum Herunterladen